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Untersuchungsbericht Ein Drittel aller US-Atommeiler weist Mängel auf

Stresstest nicht bestanden: In fast einem Drittel aller US-Atommeiler haben Inspektoren Schwachstellen bei den Ablaufplänen und der technischen Ausrüstung für Notfälle entdeckt. Die Behörden beteuern weiter, die Kraftwerke seien sicher.
AKW Three Mile Island in Middleton: Notfallpläne müssen neu überdacht werden

AKW Three Mile Island in Middleton: Notfallpläne müssen neu überdacht werden

Foto: TOM MIHALEK/ AFP

Washington - Die amerikanische Atomaufsichtsbehörde (NRC) bleibt bei ihrer Aussage: "Amerikas Atomanlagen sind sicher." Das hatte schon vor gut einem Monat der NRC-Chef Greg Jaczko verkündet, als auch in den USA die Debatten um die Sicherheit von AKW durch die Atomkatastrophe in Fukushima losgetreten wurde. Jetzt sagt es die Behörde erneut und ganz offiziell nach einer Überprüfung der Sicherheitsvorkehrung aller 104 US-Atomanlagen.

Dabei ist die Untersuchung, deren vorläufiger Abschlussbericht nun am Donnerstag in Washington vorgestellt wurde, alles andere als ein Durchmarsch. In fast einem Drittel der Anlagen haben die Inspektoren Probleme festgestellt. Und trotzdem sieht die NRC keinen Anlass zur Sorge: "Nach heutigem Stand hat die Arbeitsgruppe kein Problem gefunden, das unser Vertrauen in die fortdauernde Sicherheit und Notfallplanung der Atomkraftwerke in diesem Land untergräbt", sagte der Leiter der Untersuchung, Charles Miller.

Dem Bericht zufolge handelt es sich um Schwachstellen bei der Ausrüstung sowie den Notfallplänen und den Abläufen im Falle extremer Ereignisse wie Naturkatastrophen und Terrorangriffe. Technische Fehler, etwa bei der Konstruktion der Anlagen, seien dagegen nicht festgestellt worden. Die Inspektionen waren nach der Atomkatastrophe in Japan infolge des verheerenden Erdbebens und Tsunamis vom 11. März in Auftrag gegeben worden.

Unklar blieb, bei welchen AKW die Schwachstellen festgestellt wurden. Die stellvertretende NRC-Leiterin Mary Virgilio sagte aber, dass keine der Beobachtungen ein beträchtliches Sicherheitsproblem aufgezeigt habe. "Nach unserem heutigen Stand ist es unser Verständnis, dass alles, was gefunden wurde, korrigiert wurde."

Wie die "New York Times" berichtet, gehören zu den Schwachstellen auch Pumpen, die im Notfall nicht die geforderte Menge Wasser befördern würden. Ebenso hätten die Inspektoren Ausrüstungsteile entdeckt, die eigentlich nur für den Notfall gedacht seien, aber teilweise im regulären Betrieb an anderer Stelle verwendet würden. Auf der Mängelliste steht auch Notfallausrüstung, die im Falle einer Flutkatastrophe zum Einsatz kommen soll - aber ausgerechnet in jenen Bereichen gelagert ist, die geflutet werden könnte. Zudem mangelt es an manchen Stellen an ausreichenden Dieselreserven, um die Notstromaggregate betreiben zu können.

Selbst Kerntechniker zweifeln

Viele dieser Sicherheitsmaßnahmen gehören zu den sogenannten "B.5.b-Maßnahmen", die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 angepasst wurden. Bereits vor einem Monat waren aber interne Dokumente aus den Reihen der NRC durchgesickert, die Zweifel an diesen Maßnahmen laut werden ließen: Offenbar glaubten selbst NRC-Kerntechniker nicht, dass sie im Notfall wirklich wirksam genug sind.

"Während die NRC und die Atomindustrie der Bevölkerung versichert haben, dass es keinen Anlass zur Sorge gebe und dass wir im Falle eines nuklearen Desasters wie in Fukushima viel besser gewappnet wären, stellt sich heraus, dass sich führende NRC-Experten selbst nicht mehr so sicher sind", hatte der Atomkraftkritiker und Kerntechnikexperte Edwin Lyman seinerzeit gesagt.

Nun gibt sich die NRC also offensiv im Umgang mit den Problemen. Man werde die neu entdeckten Probleme sofort in Angriff nehmen, erklärte Virgilio in Washington. Allerdings habe man auch noch nicht alles untersucht. Man werde aber bald einen vollständigen Überblick haben, beteuerte er. So müsse man etwa noch den gesamten Katalog neuer Maßnahmen analysieren - die sogenannten Richtlinien zur Eindämmung ernster Unfälle. Die Richtlinien waren erst vor kurzem von der Atomindustrie freiwillig angenommen worden. Deshalb seien sie bisher nicht Teil der Untersuchung gewesen, so Virgilio.

Wie Charlie Miller sagte, müsse man darüber nachdenken, die Notfallpläne an einigen Stellen erheblich zu verbessern. Derzeit überprüfe die NRC etwa wie man im Notfall mit Anlagen umgehen muss, die aus mehreren Reaktorblöcken bestehen. Offenbar zeigt das Desaster in Fukushima, wo Betreiber Tepco verzweifelt versucht, die ernste Lage in drei von insgesamt fünf Reaktoren unter Kontrolle zu bringen, dass man auch auf solche Fälle vorbereitet sein sollte. Ebenso hatten Miller zufolge die US-Behörden bisher nicht mit einkalkuliert, wie man mit einer größeren Naturkatastrophe umgehen müsste, wenn auch die umliegenden Straßen, Energie- und Kommunikationsnetzwerke davon betroffen wären.

Debatte über provisorische Endlager

Unterdessen debattieren US-Experten auch über ein Endlager für radioaktiven Müll. Denn zwar haben die USA weltweit die meisten Atomkraftwerke, doch ein Endlager existiert bisher nicht. Nun hat eine Kommission Vorschläge für eine oberirdische Zwischenlagerung erarbeitet.

Wie die "New York Times" berichtet, schlägt die Arbeitsgruppe vor, den Müll zunächst nicht zentral in einem unterirdischen Endlager zu sammeln. Stattdessen sollen "eine Handvoll" oberirdischer Lager aus Stahl oder Beton errichtet werden, wo der Müll für die kommenden Jahrzehnte gelagert werden kann.

An diesem Freitag will die Kommission, die vom Energieministerium eingesetzt wurde, zusammentreffen und öffentlich über die Vorschläge debattieren. Als Standorte für die oberirdischen Lager seien etwa stillgelegte Kraftwerke im Gespräch, berichtete die Zeitung.

Die US-Regierung hat bisher etwa zehn Milliarden US-Dollar in ein mögliches Endlager in Yucca Mountain nahe Las Vegas investiert. 2002 beschloss der US-Kongress, Yucca Mountain als einzigen Standort für hoch radioaktiven Abfall in den Vereinigten Staaten auszubauen. US-Präsident Barack Obama hat dieses Projekt jedoch vorerst gestoppt. Die Kommission sprach sich dem Zeitungsbericht zufolge nun dafür aus, dass eine vom Energieministerium unabhängige Organisation eine geeignete Stelle für ein unterirdisches Lager suchen soll.

cib/dapd/dpa