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Richtlinienkompetenz Scholz greift zu einem scharfen Schwert. Was das über den Zustand der Koalition verrät

Bundeskanzler Olaf Scholz (M., SPD)
Bundeskanzler Olaf Scholz (M., SPD), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (l., Bündnis 90/Die Grünen) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP)
© Action Press
Der Bundeskanzler verordnet der Ampel-Koalition einen Kompromiss. Scholz' Gebrauch von seiner Richtlinienkompetenz ist mehr als nur ein Machtwort, wie auch führende Parteigenossen in der Vergangenheit stets betont hatten.

Olaf Scholz hat den Atomstreit innerhalb der Ampel-Koalition um den Weiterbetrieb der drei verbliebenen AKW beigelegt, besser gesagt: Er hat ihm ein Ende verordnet.

Er habe, teilte Scholz am Montagabend in einem Brief mit, als Bundeskanzler "entsprechend Paragraph 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung" entschieden, dass drei statt zwei Meiler länger laufen sollen (mehr dazu lesen Sie hier). Paragraph 1, das heißt: Richtlinienkompetenz. Und: Basta, so wird es nun gemacht. Die "Koalition auf Augenhöhe", die Scholz vor zehn Monaten versprach, dürfte von nun an eine andere sein. 

Denn der Einsatz der Richtlinienkompetenz ist mehr als eine Art Machtwort des Regierungschefs, wie auch Parteigenossen von Scholz in der Vergangenheit immer wieder betont hatten. Das "Kanzlerprinzip" ist gewissermaßen die vorletzte Machtoption vor der Vertrauensfrage, wenn ein Kompromiss ausweglos erscheint und der Problemlösung nicht mit milderen Mitteln beizukommen ist. Das ist nun offenkundig der Fall gewesen. Insofern ist Scholz' Schritt auch ein Eingeständnis, dass die Partnerschaft im Geiste der unbedingten Gemeinsamkeit vorerst gescheitert ist. 

Das wirft unweigerlich Fragen auf, die miteinander verknüpft sind: War das nötig? War es das wert? Und was folgt daraus für die Ampel-Koalition?

Das Machtwort-Manöver wurde nötig, weil sich Grüne und FDP im AKW-Streit derart verhakt hatten, dass eine zeitnahe Lösung im Dauerstreit nicht mehr absehbar war. Die Grünen hatten eben erst auf ihrem Parteitag ihre Position in der Atomfrage zementiert, sogar eine "rote Linie" definiert, die von den Liberalen aber nicht aktzeptiert worden wäre. Dem vorausgegangen war zudem ein monatelanges Gerangel zwischen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP), das immer mehr die Züge einer persönlichen Auseinandersetzung angenommen hatte und folglich kein gutes Licht auf die Koalition warf. Scholz hat dem nun ein Ende gesetzt, indem er einen Kompromiss durch seine Richtlinienkompetenz herbeigeführt hat.

"Wer die Richtlinienkompetenz als Kanzler gegen den Koalitionspartner ausübt, der beendet die Koalition. (…) Wenn es zwischen den handelnden Personen kein Vertrauen gibt, dann sollte man die Sache gleich ganz lassen. An jedem Kabinettstisch muss fair miteinander umgegangen werden." – Sigmar Gabriel, früherer SPD-Parteivorsitzender und Vizekanzler (im Jahr 2013)

Wert war es das auf den ersten Blick für alle Seiten: Der Kanzler gibt den führungsstarken Steuermann, einerseits, und hält als Sündenbock für Grüne und FDP her, andererseits. Nicht zuletzt ist das leidliche Streitthema vom Tisch. Allerdings nur vorerst. Zwar signalisierten sowohl Habeck als auch Lindner, hinter der Entscheidung zu stehen. Allerdings muss das entsprechende Gesetz, das nun auf dieser Grundlage erarbeitet werden soll, noch den Bundestag passieren. Auch die Fraktionen von Grünen und FDP müssen dem Ruf des Kanzlers also noch folgen – und werden dies, nach allem, was man bislang feststellen kann, wohl auch tun. Dennoch: Scholz hat den Streit zwar per Richtlinienkompetenz für beendet erklärt, beigelegt oder geschlichtet ist er damit freilich nicht. 

Folglich geht eigentlich keiner der Akteure als unbedingter Gewinner vom Platz. Sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen, hinter der sich alle versammeln können, war offenbar unmöglich. Also hat Scholz die Linie vorgegeben. Am Ende steht ein klassischer Kompromiss, bei dem zwar alle Seiten etwas bekommen, aber nicht alles, was sie gefordert hatten. Eine denkbar simple Lösung – zu der die Koalitionäre aus eigener Kraft offenbar nicht in der Lage waren. Jedenfalls nicht ohne Anweisung vom Chef. 

Das Ampel-Bündnis wird somit noch unter Beweis stellen müssen, wie belastbar sein eigener Anspruch ist, den die drei Parteien in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben haben. Unter der Überschrift "Wie wir arbeiten wollen" heißt es, dass die Koalition "aus unseren drei so unterschiedlichen Parteien" unter anderem "eine Kultur des Respekts befördern" wolle. "Wenn wir es schaffen, gemeinsam die Dinge voranzutreiben, kann das ein ermutigendes Signal in die Gesellschaft hinein sein: dass Zusammenhalt und Fortschritt auch bei unterschiedlichen Sichtweisen gelingen können."

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