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Die Tuchel-Tragik Zwei Coaches in zwei Jahren: Wie der FC Bayern seine Weltklasse-Trainer verschliss

Thomas Tuchel und Julian Nagelsmann scheiterten an dem komplizierten Gebilde FC Bayern
Thomas Tuchel und Julian Nagelsmann scheiterten an dem komplizierten Gebilde FC Bayern
© Robert Michael / Jan Woitas / DPA
Seit Sommer 2021 hat der FC Bayern seine Trainer gewechselt wie die Spieler ihre Unterhosen. Tuchel und Nagelsmann scheiterten unter anderem an dem komplizierten Machtgebilde des Klubs – das die beiden Coaches nicht verstehen wollten.

Um Thomas Tuchel muss man sich keine Sorgen machen. Der Noch-Trainer des FC Bayern ist zwar ab dem 1. Juli 2024 arbeitslos. Als international hoch anerkannte Fachkraft wird er vermutlich aber keine Probleme haben, direkt den nächsten Job zu ergattern. Vielleicht übernimmt er ja den FC Barcelona oder den FC Liverpool, die beide im Sommer neue Trainer suchen. Dann dürfte auch Julian Nagelsmann wieder auf dem Markt sein. Sein Vertrag als Projekt-Bundestrainer mit Spezialauftrag Europameisterschaft endet nach dem Turnier. Es kann gut sein, dass sie um die freien Trainer-Stellen bei europäischen Topklubs konkurrieren.

Vielleicht werden sie auf der Suche nach einer neuen Beschäftigung von ihren Erfahrungen beim FC Bayern profitieren. Tuchel wie Nagelsmann sind an eigenen Fehlern gescheitert, aber auch an den komplizierten Machtverhältnissen im Verein. Der FC Bayern ist seit jeher ein Gebilde, in dem Spieler viel Macht haben, für Trainer gilt das weniger. Akzeptieren sie nicht die wahren Machtverhältnisse im Biotop an der Säbener Straße, ist schnell Schluss. Selbst Sieben-Pokale-Trainer Hansi Flick musste nach einem verlorenen Machtkampf mit Sportvorstand Hasan Salihamidzic um Spieler-Transfers gehen.

Dessen Nachfolger Julian Nagelsmann, der im Sommer 2021 für eine Ablösesumme von 20 Millionen Euro von RB Leipzig losgeeist wurde, hatte durch die Erfolge seines Vorgängers aber ein Problem: Die Ansprüche an Nagelsmann waren gewaltig. Von Beginn an stand die Frage im Raum: Ist der junge Coach überhaupt reif genug für einen der anspruchsvollsten Trainer-Jobs in der Welt?

Nagelsmann: Ein Sonderling ohne Anpassungswillen

Nagelsmann trug durch sein Verhalten dazu bei, dass die Widerstände und die Skepsis ihm gegenüber schnell wuchsen. Er rollte auf dem Longboard zum Training, trug extravagante Kleidung und beschimpfte Schiedsrichter als "weichgespültes Pack". Manchmal kam er wie ein Berufsjugendlicher daher, der es an der nötigen Ernsthaftigkeit mangeln ließ. Das kam nicht so gut an. Seine manchmal flapsige Art in Interviews oder auf Pressekonferenzen verstärkte den Eindruck, dass es nicht passte. So erklärte Nagelsmann im Herbst 2022 öffentlich, dass er "keine Lust" auf den traditionellen Besuch des Oktoberfests habe. Es kriselte damals nach drei Unentschieden und einer Niederlage gegen den FC Augsburg, Nagelsmann reagierte gereizt. Auch seine Beziehung zu Bild-Reporterin Lena Wurzenberger verursachte Irritationen, bis sie ihren Job kündigte.

Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Nagelsmann wie Tuchel wurde es am Ende zum Verhängnis, dass sie Taktik und Mannschaft umbauen wollten – und sich nicht gegen die Macht der Spieler durchsetzten. Sie begingen den Fehler (wie Hansi Flick), sich nicht geschmeidig genug an die FCB-DNA anzupassen.

Nagelsmann legte sich mit Manuel Neuer an, als er dessen Torwarttrainer Toni Tapalovic feuern ließ. Das geschah ausgerechnet in der Zeit, als sich Neuer wegen seiner schweren Verletzung nach einem Skiunfall in der Reha befand. Neuer beklagte sich darüber später in einem berühmt gewordenen Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" ("Ich hatte das Gefühl: Mir wird mein Herz rausgerissen"). Ein anderer Superstar, Robert Lewandowski, meckerte über die taktische Ausrichtung und zeigte sich zunehmend unzufrieden.

Ein schwacher Rückrundenstart Anfang 2023 und der Verlust der Tabellenführung nach einer Niederlage gegen Bayer Leverkusen nahmen die damaligen Bosse Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic zum Anlass, den Coach zu feuern. Nagelsmann hätte zu diesem Zeitpunkt noch alle drei Titel gewinnen können. Es spielte offenbar eine große Rolle, dass Thomas Tuchel gerade zur Verfügung stand. Doch der Befreiungsschlag misslang. Die Bayern flogen gegen den SC Freiburg aus dem DFB-Pokal, in der Champions League folgte das Aus gegen Manchester City. Die Meisterschaft gewann Tuchel nur, weil Borussia Dortmund am letzten Spieltag die Nerven versagten. Zu guter Letzt feuerte der FC Bayern Kahn und Salihamidzic. Aus heutiger Sicht war die ruppige Entlassung ein Fehler, auch wenn es mit Nagelsmann nicht perfekt lief.

Tuchel verlor den Glauben ans eigene Team

Tuchel scheiterte auf andere Art. Er beging ebenfalls einen Fehler, als er gleich vor der neuen Saison öffentlich die "holding six" forderte, einen defensiven Mittelfeldspieler nach seinen Vorstellungen. Dass er damit Führungsspieler wie Leon Goretzka und Joshua Kimmich vor den Kopf stieß, unterschätzte er. Oder es war ihm egal. Machtstrategisch war es auf jeden Fall unklug. Die Distanz Tuchels zum Team (auch zu anderen Spieler wie Thomas Müller) blieb bis zum bitteren Ende bestehen und vertiefte sich am Ende dramatisch. Wer Tuchel während des Spiels gegen Bochum beobachtete, wie er angesichts der Leistung der Mannschaft die Hände vor dem Gesicht zusammenschlug, erhielt eine Ahnung davon, wie wenig der Trainer noch an das Team glaubte.

Und umgekehrt genauso. Kimmich schien wegen seiner Auswechslung gegen Bochum vor Wut fast zu platzen. Als es nach dem Schlusspfiff in die Kabine ging, entlud sich der geballte Frust bei Kimmich in einem deftigen Wortgefecht mit Co-Trainer Zsolt Löw. Es war ein mehr als ersichtlich, dass es nicht stimmte zwischen Mannschaft und Trainer. Kimmichs Disziplinlosigkeit, die die Verantwortlichen später herunterspielten, war ein Ausdruck für die Macht der Kabine.

Tuchel ist als eigenwilliger Kopf bekannt, doch der Verein fand genauso wenig einen Umgang mit ihm. Er bekam weder im Sommer- noch in der Winterpause die Spieler, die er sich wünschte. Die Transfer-Task-Force mit den Granden Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß holte zwar Superstar Harry Kane, machte aber ansonsten einen schlechten Job. Tuchel stand auf einmal mit einem sehr kleinem Kader da. Das rächte sich, als sich Spieler verletzten und Tuchel improvisieren musste.

Die Mannschaft zeigte dennoch phasenweise hochklassigen Fußball (mit Kane und Leroy Sané in Hochform), aber auch merkwürdige Aussetzer. Das 1:5 gegen Eintracht Frankfurt zum Ende der Hinrunde war so ein Spiel. Das Team fiel komplett auseinander und die schwankenden Leistungen setzen sich fort. Im Spitzenspiel gegen den überragenden Tabellenführer Bayer Leverkusen folgten die Spieler nicht dem gewagtem Aufstellungsexperiment des Trainers. Der FC Bayern verlor sang- und klanglos 0:3. Die folgenden Niederlagen gegen Lazio Rom und VfL Bochum besiegelten das Aus Tuchels.

Dass er bis zum Saisonende bleiben darf, verdankt Tuchel der Tatsache, dass die Bayern-Führungsetage den Fehler der viel zu frühen Nagelsmann-Entlassung nicht wiederholen wollte. Man will einen sauberen Schnitt. Eine Garantie, dass Tuchel das Ende der Saison auf de Bank der Bayern erlebt, ist es nicht. Vielleicht sollten sich die Bayern-Verantwortlichen an die Geschichte von Louis van Gaal erinnern. Der hatte es einst gewagt, die damalige Nummer eins im Tor der Bayern, Jörg Butt, nach der Winterpause auf die Bank zu verbannen. Eine sportliche Krise kam hinzu und in der Mitte der Rückrunde beschloss man, sich am Ende der Saison zu trennen. Der Plan ging nicht auf. Vier Spieltage vor Saisonende musste van Gaal vorzeitig gehen. Gut möglich, dass es Tuchel ähnlich ergeht.

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