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Umstrittenes Gerichtsverfahren Richter in Berlin sollen Klimaaktivisten im Schnellverfahren aburteilen. Aber so einfach geht das nicht

Letzte Generation Klimaaktivist
Festgeklebt: Eine Klimaaktivisten der Letzten Generation blockiert eine Straße in Berlin
© Imago Images
Im Eilverfahren sollen Richter am Amtsgericht Berlin-Tiergarten über Klimaaktivisten urteilen. Zwei Sonderkammern beschäftigen sich mit den Fällen. Das erste Schnellverfahren scheiterte. Läuft es beim zweiten besser?

Es war der 13. April 2022, als ein 26-Jähriger Student die Außenfassade der FDP-Parteizentrale in Berlin-Mitte mit Farbe beschmierte. Wegen Sachbeschädigung sollte er jetzt vor dem Richter stehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich ein Klimaaktivist vor Gericht verantworten muss. Die Zahl der Vergehen von Letzter Generation und Co. reichen von Bayern bis Sylt und beschäftigen Gerichte in der gesamten Bundesrepublik.

Allein die Berliner Staatsanwaltschaft meldete bis zum Mai fast 2000 Verfahren. 86 Urteile wurden bis dahin gesprochen, 40 davon waren rechtskräftig. Ob die Gerichte damit überfordert sind? Neu eingerichtete Abteilungen am Amtsgericht Berlin-Tiergarten sprechen zumindest dafür. Dort sollen fünf Richter im Schnellverfahren über die Taten der Klimaaktivisten verhandeln – aber nicht nur, wie eine Sprecherin der Berliner Strafgerichte auf stern-Anfrage mitteilt. Verhandelt werde über alle möglichen Fälle von Kleinkriminalität. Die zusätzlichen Abteilungen sollen bereits existierende Abteilungen entlasten, heißt es weiter. Auch über die Aktion des 26-Jährigen, der die FDP-Parteizentrale beschmierte, sollten eine Richterin im Eilverfahren urteilen.

Es wäre das zweite Mal innerhalb weniger Wochen. Zuvor musste sich ein 35-jähriger Student verantworten. Er hatte sich im November 2022 mit neun weiteren Aktivisten an einer Straßenblockade beteiligt und soll so den Verkehr behindert haben. Im Eilverfahren sollte die Richterin urteilen – und erklärte dies nach einer dreistündigen Verhandlung für unmöglich. Der Grund: Die Beweislage war nicht so eindeutig, wie sie laut Paragraf 417 Strafprozessordnung für das Schnellverfahren sein sollte. Denn neben der Straßenblockade, an der sich der 35-Jährige beteiligte, gab es weitere Klimaprotestaktionen, die sich möglicherweise ebenfalls auf den Verkehr auswirkten. Welche Aktion den Stau in der Stadt nun ausgelöst hat, wie lange er dauerte und wer betroffen war, geht weder aus den Gerichtsakten hervor, noch konnte die Polizei eindeutige Antworten liefern.

Schnellverfahren eignen sich nur, wenn der Fall eindeutig ist. Und das ist selten der Fall, erklärt Strafverteidiger Lukas Theune vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV) gegenüber dem stern. Zwar gebe es in Berlin ein Bereitschaftsgericht am Tempelhofer Damm, wo solche Verfahren durchgeführt werden, allerdings handelt es sich dabei um Bagatellfälle wie Ladendiebstähle, bei denen schon ein Geständnis vorliegt oder erwartet wird. Zudem stellt das Amtsgericht normalerweise den Antrag auf ein Eilverfahren.

In Berlin übernimmt das nun die Staatsanwaltschaft. "Das hat es zuvor noch nie gegeben", entrüstet sich Theune. Er hält Eilverfahren grundsätzlich für unsinnig, weil sie die Beweisaufnahme abkürzen, Rechte und Verteidigung einschränken.

Berliner Eilverfahren nicht für Klimaaktivisten geeignet

Der Fall des 35-jährigen Klimaaktivisten soll nun an einem neuen Termin in einer regulären Hauptverhandlung geklärt werden. "In der Kürze der Zeit kann der Sachverhalt gar nicht aufgeklärt werden", sagt Theune.

Dass das möglich ist, zeigt allerdings ein Fall in Bamberg. Anfang Juli eröffnete ein Gericht dort ein umstrittenes Schnellverfahren gegen Klimaaktivisten, die sich auf eine Straße in der Innenstadt festgeklebt und diese so blockiert hatten. Die Räumung durch die Polizei dauerte mehrere Stunden. In dem anschließenden Eilverfahren wurden sie jeweils zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 40 Tagessätzen verurteilt.

Juristen halten die Schnellverfahren für "rechtsstaatlich bedenklich", zumal die Gerichte bisher sehr unterschiedlich über die Klimaaktivsten urteilen und "in jedem einzelnen Fall verfassungsrechtliche Abwägungen zu treffen" sind, heißt es in einer Mitteilung des RAV und der Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen e.V. "Nur weil es viele Blockadeaktionen gibt, kommen wir nicht umhin, uns jeden Einzelfall anzugucken", sagt Verteidiger Tobias Krenzel dem "Spiegel".

Im Fall der Klimaaktivisten könnten die Eilverfahren auch "politisch motiviert" sein. Es dränge "sich der Eindruck auf, dass bewusst eine Sonderzuständigkeit für die Letzte Generation geschaffen wurde", heißt es in der Mitteilung der Anwaltsvereine. Ausnahmegerichte seien unzulässig, schreiben die Juristen unter Berufung auf Artikel 101 Grundgesetz. Sie befürchten, dass "die Justiz in Bezug auf die Letzte Generation nicht mehr unabhängig handelt".

Den Abteilungen am Amtsgericht Tiergarten sollen 27 Fälle vorliegen, bei denen die Staatsanwaltschaft ein Schnellverfahren beantragt hat, heißt es vom Amtsgericht. In elf Fällen seien die Anträge allerdings abgelehnt und in zwei Fällen zurückgenommen worden. Strafverteidiger Theune geht davon aus, dass "das Projekt" bald wieder eingestellt wird. Die Staatsanwaltschaft Berlin sei selbst von diesem Verfahren nicht mehr überzeugt. Der jüngste Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten deutet ebenfalls in diese Richtung: Wie die Sprecherin dem stern mitteilte, wurde das beschleunigte Verfahren gegen den 26-jährigen Klimaaktivisten, der die FDP-Parteizentrale beschmierte, noch am Abend vor dem Verfahren aufgehoben. Zu den Gründen äußerte sich die Richterin nicht öffentlich.

Quellen: Bundesministerium der Justiz, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V., "Spiegel", "Münchener Merkur", t-online.de, Letzte Generation

In einer früheren Version hieß es, dass sich ein 26-jährige Klimaaktivist in einem zweiten Verfahren dem Gericht stellen musste. Im Nachhinein teilte das Amtsgericht mit, dass das beschleunigte Verfahren noch am Vorabend aufgehoben wurde. Wir haben die Stelle entsprechend korrigiert.

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