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Logopädie Sprechen lernen mit "Neolexon" - eine neue App erleichtert die Sprachtherapie

Diese App erleichtert die Therapie von Menschen mit Sprachstörung
Mehr als schöne Worte – Mona Späth (l.) und Hanna Jakob wollen die Logopädie verbessern. Die App zeigt auf dem Tablet einen Begriff – der Patient soll ihn lesen, dem Hörbeispiel nachsprechen und das passende Bild finden
© Jonas Wresch
Zwei Sprachtherapeutinnen haben eine einzigartige App für Logopädie entwickelt. Patienten können damit selbstständig üben.
Von Christoph Farkas

Was ihm am 14. Januar 2014 passierte, beschreibt Thorsten Söhnholz heute so: "Auf einmal ist rechts nichts mehr. Dann umgefallen. Bei der Arbeit. Alles vergessen. Nicht mehr sprechen." Vier Jahre nach dem Schlaganfall ringt Söhnholz noch immer um jedes Wort. Der Hirninfarkt hat das Sprachzentrum des 50-Jährigen beschädigt. Sprechen, verstehen, lesen, schreiben – das alles war verschüttet.

Solche Störungen heißen in der Medizin Aphasie. Meist werden sie durch Schlaganfälle ausgelöst, seltener durch Tumore oder Schädel-Hirn-Traumata. Der Bundesverband Aphasie geht hierzulande von bis zu 160.000 chronisch Betroffenen und etwa 65.000 Neuerkrankten pro Jahr aus. Wie das Sprachzentrum der Erkrankten reaktiviert werden kann, ist gut erforscht: mit regelmäßiger Übung und Therapiestunden – am besten fünf bis zehn pro Woche.

"Neolexon" könnte logopädische Behandlung revolutionieren

Doch in der Realität, vor allem in den Praxen der Logopäden und Sprachtherapeuten, sieht es düster aus. Im Schnitt erhalten Aphasiker eine einzige Therapiestunde pro Woche. Die Krankenkassen zahlen nur für eine begrenzte Anzahl an Behandlungen, Ärzte verschreiben zu wenige Sitzungen, es fehlt an Therapeuten. Langfristig scheint sich die Lage noch zu verschlechtern. Im Oktober vergangenen Jahres veröffentlichte die Hochschule Fresenius eine Untersuchung, wonach die Hälfte aller Sprachtherapeuten darüber nachdenkt, den Beruf aufzugeben. Neben den begrenzten Möglichkeiten, intensiv mit den Patienten zu arbeiten, empfinden viele die Bezahlung als frustrierend.

Seit vergangenem Jahr eröffnet sich für Betroffene wie Thorsten Söhnholz eine neue Chance: Die erste Logopädie-App, die vom Therapeuten individuell dem Patienten angepasst werden kann, ist in Deutschland auf dem Markt. Ihr Name: "Neolexon". Entwickelt haben sie die Sprachtherapeutinnen Mona Späth, 28, und Hanna Jakob, 30. Tatsächlich könnten die Frauen, die gerade an der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität promovieren, mit ihrer App die logopädische Behandlung grundlegend verändern.

Bislang mussten Patienten mit Arbeitsblättern oder teuren Bilder-Karten beim Therapeuten trainieren. Thorsten Söhnholz dagegen sitzt an diesem Nachmittag in der hellen Praxis der Münchner Logopädin Barbara Amberg und sieht konzentriert auf ein Tablet. Gerade zeigt ihm die App Begriffe aus dem Büroalltag. Der ehemalige Sachbearbeiter muss die Wörter aussprechen und dann aus vier Bildern das richtige zuordnen: Schreibtischlampe, Kugelschreiber, Laptop. Das alles erkennt und spricht er flüssig. Nur bei "Schreibtischstuhl" muss er mehrmals ansetzen, die Therapeutin hilft ihm.

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Schon während des Studiums begannen die App-Erfinderinnen Späth und Jakob, in Praxen und Kliniken zu arbeiten. So lernten sie früh die frustrierenden Seiten des Sprachtherapie-Systems kennen. Dann, im Oktober 2013, machten sie Urlaub auf Sizilien. Sie lagen am Strand – und diskutierten ewig über die Frage, wie man den Arbeitsalltag besser machen könnte. "Wir haben uns gesagt: Entweder wir hören auf, uns über das System aufzuregen, oder wir unternehmen endlich was", erzählt Späth. Eines Tages hatten sie endlich die Idee: Man müsste eine App entwickeln, auf die Patienten immer Zugriff haben und mit der sie selbstständig üben können – und die außerdem dem Therapeuten ermöglicht, Thema und Schwierigkeit für jeden Fall individuell einzustellen.

Die Freundinnen hatten weder Ahnung von BWL noch von Programmieren. Aus dem Studium wussten sie, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft nur Grundlagenforschung finanziert, nicht aber die Entwicklung von Lehrmaterial. Schließlich schlug Hanna Jakobs Bruder, ein BWLer, den beiden vor, eine Existenzgründung an der Uni zu versuchen. Warum nicht auf diese Weise Gelder einsammeln und die App als Selbstständige entwickeln? Die Frauen skizzierten also auf zwei DIN-A4-Seiten ihre Idee. Der Bearbeiter im Gründungsbüro, das Studenten hilft, ihre Ideen zu entwickeln und zu finanzieren, nahm sie anschließend stundenlang auseinander. "Wir waren kurz vorm Heulen", sagt Jakob, "so bescheuert, wie der tat, war unsere Idee nun auch nicht, fanden wir." Und tatsächlich – am Ende sah das der Mann genauso. Er war dabei.

"Die App kann die Therapie alltagsnäher machen"

Es folgte ein arbeitsreiches, aufregendes Jahr. Späth und Jakob schrieben einen Businessplan, suchten Programmierer und – am wichtigsten –, sie bauten das Herz der App: die Datenbank. Nächtelang forschten sie nach Bildern von Schraubenschlüsseln, Rüsselkäfern oder Cognacschwenkern. Sie sprachen im Tonstudio Wörter ein und filmten sich dabei, damit Nutzer später die Mundbewegungen nachbilden könnten.

Heute kümmern sich drei studentische Mitarbeiter um die Datenbank, die inzwischen mehr als 7000 Wörter umfasst. Späth und Jakob fahren zu Messen, geben Workshops, schreiben Fördergeldanträge und beschäftigen sich mit der Zertifizierung der App als Medizinprodukt.

Noch können Interessierte die App kostenlos herunterladen. Ein paar Tausend Nutzer haben Späth und Jakob schon. "Es sind so viele, dass uns allein die Vorstellung überwältigt, wie es aussähe, wenn alle zusammen auf dem Hof unter unserem Büro stehen würden", sagt Späth. Täglich bekommen die Frauen begeisterte Mails. Darüber freuen sie sich. Doch um mit ihrer Idee langfristig Geld zu verdienen, müssen sie darauf hoffen, dass Krankenkassen eines Tages dazu bereit sind, eine Gebühr für die App zu erstatten. Immerhin, eine große Kasse hat Späth und Jakob für ein Förderprogramm ausgewählt– aus 160 Bewerbern. Außerdem entwickeln sie gerade eine Logopädie-App für Kinder. Dafür gäbe es einen wesentlich größeren Markt: Etwa eine Million Kinder in Deutschland haben Sprachstörungen.

"Die App kann die Therapie alltagsnäher machen", sagt Barbara Amberg, die Therapeutin von Thorsten Söhnholz. "Viele Patienten haben schließlich vor dem Schlaganfall auch mit Laptops oder Tablets gearbeitet. Das schafft Selbstvertrauen. Und sie können auch zu Hause ihr Wissen trainieren und festigen." Thorsten Söhnholz macht das – zwei-, dreimal pro Woche, je eine halbe Stunde lang. Für die nächsten Jahre hat er vor allem ein Ziel: "Sprechen, sprechen, sprechen!"

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