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Zigaretten-Zusatzstoffe Tabakkonzern soll Giftgefahr verharmlost haben

Forscher werfen Philip Morris bewusste Täuschung vor: Der Tabakkonzern habe gewusst, dass in Zigaretten enthaltene Zusatzstoffe giftig sind - und die Gefahr heruntergespielt. Das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück.
Raucher: Philip Morris soll Gefahr durch Zusatzstoffe heruntergespielt haben

Raucher: Philip Morris soll Gefahr durch Zusatzstoffe heruntergespielt haben

Foto: Robert Schlesinger / dpa

Menthol, Feuchthaltemittel und Konservierungsstoffe: In Zigaretten ist weit mehr enthalten als nur Tabak. Zahlreiche Zusatzstoffe werden je nach Sorte beigemengt, um die Produkte haltbar zu machen und den Geschmack zu verändern. Die Schädlichkeit der Zusätze ist zwischen Industrie und Tabakgegnern umstritten. Wissenschaftler werfen nun dem Konzern Philip Morris vor, Forschungsergebnisse verzerrt und heruntergespielt zu haben, die große Gesundheitsgefahren durch die Zusatzstoffe belegt hätten.

Das internationale Forscherteam hat ursprünglich geheime Dokumente der Tabakindustrie, die im Zuge von Haftungsklagen öffentlich zugänglich gemacht werden mussten, untersucht. In den Unterlagen befanden sich unter anderem Forschungsergebnisse von Philip Morris zur Wirkung von insgesamt 333 Zigaretten-Zusatzstoffen, interner Titel: "Projekt MIX".

Der Tabakkonzern hatte auf Basis dieser Resultate behauptet, die Zusatzstoffe würden "nicht wesentlich zur Toxizität" von Zigaretten beitragen. Doch die neue Studie, erschienen im Online-Fachmagazin "PLoS Medicine" , kommt jetzt zu einem ganz anderen Ergebnis: Die Tests hätten "zahlreiche negative biologische Konsequenzen" belegt. Die Zusatzstoffe erhöhten den Anteil von 15 krebserregenden Chemikalien wie Arsen, Cadmium, Blei und Formaldehyd im Zigarettenrauch um mindestens ein Fünftel, schreiben Stanton Glantz und seine Forscherkollegen von der University of California in San Francisco.

"Nachträgliche Veränderungen in den Analyseprotokollen"

Philip Morris habe wissenschaftliche Standards umgangen, sagt der Lungenchirurg Thomas Kyriss, der zu den Autoren der Überprüfungsarbeit gehört. So seien einige Chemikalien aus unklaren Gründen unterbewertet worden, so dass die Giftigkeit der Stoffe geringer erschienen sei. Auch die Zahl der Versuchstiere sei zu gering angesetzt worden. Zudem sei es zu "nachträglichen Veränderungen in den Analyseprotokollen" gekommen, heißt es in der Studie. Zur Veröffentlichung der Ergebnisse sei dann ein Herausgeber mit Verbindungen zur Tabakindustrie ausgesucht worden.

Kyriss wirft Philip Morris in dem Zusammenhang Manipulation und bewusste Täuschung vor - ein Vorwurf, der seit Längerem gegen die Tabakindustrie erhoben werde, nun aber erstmals in Bezug auf Zusatzstoffe nachgewiesen worden sei. Der Konzern habe die schädliche Wirkung der umstrittenen Zusatzstoffe heruntergespielt, "um Politik und Öffentlichkeit insbesondere in den USA zu beeinflussen", sagt der Mediziner. Tatsächlich hätten die Untersuchungen gezeigt, dass die Zusätze sehr giftig und gesundheitsschädlich seien.

Philip Morris weist die Vorwürfe zurück und geht seinerseits in die Offensive: Die Forscher um Glantz hätten nicht die tatsächlichen Protokolle der Untersuchungen studiert, "sondern gründen ihre unvollständige Bewertung auf Dokumente aus dem Internet." Die ursprüngliche Analyse habe sich an etablierte Prinzipien und toxikologische Standardrichtlinien gehalten.

Rückenwind für Tabakgegner

Tabakgegner hoffen gleichwohl, dass die neuen Ergebnisse ihren Anliegen Rückenwind verschaffen. Die Studie habe der Industrie "bewusste Veränderungen bei der Datenauswertung und der Bewertung der Studienergebnisse" nachgewiesen, sagt Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. "Schon die Logik der Toxikologie sagt, dass die beigemengten Zusatzstoffe gesundheitsschädlich sind, wenn man sie verbrennt. Die Tabakverordnung muss deshalb grundsätzlich verändert werden."

Zugleich wurde bekannt, dass Philip Morris in Australien jetzt gegen neue Auflagen für Zigaretten-Verpackungen klagt. Zuvor hatten dies bereits British American Tobacco und Imperial Tobacco getan. Die Tabakkonzerne laufen Sturm gegen ein neues Gesetz, wonach Zigaretten, Pfeifentabak und Zigarren nur noch in olivgrünen Schachteln ohne Markenangaben - dafür aber mit Gesundheitswarnungen - verkauft werden dürfen.

Die Vorgaben sollen im Dezember 2012 in Kraft treten. Es werde eine Entscheidung des High Court angestrebt, sagte ein Sprecher von Philip Morris. Der Konzern argumentiert, eine Regierung dürfe ein Unternehmen nicht daran hindern, die eigene Marke auf der Verpackung zu bewerben. Der Marlboro-Hersteller beschäftigt in Australien rund 800 Mitarbeiter.

Weltweit beobachten Regierungen die Vorgänge in Australien genau. Europa sowie Kanada und Neuseeland erwägen, ähnlich strenge Auflagen einzuführen. Tabakkonzerne fürchten nun einen Präzedenzfall und Verstöße gegen Markenrechte.

mbe/dpa/Reuters