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Windows-Gerichtsprozess "Die Regeln der Straße"

Das lang erwartete Gerichtsverfahren der EU gegen Microsoft hat begonnen - offiziell dreht es sich um ein Bußgeld von 497 Millionen Euro und die Forderung, Teile der Windows-Software offen zu legen. Tatsächlich geht es aber um viel mehr.

Brüssel - Entschieden wird auch die Frage, was höher wiegt: Das Recht am geistigen Eigentum - oder das Recht auf freien Wettbewerb. Zum Auftakt des Luxemburger Microsoft-Prozesses haben sich der weltgrößte Softwarekonzern und die EU-Wettbewerbshüter heute einen harten Schlagabtausch geliefert. Microsoft   warf der EU- Kommission vor, die von ihr erzwungene Version des Betriebssystems Windows ohne das Multimedia-Programm Mediaplayer sei an der Ladentheke ein beispielloser Flop.

Sitzungssaal im Luxemburger Gericht der Ersten Instanz am ersten Tag des Microsoft-Prozesses: Urteil wohl frühestens zum Jahresende

Sitzungssaal im Luxemburger Gericht der Ersten Instanz am ersten Tag des Microsoft-Prozesses: Urteil wohl frühestens zum Jahresende

Foto: AP

Die Kommission bestand hingegen vor dem zweithöchsten EU-Gericht in Luxemburg darauf, der US-Konzern habe sein Quasi-Monopol bei PC-Betriebssystemen zum Schaden von Konkurrenten und Verbrauchern missbraucht.

Es ist ein neuer Höhepunkt im schier endlosen Streit zwischen der EU-Kommission und Microsoft: Vor dem EU-Gericht erster Instanz in Luxemburg wehrt sich der Softwarekonzern gegen fast eine halbe Milliarde Euro Bußgeld, das die Brüsseler Wettbewerbshüter vor zwei Jahren verhängt hatten. Selbst für Microsoft keine kleine Summe.

Doch noch wichtiger für Microsoft dürfte es sein, die damals von der Kommission verhängte Forderung abzuwehren, der Konkurrenz Programmteile eigener Software offen zu legen. Diese Auflage hat Microsoft nach Auffassung der Wettbewerbshüter bislang nicht erfüllt.

Deswegen fordert die Kommission seit Mitte Dezember 2005 ein tägliches Zwangsgeld von zwei Millionen Euro, die Microsoft bislang aber nicht bezahlt. Auch hierüber soll das Gerichtsverfahren Klarheit bringen.

Microsoft: Es gibt doch Wettbewerb

"Die Möglichkeit, Innovationen zu vermarkten, ist wesentlich für den Erfolg von Unternehmen und das Wohlergehen ganzer Staaten", betonte Microsoft-Anwalt Brad Smith zu Beginn der Verhandlung. "Die Fakten werden zeigen, dass es durchaus einen harten Wettbewerb auf dem Softwaremarkt gibt und die Kunden die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen Produkten zu wählen", fügte Smith an.

Der Kampf um die Vermarktungspraktiken der Softwareschmiede aus Redmond im US-Bundesstaat Washington hat schon eine ganze Reihe von Wettbewerbskommissaren in Brüssel beschäftigt. So musste sich Karel van Miert ab 1993 mit der Beschwerde des Softwareunternehmens Novell befassen, wonach die Lizenzvergabe von Microsoft die Wettbewerber schädigte. In Zusammenarbeit mit den US-Kollegen erzwang der Kommissar ein Jahr später Änderungen der Verkaufspraxis von Microsoft.

Van Miert war es auch, in dessen Amtszeit der Ursprung des jetzt anhängigen Verfahrens fiel: Ende 1998 forderte der Serverhersteller Sun Microsystems   in Brüssel, Microsoft müsse angesichts des Quasi-Monopols von Windows auf dem Markt für PC-Betriebssysteme anderen Software-Anbietern alle Daten offen legen, um die Zusammenarbeit von deren Programmen mit Windows-Servern zu garantieren.

Nächster Streitfall Vista?

Unter Leitung von Kommissar Mario Monti weiteten die Wettbewerbshüter 2000 die Beschwerdeliste aus. Dabei wurde Microsoft aufgefordert, das Betriebssystem Windows 2000 nicht mehr automatisch mit dem hauseigenen Media Player zu versehen, um konkurrierenden Herstellern anderer Abspielsoftware eine Chance zu geben.

Nächster Zankapfel: Microsofts neues Betriebssystem Windows Vista. Die jetzige Chefin der Generaldirektion Wettbewerb, die Niederländerin Neelie Kroes, hat gegenüber Microsoft deutlich gemacht, dass ihre Behörde hart bleiben werde. Zwar hatte der US-Konzern Angebote zur Offenlegung der so genannten Schnittstellen in den Betriebsprogrammen gemacht und auch mehrfach nachgebessert. Im Dezember 2005 entschied die Kommission aber, dass Microsoft die Auflage nicht ausreichend erfüllt habe.

Denn die bisherigen Veränderungen sind nach Ansicht von Fachleuten bislang "gänzlich ungeeignet", um den EU-Forderungen nachzukommen. Die eingereichten Microsoft-Unterlagen zu lesen, sei "ein enttäuschendes, Zeit verschlingendes und ergebnisloses Unterfangen", urteilte Neil Barrett, jener Experte, den die Kommission aus einer von Microsoft selbst vorgelegten Vorschlagsliste ausgewählt hatte.

Nachdem Microsoft Ende 2004 mit dem Versuch scheiterte, die von der Kommission verhängten Auflagen per einstweiliger Verfügung erst einmal auf Eis zu legen, geht der Konzern nun im Verfahren in der Hauptsache mit einer ganzen Armada von Rechtsvertretern und Experten an den Start - unter ihnen drei ehemalige Juristen des Europäischen Gerichtshofs. Fünf Tage sind für die Beweisaufnahme vorgesehen, mit einem Urteil aus Luxemburg wird aber nicht vor Ende des Jahres gerechnet.

Dass damit ein Schlussstrich unter den Dauerstreit zwischen Kommission und Microsoft gezogen wird, ist jedoch alles andere als sicher. So ermahnte Kroes den Konzern erst Mitte März, den Windows-Nachfolger Vista so anzulegen, dass nicht gleich ein neuer Wettbewerbsfall fällig werde.

Dies wäre dann der Fall, wenn Microsoft das Vista-Programm automatisch mit einer besonderen Internet-Suchmaschine ausrüsten würde. Denn wie schon beim Media Player hätten dadurch die Anbieter anderer Suchmaschinen einmal mehr das Nachsehen gegen den Quasi-Monopolisten.

Die Interessengemeinschaft ECIS (European Committee for Interoperable Systems), die in dem Konflikt die EU-Kommission unterstützt, teilte mit, es gebe keine Grundlage, die Entscheidung der EU-Behörde vom März 2004 zu kippen. Microsoft habe seine beherrschende Stellung bei PC-Betriebssystemen genutzt, um Wettbewerb auf angrenzenden Märkten zu verhindern.

Keine Chance für Konkurrenten?

ECIS-Anwalt Thomas Vinje betonte, dass Microsoft versuchen werde, in seinem neuen Betriebssystem Windows-Vista-Konkurrenten herauszudrängen und deswegen bisher freie Zusatzprogramme wie Sicherheitssoftware, Suchmaschinen und Office-Funktionen fest in das Betriebssystem einbinde.

Das Verfahren habe das Potential, "die Regeln der Straße" zu definieren, bevor Vista auf den Markt kommt, sagte Vinje weiter. "Dieser Fall entscheidet über die Zukunft. Entweder die Konsumenten werden die Möglichkeit erhalten, an Innovation teilzuhaben, oder es wird Microsoft erlaubt, Innovation und Wettbewerb weiterhin zu beherrschen", so Vinje.

"Wir sind zuversichtlich, dass das Gericht am Ende der Beratungen die Entscheidung der Kommission bestätigen wird", sagte ECIS-Chef Simon Awde. ECIS gehören Unternehmen wie Corel, IBM  , Nokia  , Opera, Oracle  , Real Networks oder Sun Microsystems an.

itz/mm.de/Reuters/AP/dpa/ddp