Zum Inhalt springen

Historische Aufzeichnungen Alte Schiffstagebücher sollen Klimaforschern helfen

Es war die Grundlage der Wetterkunde: Früher gab man Seeleuten meteorologische Journale mit, in die sie das Wetter auf den Meeren eintrugen. So sammelten sie auf ihren Fahrten eine Fülle von Daten. Für Klimaforscher sind die alten Tagebücher ein noch ungehobener Schatz.

In dem alten Bunker an den Hamburger Landungsbrücken riecht es feucht und modrig. Hinter meterdicken Mauern lagert der Deutsche Wetterdienst (DWD) hier lange Reihen historischer, bis zu 180 Jahre alter Schiffstagebücher. Das fleckige Papier in den staubigen schwarzen Pappdeckeln - groß wie Atlanten - zerfällt allmählich. Doch für Klimaforscher sind die 38.000 Wettertagebücher "ein wahrer Schatz", wie DWD- Sprecher Günter Delfs erzählt. In dem Projekt "Histor" werten die Meteorologen die Wetterbeobachtungen der Seeleute vergangener Zeiten aus - damit die Daten weltweit in die Klimaberechnungen für die Zukunft einfließen können und die Prognosen genauer werden.

Seit etwa einem Jahr füttern die Wetterexperten ihre Computer mit den Angaben aus den Schiffstagebüchern. "Das ist eine mühsame Geschichte", sagt Projektleiter Wolfgang Gloeden. Die handschriftlichen Aufzeichnungen in Sütterlin-Schrift sind oft schwer zu lesen, und die Daten müssen genau auf Fehler überprüft werden. "Bei Wettermeldungen ist es zum Beispiel ganz wichtig zu wissen, wann und wo sie gemacht wurden - sonst sind sie für uns wertlos." Etwa zehn Millionen Daten aus den Jahren 1845 bis 1937 wollen die Meteorologen noch aufbereiten, in zehn Jahren soll das Projekt abgeschlossen sein.

Um schnell und sicher auf den Meeren unterwegs zu sein, halfen sich die Seeleute früher mit reiner "Mundpropaganda", wie Gloeden sagt. "Da hieß es etwa: 'Im Sommer fahr mal lieber da lang.'" In einem Schiffstagebuch aus dem Jahr 1829 - dem ältesten im Hamburger Bunker - wurden die Wetterbeobachtungen dann bereits aufgeschrieben, und 1853 wurde ein weltweit einheitliches Schema zur Verschlüsselung der Wetterdaten eingeführt. "Auch heute gilt diese Codierung noch nahezu unverändert", betont der 59-Jährige.

Vor der Abfahrt gab man den Segelschiffen und Dampfern im größten deutschen Hafen in Hamburg sogenannte meteorologische Journale mit an Bord, in die die Seeleute das Wetter auf den Meeren eintrugen. "Damit wurde die Wetterbeobachtung auf eine wissenschaftliche Basis gestellt - das war die Grundlage der Meteorologie", erklärt Gloeden. In den Tagebüchern standen unter anderem Informationen über das Schiff, die verwendeten Instrumente, den Seegang, die Windstärke, den Luftdruck und die Temperatur. Und natürlich allgemeine Angaben über das Wetter: Schien die Sonne? Regnete es? War der Himmel bedeckt?

Auf den Schiffsrouten waren die Seeleute bis zu zwei Jahre unterwegs - und brachten eine Fülle von Wetterinformationen mit. Während auf dem Land etwa Mönche oder Archivare notierten, ob es draußen stürmte oder fror, waren Schiffsbesatzungen die einzige Quelle für Wetterbeobachtungen auf See. "Die Daten auf See sind besonders wertvoll: Dort lassen sich natürlich nicht überall Wetterstationen hinstellen - und außerdem bestehen 71 Prozent der Erdoberfläche aus Wasser", sagt Delfs.

Bis heute stützt der Deutsche Wetterdienst seine Vorhersagen auch auf Mitarbeiter an Bord. Auf rund 800 Handelsschiffen weltweit werden Beobachtungen über das Wetter auf den Ozeanen zusammengetragen, zudem sammeln Bojen, Flugzeuge und Satelliten Informationen für die Meteorologen. Zu den aktuellen Daten stellen die vier Projekt-Mitarbeiter die historischen Informationen - um damit Wissenschaftlern zu helfen, präzisere Klimaprognosen mit einer breiteren Datenbasis zu erstellen. "In jeder seefahrenden Nation wurden Seefahrern solche Tagebücher mitgegeben", erzählt Gloeden. "Es ist jetzt eine weltweite Aktion, diese Schätze für die Klimaforschung zu heben."

Julia Ranniko, dpa