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Chaos, Tote und Brandstiftung Die Silvesternacht hat bewiesen: Ein Böllerverbot muss dringend her

Silvesternacht Berlin
In Berlin brannte in der Silvesternacht ein Reisebus aus – das kann und darf kein Normalzustand sein.
© Paul Zinken / DPA
Endlich wieder Böller! Endlich Raketen! Nicht wenige haben sich auf den uneingeschränkten Verkauf von Pyrotechnik offenbar tierisch gefreut – und anschließend eindrücklich bewiesen, dass ein Verbot unabdingbar ist.

Es ist der 1. Januar 2023, Mittagszeit. Aus meinem Büro höre ich, was ich die letzten Tage von nachmittags bis spätabends ertragen musste: Böller. Schier unendliche Vorräte der nervigen Kracher, nicht selten illegal aus dem Ausland beschafft, reißen mir meinen Geduldsfaden entzwei. Den Höhepunkt der hemmungslosen Sprengung jeglicher Vernunft haben wir – zum Glück – hinter uns. Mit einer absolut niederschmetternden Bilanz. Verbotspolitik hin oder her: Das muss aufhören. Sofort.

Zündeln im Namen der Freiheit

Die Liste der Nachteile von privatem Feuerwerk ist ellenlang: Es ist gefährlich für die Anwender. Es ist – besonders in der heutigen Zeit – eine absolute Umweltsauerei. Es versetzt Tiere aller Art in Angst und Schrecken. Und es stellt eine Gefahr für Leib und Leben Unbeteiligter dar. Die Liste der Vorteile? Es ist laut, macht Krach, leuchtet schön und ist Tradition. In einem gewissen Rahmen wäre das auch irgendwie zu tolerieren – aber diesen Spielraum haben rücksichtslose "Idioten" (Zitat der Polizei Berlin) gleich mit in die Luft gejagt. Im Namen der Freiheit.

Was man in den sozialen Medien unter dem Hashtag "Welcome110" lesen muss, könnte als Drehbuchvorlage für Hollywood dienen – ist aber Realität. Besonders die Berliner Polizei zeigt, was Sprengstoff in den Händen einiger weniger anrichten kann. Eine Handvoll Highlights: "Aus dem 14. Stock eines Hochhauses in Waidmannslust sollen Kinder Böller auf Passanten und Tiere werfen", "In Kreuzberg werden vom Dach des NKZ Pyros auf Passanten geworfen", "In Haselhorst ist ein Betrunkener ins Auto gestiegen, hat mit Pyros auf Personen und Gebäude geballert und ist dann davon gefahren" und "Beim Löschen eines brennenden Fahrzeuges auf der Sonnenallee wurden unsere und die Kollegen der Berliner Feuerwehr massiv mit Böllern angegriffen."

Die Bilanz der Hauptstadt: 38 Angriffe auf Einsatzkräfte, zahlreiche brennende Autos, Dachgeschosse in Flammen. Alleine die Feuerwehr zählt 1700 Einsätze in nur einer Nacht – 700 mehr als im Vorjahr. Um 3:04 Uhr verabschiedet sich die Polizei auf Twitter und schreibt: "Das Lesen der Notrufe ist uns hier zunehmend schwerer gefallen." Die Kollegen auf der Straße sollten noch einige Stunden beschäftigt sein.

"So schlimm wie vorher"

Aber nicht nur in Berlin war es eine Schreckensnacht, an der Zehntausende leiden mussten, während vergleichsweise wenige Personen sich austobten. Dramatische Meldungen kamen auch aus dem Rest der Republik: In Unna explodierte ein "pyrotechnischer Gegenstand" in der Jackenkapuze eines Zweijährigen und verletzte das Kind schwer. In Gotha verlor ein Mann durch die Detonation eines illegalen Böllers beide Unterarme. In Schleiz und Weißenfels sprengten sich zwei Männer die Hand weg, in Leipzig starb ein 17 Jahre alter Teenager durch eine Explosion.

Das bedeutet nicht nur für die Polizei und die Feuerwehr eine Nacht des Schreckens, sondern auch für Ärzte und Pflegepersonal. Die Diskussion um ein generelles Verbot ist deshalb so aktuell, weil man zu dieser Silvesternacht erstmals einen direkten Vergleich zu zwei vorangegangenen Jahren hat, in denen Pyrotechnik nicht offiziell verkauft wurde – und damit deutlich weniger Menschen die Möglichkeit hatten zu zündeln.

Der Deutschen Presse-Agentur sagte Cord Corterier, leitender Oberarzt der Spezialklinik für Handchirurgie und Brandverletzungen des BG Klinikums Bergmannstrost: "Dieses Jahr ging es wieder so schlimm los wie vorher." Gemeint ist 2019, vor der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Einschränkungen.

Eine Debatte sollte daher nicht erst wieder im Dezember 2023 geführt werden, wenn das Chaos erneut seinen Lauf nimmt, sondern jetzt. Mit dieser Meinung bin ich nicht alleine, sondern schließe mich Experten wie dem Landeschef der Gewerkschaft der Polizei an. Man sehe, sagte Stephan Weh, "dass Pyrotechnik ganz gezielt als Waffe gegen Menschen eingesetzt wird." Wie kann man das zulassen?

Ein Appell an Eigenverantwortung hat sich doch nun wirklich erledigt. Die vergangene Nacht – nein, die vergangenen Tage und Wochen – haben gezeigt, dass es eben nicht funktioniert.

Die Freiheit weniger, die meinen, sich durch die Nacht ballern zu müssen, hat so schlimme, so vermeidbare Folgen, dass man es einfach nicht länger hinnehmen sollte, dass die Dinge sind, wie sie sind. 

Kontrolliertes, schönes Feuerwerk zu Mitternacht, geplant und gezündet von Profis – gerne, warum nicht. Gigantische Böller und Raketen in den Händen oftmals angetrunkener Personen? Ich meine: Schluss damit – und schreibe diese Zeilen, während es draußen noch immer kracht.

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