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Prachtschmöker: Richard Dawkins "Zauber der Wirklichkeit"

Foto: Ullstein

Buchtipp Der Zauber der Wirklichkeit

Fundiertes Wissen ist höchst ungleich verteilt - was auch daran liegt, dass Wissenschaft zu oft schwer verdaulich daherkommt. Gute, verständliche und unterhaltsame Einführungen gibt es selten. Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins hat sich daran versucht - mit einem Buch nicht nur für Jugendliche.

Ein Buch von Richard Dawkins als weihnachtlichen Tipp zu empfehlen, hat eine gewisse Ironie - denn Dawkins ist vielen religiösen Menschen ein Graus. Der Engländer ist einer der einflussreichsten Evolutionsbiologen der vergangenen 50 Jahre und zugleich der prominenteste Vertreter einer Bewegung offensiv auftretender Atheisten. Inzwischen hat er den Kampf gegen den erstarkenden religiösen Fundamentalismus zu seiner Sache gemacht.

Dass man ihn in der Rückschau nicht mehr als Wissensvermittler und Forscher, sondern als Religionsbekämpfer wahrnehmen könnte, befürchtet er nicht. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE antwortete er auf diese Frage: "Ich sehe keinen Gegensatz zwischen diesen beiden Dingen. Sie gehören zusammen."

Glaube und Wissenschaft sind für Dawkins dagegen nicht miteinander vereinbar. Es ist ein Grundmotiv aller seiner Bücher, und das gilt auch für "Der Zauber der Wirklichkeit". "Jedes Kapitel beginnt mit einer Reihe von Mythen, die [...] scheinbar Fragen beantworten", erklärte er im Interview vor zwei Jahren. "Und dann setze ich Erklärungen über die wahre Natur der Dinge dagegen."

Tiefreligiöse Leser könnten daran Anstoß nehmen, obwohl das Buch tatsächlich nichts vermittelt als die pure Lust am Wissen und an der Welt. Das große unterliegende Thema ist die Frage nach dem Menschen: Wo kommen wir her, wie wurden wir, was wir heute sind, und wie ist der Ort, an dem wir leben, entstanden und beschaffen? Wenn man so will, skizziert Dawkins in "Der Zauber der Wirklichkeit" also die naturwissenschaftliche Version unserer Schöpfungsgeschichte.

Er bleibt dabei sachlich, verzichtet auf kommentierende Spitzen. Er gibt stattdessen diverse Mythen, mit denen Menschen einst versuchten, sich die Welt zu erklären, treulich wieder. Schon das dürfte Strenggläubige durchaus auf die Palme bringen: Biblische stehen da gleichberechtigt neben tasmanischen oder nordischen Schöpfungsgeschichten. Sie alle sind Märchen, Geschichten, Magie: Schöne Erzählungen, die er wiedergibt, die aber gegen die wissenschaftlichen Realitäten keinen Bestand haben. "Magie im Sinne des Übernatürlichen hat etwas sehr billiges", sagte Dawkins. "Die Wirklichkeit hat eine eigene, erhabenere, poetische Magie. Ich hoffe, die vermitteln zu können."

Für wen ist dieses Buch?

Das ist ein gutes, klares Konzept. Dawkins hatte beim Schreiben Jugendliche im Sinn oder Erwachsene, die kein fundiertes Wissen über Entstehung, Entwicklung und Gestalt der Welt haben. Entsprechend langsam, mitunter sich wiederholend steigt er in höchst komplexe Themen ein: Kosmologie, Geologie und Evolutionslehre zum Beispiel. Die physikalischen und biologischen Grundvoraussetzungen unseres Seins. Trockener Stoff?

Nein: Aufgelockert wird diese schwere Kost durch üppige vierfarbige Illustrationen, die das Buch zu einem wunderschönen Schmöker machen. Das alles ist unterhaltsam und lehrreich, löst aber seinen Anspruch einer Einführung in die Naturwissenschaften nicht ganz ein: Dawkins gelingt es sicherlich, Leser abzuholen, die im Schulunterricht bis Klasse 10 nicht nur geschlafen haben. Wer aber in seiner Jugend nie "Was ist Was?" gelesen, nie von DNA gehört oder sich in Sachen Wissenschaft nur bei "Galileo" gebildet hat, den mag das Buch an etlichen Stellen überfordern. "Der Zauber der Wirklichkeit" erschließt sich eher einem Publikum mit unvertieftem Grundwissen.

Das ist nicht schlimm, irgendwo muss man ansetzen. Es gibt enorm starke Passagen, beispielsweise wenn Dawkins die scheinbar so einfachen, aber zu oft missverstandenen Mechanismen der Evolution darlegt. Das ist Aufklärung im besten Sinne: Man lernt etwas über und für das Leben.