Anzeige

Hirschhausens Sprechstunde Warum wir regelmäßig ein Auge zudrücken

Im Zweifel für das Auge: Obwohl es sich ziemlich leicht täuschen lässt, benimmt es sich innerhalb der Sinne äußerst selbstbewusst.
Im Zweifel für das Auge: Obwohl es sich ziemlich leicht täuschen lässt, benimmt es sich innerhalb der Sinne äußerst selbstbewusst.
© Colourbox
Zehnmal pro Minute gehen unsere Augen zu. Warum wir von der Sendepause nichts merken, erklärt Dr. med. Eckart von Hirschhausen.

Wann haben Sie das letzte Mal geblinzelt? Sie erinnern sich nicht dran? Sehen Sie: Wir blenden das Ausblenden total aus! Zehnmal pro Minute gehen unsere Augen kurz auf und zu. Das heißt: In knapp zehn Prozent der Zeit, die wir mit offenen Augen verbringen, sind die gar nicht offen! Wieso nur merken wir nix davon? Warum wird es für uns nicht immer wieder zappenduster?

Das Geheimnis liegt nicht am Auge, sondern im Gehirn. Wie in jeder größeren Organisation wird nach oben hin der Bericht immer beschönigt, das heißt der Chef - das Bewusstsein - erfährt nie die ganze Wahrheit. Unten in der Produktion ist alle paar Sekunden Totalausfall der Empfangsstation. Aber wenn der Chef fragt, wie sieht es an der Basis aus, bekommt er jedes Mal zu hören: Ja, ja, alles in Ordnung. Wir beschummeln uns sehenden Auges, jedes Mal wenn wir ein Auge zudrücken!

Obwohl sich das Auge offensichtlich sehr leicht täuschen lässt, benimmt es sich innerhalb der Sinne äußerst selbstbewusst, um nicht zu sagen machomäßig. Unsere Sinne sind ja dazu da, aus der Welt um uns herum Sinn zu machen. Doch wenn Auge und Ohr unterschiedliche Informationen liefern, wem wird geglaubt? Zum Beispiel Bauchredner: Unser Verstand weiß, die Puppe auf der Hand kann nicht sprechen. Das Ohr meldet: quakende Stimme vom Kehlkopf des Sprechers, dort wo die Stimme ja auch herkommt. Aber egal wie schlecht der Bauchredner ist, wir hängen nicht an seinen Lippen, sondern an denen der Puppe, weil diese sich bewegen.

Im Zweifel für das Auge

Justitia im Gehirn ist nicht blind. Sie entscheidet: im Zweifel für das Auge. Und so sprechen wir einer Stoffpuppe auch als erwachsene Menschen im wahrsten Sinne eigenes Leben zu. Absurd. Sie müssen nicht ins Varieté gehen, um das zu überprüfen. Kino geht auch! Obwohl bei einem Dialog beide Schauspielerstimmen aus ein und demselben Lautsprecher in der Mitte der Leinwand kommen, "orten" wir sie bei den sichtbaren Mündern rechts und links. Wieder muss die Info vom Ohr sehen, wo sie bleibt. Das Auge setzt seine Sichtweise immer durch. Wir verzeihen sogar, wenn in schlecht synchronisierten Filmen statt des zweisilbigen "Fuck off" im englischen Original die Übersetzung lautet: "Gehen Sie mir aus den Augen, Sie Schuft." Und dabei ist der Mund des Schauspielers schon lange zu. Egal. Wir fallen drauf rein.

Sie können den Bauchredner-Effekt in Notfällen auch für sich nutzen. Dann, wenn Ihr Bauch tatsächlich einmal peinlicherweise redet und Sie zwischen vielen Menschen stehen. Alle haben es gehört, nur weiß noch keiner sicher, wessen Verdauung sich da ins Gespräch eingemischt hat. Nur Sie als Verursacher wissen es. Da heißt es cool bleiben und einen entsetzten Blick auf jemand anderen neben Ihnen werfen, dem dann von allen nachträglich das Geräusch in die Schuhe geschoben wird. Oder eine Etage höher. Wie gesagt, bitte nur im diplomatischen Notfall anwenden.

Eckart von Hirschhausen GesundLeben
VG-Wort Pixel