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Rat vom Jobcoach Wie man ein traumatisches Ereignis im Job verarbeitet

Mit professioneller Hilfe lassen sich schockierende Ereignisse besser verarbeiten
Mit professioneller Hilfe lassen sich schockierende Ereignisse besser verarbeiten
© CentralITAlliance
Plötzlich sackt der Kollege im Aufzug zusammen: Ein dramatisches Ereignis im Büro wirft Frau B. aus der Bahn. Mental Health-Expertin Reinhild Fürstenberg erklärt, wie Augenzeugen und Helfer mit Unfällen und ähnlichen Schock-Situationen auf der Arbeit umgehen können.
Von Reinhild Fürstenberg
Die Führungskraft von Frau B.* hatte ihr empfohlen, sich direkt bei uns zu melden. Denn Frau B. hatte vor zwei Tagen ein belastendes Ereignis im Unternehmen erlebt, stand dadurch komplett neben sich und war nicht mehr in der Lage, zu arbeiten. Was war passiert?
Frau B. arbeitet seit zwei Jahren im Vertrieb des kleinen Unternehmens. Sie fährt jeden Tag mit dem Fahrstuhl in den achten Stock, wo ihr Büro ist. So auch an jenem Dienstag, als ein Kollege, den sie sehr gut kennt, neben ihr im Fahrstuhl plötzlich umkippte und nicht mehr ansprechbar war. Für Frau B. eine schwierige Situation: Die hektischen Versuche, ihrem Kollegen zu helfen und erste Hilfe zu leisten sowie gleichzeitig den Fahrstuhl anzuhalten, lösten Panik bei Frau B. aus und die restliche Fahrt bis zur Öffnung der Fahrstuhltür kam ihr schier ewig vor. Ein totaler Stressmoment für Frau B., zumal sie allein mit ihrem Kollegen im Fahrstuhl war, mit dem Gefühl, die Kontrolle zu verlieren und gleichzeitiger Angst um das Leben ihres Kollegen. 
Auch nachdem der Kollege aus dem Fahrstuhl schon längst von zwei Rettungssanitätern abgeholt worden war, geriet sie in einen immer schlimmeren Strudel aus Angst, wirren Gedanken und Selbstvorwürfen, bis sie nur noch weinen konnte. Anderthalb Stunden später erfuhr Frau B., dass ihr Kollege wieder stabil war, was sie zwar sehr erleichterte, jedoch ihren Zustand nicht wesentlich verbesserte. 
Reinhild Fürstenberg
Reinhild Fürstenberg ist Gesundheitswissenschaftlerin, systemische Beraterin und Familientherapeutin. Das von ihr geleitete Fürstenberg Institut aus Hamburg berät Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter, wie sie psychische Belastungen reduzieren, Veränderungen gesund gestalten und die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben verbessern können. Für den stern berichtet die Expertin in loser Folge von Fällen aus ihrer Beratung - und erklärt, was wir daraus lernen können. 
© Verena Reinke

Hilfe in der Sofortberatung

Noch am selben Tag meldet sich Frau B. über ihr Unternehmen bei unserer Sofortberatung. Die Beraterin fragt zunächst, was passiert ist und beruhigt Frau B., die immer noch sehr aufgelöst ist. Sie fragt auch, was für Frau B. in der Situation besonders schlimm gewesen ist. Frau B. erzählt, dass der Anblick ihres Kollegen, als er sich nicht mehr bewegte und auch nicht ansprechbar war, sie sehr erschüttert hat. Hinzu kam, dass zwei ihrer Kolleginnen ihre Angst gar nicht verstehen konnten, denn "es kam doch schnell Hilfe und alles ist gut ausgegangen". Frau B. dachte: Stimmt etwas nicht mit mir?  
Die Beraterin erklärt, dass ihre Reaktion eine normale Reaktion auf so ein unnormales Ereignis ist – und nicht Frau B. diejenige ist, die falsch oder überempfindlich reagiert hat. Die Seele ist in solchen außergewöhnlichen Situationen einfach überfordert – die Datenmengen, die dann im Gehirn ankommen, können oft nicht so ohne Weiteres verarbeitet werden, auch wenn es sehr unterschiedlich ist, was Menschen als traumatisch erleben. So eine traumatische Situation ist wie ein Erdbeben für die Seele; unser ganzer Organismus wird einmal durchgeschüttelt. Wir haben nichts, an dem wir uns festhalten können: Der Boden wird uns buchstäblich unter den Füßen weggezogen.
Die Beraterin erklärt Frau B. aber auch, dass dieser Zustand nicht anhält und sich von Tag zu Tag bessert – die Datenmenge wird vom Gehirn nach und nach "abgearbeitet". Sie rät Frau B. auch, sich bewusst zu machen, dass ihr Leben und Alltag im Grunde so geblieben ist wie vorher, es sich nur durch das Geschehene, dass mit voller Wucht wirkt, anders anfühlt. Frau B. ist erleichtert – zum einen über die guten Aussichten und zum anderen darüber, mit einer Person sprechen zu können, die ihre Situation versteht und sich mit ihrem Thema auskennt. 
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In den Alltag zurück finden

Die Beraterin bespricht mit Frau B., worauf sie jetzt achten sollte. Wichtig ist zunächst, sich im Alltag möglichst viel Struktur zu geben, weil durch das Ereignis die innere Struktur nicht mehr so gut greifbar ist wie sonst. Ein geregelter Tagesablauf, leichte Tätigkeiten, aber auch entspannende Bewegung wie regelmäßige Spaziergänge können dabei helfen und sind für viele Betroffene gerade in der Anfangszeit eine große Stütze. Je schneller man wieder in die Alltagsstabilität zurück findet, desto besser ist es für das eigene Wohlbefinden. Oft ist es auch hilfreich, über das Erlebte mit vertrauten Personen, die sich dafür interessieren und Verständnis haben, zu sprechen. Und Dinge zu unternehmen, die guttun und zur Entspannung beitragen. Es ist ebenfalls ratsam, genügend zu trinken und regelmäßige Mahlzeiten zu sich zu nehmen, um auch den Körper nach einem belastenden Ereignis zu stärken.
Frau B. berichtet, dass ihr mehrfach am Tag und auch in der Nacht das Bild ihres Kollegen im Aufzug in den Sinn kommt und sie nicht weiß, wie sie die Bilder loswerden kann. Dazu empfiehlt die Beraterin zwei Wege: Zum einen soll Frau B. die auftretenden Bilder wie Wolken wegziehen lassen, aber nicht dagegen anarbeiten – dann verstärken sie sich eher. Die zweite Möglichkeit ist, dass sie sich bewusst mit etwas ablenkt, etwas Praktisches tut, rausgeht oder in der Nacht auch mal aufsteht. Die Beraterin erklärt, dass das Auftreten der Bilder ein Verarbeitungsmechanismus ist und dass sie in den nächsten Tagen und Wochen weniger werden sollten. Wenn dies wider Erwarten nicht der Fall sein sollte, gibt es gute Methoden wie "EMDR" oder "Wingwave", mit denen die Bilder im Gehirn ausgeglichen werden können und sich dann aufheben. 
Die Beraterin geht mit Frau B. die Gestaltung der nächsten Tage durch, damit sie eine gute und entspannende Struktur hat, an der sie sich orientieren kann. Frau B. möchte sich in drei Tagen noch einmal melden und glaubt, die Zeit bis dahin ganz gut überbrücken zu können. Die Beraterin freut sich, dass Frau B. am Thema dranbleiben möchte. Frau B. ist froh, dass sie jetzt eine Anlaufstelle hat, die sie jederzeit anrufen kann, wenn sie merkt, dass sie nochmal Rückenstärkung braucht. Da sie ein sehr gutes Verhältnis zu ihrer Führungskraft hat, informiert sie diese kurz über die positiven Impulse, die sie bekommen hat. Auch die Führungskraft ist erleichtert, dass es Frau B. besser geht.

Hier meine Tipps für Sie:

  • Verinnerlichen Sie: Geschockt und handlungsunfähig zu sein ist eine ganz normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis.
  • Wenn Sie können, sprechen Sie mit vertrauten Personen, von denen Sie sich verstanden fühlen, über das Erlebte. Unterdrücken Sie ihre Gefühle nicht, geben Sie ihnen aber gleichzeitig nicht zu viel Bedeutung.
  • Versuchen Sie, so bald wie möglich in Ihren gewohnten Alltag zurückzukehren.
  • Achten Sie auf Struktur: Ein geregelter Tagesablauf, leichte Bewegung und leichte Tätigkeiten unterstützen die Heilung.
  • Auch wenn es vielleicht schwerfällt: Tun Sie Dinge, die Ihnen Freude bereiten und die Sie als wohltuend und entspannend empfinden. Das hilft der Psyche beim Verarbeitungsprozess. 
  • Essen Sie regelmäßig und trinken Sie genügend.
  • Zögern Sie nicht, bei Bedarf psychologische Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

* Fallbeispiel aus der Beratungspraxis des Fürstenberg Instituts. Der Fall wurde mit dem Einverständnis des/der Betroffenen anonymisiert.

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