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Spuren in Bayern Nicht jeder Bär ist ein "Problembär": Das können wir von anderen Ländern lernen

Ein Braunbär klettert im Gehege im Wildpark Poing auf einem Baum
In den vergangenen Tagen wurden in Bayern mehrfach Spuren gesichtet, die eindeutig einem Bären zugeordnet werden konnten
© Lino Mirgeler / DPA
Wilde Bären in Deutschland sind selten – noch. Deshalb sollte die Gesellschaft wieder lernen, wie mit den Tieren umzugehen ist, findet Bären-Experte Christopher Schmidt. Denn nicht jeder Bär ist ein "Problembär".

Wenn ein Bär in Deutschland auftaucht, ist es meist nicht weit, bis er zum "Problembären" erklärt wird. Dieses Schicksal ereilte schon Braunbär Bruno 2006. Nach mehr als 170 Jahren war Bruno der erste Wildbär auf deutschem Boden – und wurde nach nur drei Tagen durch den damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) zum Abschuss freigegeben. Bruno war wohl auf Nahrungssuche gewesen und hatte dabei Schafe gerissen, Bienenstöcke und Kaninchenställe geplündert. Der "Problembär" wurde durch Stoiber selbst zum geflügelten Wort: "Wenn die Experten sagen, das ist ein absoluter ... Problembär, da gibt es nur die Lösung, ihn zu beseitigen, weil einfach die Gefahr so groß ist."

Nun ist in diesen Tagen wieder ein wilder Bär in Bayern unterwegs. Auch dieser hat bei Rosenheim zwei Schafe gerissen und ein drittes Tier verletzt, das anschließend eingeschläfert werden musste. Und das, nachdem Anfang April Bärin Gaia – Brunos biologische Schwester, wie DNA-Analysen zeigten – einen Jogger im Norden Italiens verletzt und getötet hatte. Nur etwa 120 Kilometer von Bayern entfernt. Die Bärin wurde mittlerweile gefangen, ein Gericht untersagte den Abschuss – vorerst. Doch mit den neuen Bärenspuren in Deutschland dauert es nicht lange bis zu der Debatte, wie wohl mit den mutmaßlichen "Problembären" umgegangen wird. Abschießen oder leben lassen?

Die Bevölkerung sollte sich auf Bären einstellen

Diese Frage werden sich Politikerinnen und Politiker wohl noch öfter stellen müssen. Denn die Bärenpopulation in Deutschland wird zunehmen, davon geht der Bären-Experte Christopher Schmidt im Gespräch mit dem stern fest aus: "Wir sollten uns vorbereiten und schon jetzt Maßnahmen treffen, insbesondere was die Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung angeht. Denn der Bär wird sich nicht auf uns einstellen." Schmidt ist Pressesprecher der Stiftung für Bären, einer Tierschutzorganisation, die sich für das Wohlergehen von Wildtieren wie Bären und Wölfen einsetzt.

In Europa leben etwa 17.000 Wildbären, schätzt die Umweltorganisation WWF. Die meisten davon leben in Rumänien, vorrangig in den Karpaten. Zeitweise waren die Braunbären in Europa fast ausgerottet, weil der Mensch mehr und mehr Raum eingenommen hat und über Jahre gezielt Jagd auf Braunbären gemacht wurde. Deshalb genießen diese heute einen Schutzstatus, durch EU-Regeln wie die Berner Konvention.

Wie man mit den Tieren am besten umgeht, ist ein häufiger Streitpunkt zwischen Tier- und Umweltschützern und der Politik. Die Regierung möchte in erster Linie die eigene Bevölkerung schützen, weshalb Rumänien an diesem Freitag vorgeschlagen hat, mehr Bären zum Abschuss freizugeben. Zu viele Menschen seien durch Angriffe der Tiere ums Leben gekommen, sagte der rumänische Umweltminister Barna Tanczos Anfang April. 14 Tote waren es in Rumänien zwischen 2016 und 2021 und 154 Verletzte. Auch der bayerische Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) bezeichnete die Sicherheit der Menschen als absolut vorrangig, nachdem dort Bärenspuren gesichtet wurden. "Im Ernstfall kommen alle Maßnahmen in Betracht", sagte er am Donnerstag in München.

Ob Gewitter, Erdbeben oder Bären – Menschen sollten aufgeklärt werden

Wilde Bären sind keine Kuscheltiere. Deshalb muss die Gesellschaft handeln, um insbesondere tödliche Zwischenfälle zu vermeiden, sagt Tierschützer Christopher Schmidt: "Es entstehen immer Konflikte, wenn der Mensch in einen Lebensraum vordringt, der nicht sein eigener ist oder auch umgekehrt. Da hat weder der Mensch Schuld noch das Wildtier." Deshalb solle die Gesellschaft wieder mit Bären leben lernen, wenn sie Interesse am Schutz der Wildtiere habe.

Das fängt bei der Aufklärung an. Wer beispielsweise in den Vereinigten Staaten einen Nationalpark betritt, in dem sich Bären aufhalten, wird über Schilder und Flyer informiert: "Sie sind jetzt im Bärenland." Auch online kann man auf der Homepage des Parks jederzeit nachlesen, wie man sich gegenüber den Wildtieren zu verhalten hat, worauf bei Übernachtungen zu achten ist und wie Park-Besucherinnen und Besucher ihr Essen verstauen sollten. Denn Bären-Nasen sind sieben Mal so gut wie die von Hunden, sie können Nahrung kilometerweit riechen.

Ein Bären-Warnschild im Yosemite Nationalpark, USA
Ein Bären-Warnschild im Yosemite Nationalpark, USA. Wer Lebensmittel dabei hat, soll diese bärensicher verstauen
© agefotostock / Imago Images

Auch in anderen Ländern, in denen die wilden Tiere häufiger vorkommen, werden ähnliche Maßnahmen ergriffen. Die Slowakei beispielsweise setzt bärensichere Mülleimer ein, so Christopher Schmidt: "Damit konnten die Zwischenfälle um 50 Prozent reduziert werden."

Ebenfalls in Osteuropa gibt es spezialisierte Bären-Einsatzteams, die bei Sichtungen rund um die Uhr angefordert werden können. Diese haben das professionelle Know-how und die technische Ausstattung, um individuell entscheiden zu können, wie bei Bären-Sichtungen vorgegangen wird. Ein Vorbild für Deutschland, findet Schmidt, denn hierzulande wisse niemand, wer bei einem Zwischenfall angerufen werden könne. Bestenfalls würde dieses Vorgehen auch auf EU-Ebene koordiniert – ein wilder Bär kennt keine Ländergrenzen.

Mit am wichtigsten ist jedoch, dass die Bevölkerung aufgeklärt wird. Die meisten Menschen bekommen schon als Kind beigebracht, wie sie sich im Falle eines Gewitters verhalten müssen. Ähnlich sollte man bei Wildtieren auch aufgeklärt werden, sagt Schmidt: "Bären haben individuelle Charaktere  und sind sehr intelligent. Deshalb gehen sie ungern Konflikte ein, weil sie wissen, dass eine Verletzung für sie den Tod bedeuten kann." Wer einen Bär trifft, sollte Ruhe bewahren und dem Tier genügend Raum lassen, damit es sich zurückziehen kann. Aber nicht auf den Bär zugehen, rät der Experte, denn der sei meist ähnlich aufgeregt wie der Mensch.

Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Stoiber sieht sich nach dem Bärenvorfall in Italien in seiner Entscheidung von 2006 bestätigt, sagte er vergangene Woche dem "Münchner Merkur". Der "schlimme Vorfall" zeige "leider auf furchtbare Weise, wie richtig die Experten damals lagen". Heute ließe sich mit diesen Vorkehrungen vielleicht mancher Abschuss vermeiden.

Quellen:   Bundesumweltministerium, National Park Service Yosemite, WWF, "Deutschlandfunk", "Münchner Merkur"

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