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Klimawandel, Bewässerung, Sedimentation Mehr als die Hälfte der weltgrößten Seen verliert Wasser

Etwa 85 Prozent des flüssigen Süßwassers der Erde lagert in Seen, über ihren Zustand war bislang aber nur wenig bekannt. Nun gibt es eine weltweite Analyse – und das sind die Ergebnisse.
Größter See im US-Bundesstaat Kalifornien: Auch der Saltonsee weist eine negative Wasserbilanz auf

Größter See im US-Bundesstaat Kalifornien: Auch der Saltonsee weist eine negative Wasserbilanz auf

Foto: NASA

Die Wasservorräte in Seen schwinden. Zu dem Ergebnis kommt ein internationales Forschungsteam im Fachmagazin »Science« . Mehr als die Hälfte der größten Seen weltweit verliert demnach große Mengen Flüssigkeit, oft wegen menschlicher Aktivitäten. Die Ursachen genauer zu verstehen soll helfen, die wichtigen Ökosysteme besser zu schützen und als Wasserspeicher zu erhalten.

Obwohl Seen nur ungefähr drei Prozent der globalen Landfläche ausmachen, sind dort mehr als 85 Prozent des flüssigen Süßwassers der Erde zu finden. Die Reservoire versorgen Haushalte mit Wasser, Felder werden damit bewässert und Ökosysteme aufrechterhalten. Es ist längst bekannt, dass das Wasser vielerorts schwindet, die Details und genauen Hintergründe waren bislang jedoch wenig dokumentiert.

Wenn das Wasser fehlt: Im Aralsee trockengefallenes Schiff

Wenn das Wasser fehlt: Im Aralsee trockengefallenes Schiff

Foto: Rui Vale de Sousa / PantherMedia / IMAGO

Nun haben Forscherinnen und Forscher Daten von Erdbeobachtungssatelliten mit hydrologischen und Klimamodellen kombiniert und Veränderungen der Wassermenge in 1972 Seen und Stauseen weltweit ermittelt und abgeschätzt (eine interaktive Karte finden Sie hier ). Die Daten beziehen sich auf den Zeitraum von 1992 bis 2020.

53 Prozent der untersuchten Wasserreservoire haben demnach in den vergangen 28 Jahren signifikant Wasser verloren, heißt es in der Studie. Der Wasserverlust herrsche »in den wichtigsten Regionen der Welt«, schreibt das Fachteam und erwähnt das westliche Zentralasien, den Nahen Osten, Westindien, Ostchina, Nord- und Osteuropa, Ozeanien, die angrenzenden Vereinigten Staaten, Nordkanada, das südliche Afrika und den größten Teil von Südamerika.

In nur knapp einem Viertel der untersuchten Seen und Reservoire stieg die Wassermenge im Gegensatz dazu deutlich. Das galt vor allem für unterbevölkerte Regionen wie das Innere Tibetische Plateau und die nördlichen Great Plains in Nordamerika.

22 Gigatonnen weniger Wasser in Seen – jedes Jahr

»Das ist die erste umfassende Analyse von Trends und Triebkräften zu Schwankungen der gespeicherten Wassermenge in Seen, die auf einer Reihe von Satellitendaten und Modellen basiert«, erklärte Erstautor Fangfang Yao in einer Mitteilung. Er hat die Arbeit als Gastwissenschaftler am Cooperative Institute for Research In Environmental Sciences (Cires) geleitet, einem Projekt der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa und der University of Colorado Boulder. Inzwischen ist der an der University of Virginia tätig.

Insgesamt lag der Wasserverlust der großen Seen und Stauseen weltweit laut Studie bei rund 22 Gigatonnen jährlich oder insgesamt etwa 602 Kubikkilometer Wasser. Der Gesamtverlust entspreche dem Wasserverbrauch in den USA für das gesamte Jahr 2015 oder dem 17-fachen Volumen des Lake Mead, dem größten Stausee der Vereinigten Staaten, schreibt das Fachteam. Der globale Volumenverlust sei damit etwa 40 Prozent größer als die innerhalb eines Jahres üblichen Schwankungen der Wassermenge in den untersuchten Seen und Stauseen.

Betroffen sind laut dem Autorenteam sowohl Seen und Stauseen in trockenen als auch in feuchten Gebieten der Welt. Seen in feuchten, tropischen Regionen und in der Arktis könnten zudem mehr Wasser verlieren als bisher angenommen. Die Gruppe schätzt, dass etwa ein Viertel der Weltbevölkerung im Einzugsgebiet eines immer trockener werdenden Sees lebt, das entspricht etwa zwei Milliarden Menschen.

Das Ausmaß des Wasserverlusts unterscheidet sich jedoch deutlich. Etwa 80 Prozent gehen auf die größten 26 Gewässer zurück. Allein das Kaspische Meer, der größte See der Erde, trägt mit 49 Prozent zum Netto-Wasserverlust in Seen und Stauseen bei, heißt es in der Studie.

Aralsee am 11. Mai 2001 (links) und am 30. April 2023
Aralsee am 11. Mai 2001 (links) und am 30. April 2023

Aralsee am 11. Mai 2001 (links) und am 30. April 2023

Foto: NASA Worldview / NASA Worldview

Zur Arbeit motiviert hatte das Team um Yao laut Mitteilung der austrocknende Aralsee zwischen Kasachstan und Usbekistan. Das Gewässer war einst fast so groß wie Bayern und damit der viertgrößte Binnensee der Erde. Inzwischen gibt es bloß noch Fragmente.

Bewässerung ganzer Regionen

Einen bedeutenden Teil des Wasserschwunds in natürlichen Seen führen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf den Klimawandel und damit einhergehende höhere Verdunstung sowie menschlichen Wasserverbrauch zurück. Beide Faktoren dominierten den weltweiten Rückgang des natürlichen Seevolumens in etwa hundert großen Seen, sagte Yao. »Viele dieser Auswirkungen des Menschen und des Klimawandels auf den Wasserverlust in Seen waren bisher unbekannt.«

Baku, Hauptstadt von Aserbaidschan: Etwa ein Viertel der Weltbevölkerung lebt laut Schätzungen des Fachteams im Einzugsgebiet eines trockener werdenden Sees

Baku, Hauptstadt von Aserbaidschan: Etwa ein Viertel der Weltbevölkerung lebt laut Schätzungen des Fachteams im Einzugsgebiet eines trockener werdenden Sees

Foto: Marc Guitard / Getty Images

In Stauseen ist dagegen oft Sedimentation für zurückgehende Wassermengen verantwortlich. Wenn in Reservoirs Wasser aus Flüssen aufgestaut wird, sammeln sich in den Strömen mitgeführter Sand, Schlick und Steine an. So werden die Wasserbecken nach und nach kleiner. In älteren Stauseen, die vor 1992 befüllt wurden, hatte Sedimentation einen größeren Einfluss auf die Füllmenge als etwa Dürren oder Jahre mit heftigen Regenfällen, berichtet das Fachteam.

In einem Kommentar zur Studie  verweist die Geografieprofessorin Sarah Cooley von der University of Oregon auf die große Bedeutung der Seen für Ökosysteme sowie die Wasserversorgung und Bewässerung ganzer Regionen. Die potenziellen Folgen eines Austrocknens seien lokal wie global von Bedeutung. Die Auswirkungen des Klimawandels und von Sedimentation müssten stärker in Bewirtschaftungspläne von Seen berücksichtigt werden, fordert die Gruppe um Yao.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Artikels hieß es, ein Verlust von 22 Gigatonnen Wasser im Jahr entspreche 602 Kubikkilometer jährlich. Tatsächlich bezieht sich der zweite Wert auf den insgesamt im Studienzeitraum erfassten Wasserverlust. Wir haben die Angabe korrigiert.

jme