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Landwirtschaft Das blühende Geschäft mit Öko-Produkten und warum so viele Bauern umstellen

Biobauern auf dem Vormarsch: Abkehr von konventioneller Landwirtschaft
Biobauernhof-Betreiberin Mechthild Knösel züchtet Schweizer Originalbraunvieh. Aus dem ganzen Land kommen Landwirte, um von ihr zu lernen.
© Djamila Grossman/stern
Früher wurden sie belächelt. Heute sind sie die Helden. Ökohöfe schützen die Natur – und damit uns. Über die Revolution auf dem Acker, im Stall und im Supermarkt.

Es war ein leiser Sieg, fast unbemerkt. Auch deshalb erinnert sich Mechthild Knösel so gern daran. Irgendwann jedenfalls fiel ihr das Handwerkerauto auf, das immer um die Mittagszeit vor der alten Scheune stand. Dann sah sie den Fahrer, einen Elektriker im Blaumann. Er kaufte im Hofladen ein Wurstbrot für die Mittagspause. "Das war der Moment, als ich wusste: Wir gewinnen", sagt Knösel. "Der Mann hätte auch ins nahe Café beim Baumarkt gehen können. Aber er kommt lieber zu uns, zu den Ökos."

Biohofgut Rengoldshausen am Bodensee

Noch vor wenigen Jahren war der Hofladen im Keller versteckt. Heute prangt an der Zufahrt zum Gut ein großes Schild, der Laden ist ins Erdgeschoss umgezogen, mit großen Schaufenstern und stolzer Auslage. Im Sommer kommen 6000 Leute zum Hoffest. Über 1200 Kunden haben die Grüne Kiste mit Obst, Gemüse, Salaten und Kräutern abonniert.

Bio kommt aus der Nische.

Laut "Ökobarometer 2018" des Bundeslandwirtschaftsministeriums kaufen mehr als drei Viertel der Verbraucher inzwischen Bioprodukte, ein Viertel sogar "häufig". Die Ökobauern bewirtschaften 1,4 Millionen Hektar Land, also acht Prozent der Fläche Deutschlands – ein Gebiet fast so groß wie Schleswig-Holstein, auf dem kein Gift und kein Kunstdünger ausgebracht wird. Und es wird sehr schnell sehr viel mehr. Jeden Tag steigen fünf Betriebe auf ökologische Landwirtschaft um. Im letzten Jahr exakt 1727. Ihr Motto: nieder mit der Giftspritze – zurück zur Hacke. Vor 20 Jahren gab es knapp 10.000 Ökohöfe, heute wirtschaftet jeder zehnte Hof biologisch – mehr als 30.000 Bauern.

Landwirt Christoph Dietzel stellt seinen Hof auf Bio um. Nun versorgt Kleegras seine Felder auf natürliche Weise mit Stickstoff. Im Ökolandbau ist Kunstdünger verboten. Hund Barnie darf fast immer mit.
Landwirt Christoph Dietzel stellt seinen Hof auf Bio um. Nun versorgt Kleegras seine Felder auf natürliche Weise mit Stickstoff. Im Ökolandbau ist Kunstdünger verboten. Hund Barnie darf fast immer mit.
© Jonas Wresch/stern

Als Mechthild Knösel vor 20 Jahren auf dem Demeter-Hof in Rengoldshausen als Aushilfe anfing, interessierte sie sich gleich für Rinder. Sie wurde Landwirtin, aber keine gewöhnliche. Sie arbeitete auf Almen in den Alpen, auf einem Hof im Schwarzwald, auf Farmen in Namibia und Südafrika. Dann kam sie mit ihrem Mann zurück nach Rengoldshausen und setzte eine Idee um, für die sie damals belächelt und angefeindet wurde. Heute pilgern Hunderte Landwirte jedes Jahr zu ihrem Hof, um zu lernen.

Knösel züchtet Schweizer Originalbraunvieh. Das Besondere: Bei ihr bleiben die Kälber bei den Müttern. Auf konventionellen Höfen werden sie nach der Geburt getrennt und mit billiger Ersatzmilch aufgezogen. Knösels Kühe tragen auch stolz ihre Hörner. Auf konventionellen Höfen werden die Tiere meist enthornt – was extrem schmerzhaft ist, aber platzsparend im Stall. Außerdem stehen Knösels Kühe, Kälber, Färsen und Bullen fast das ganze Jahr über auf der Weide. Nur zum Melken müssen die 45 Kühe zweimal täglich in den Stall – samt ihren Kälbern –, und Knösel treibt sie mitten durchs Dorf vorbei an Kindergarten, Schule und Seniorenheim. Die Technik des Treibens lernte sie von einem Rancher aus Amerika.

Gestiegener Verdienst der Biobauern

Beim Züchten lässt sie sich von Experten aus den Niederlanden beraten. Die Methode heißt Triple-A, es ist eine Art Parship für Rinder. Welche Tiere passen mit welchen Eigenschaften am besten zusammen? Wenn die anderen auf der Weide sind, holt Knösel das passende Pärchen zum Natursprung in den Stall. Echter Sex mit einem Bullen statt Befruchtung mit Sperma aus dem Gefrierbeutel. "Das ist einfach geiler", sagt Knösel und lacht.

Vor dem Kuhstall wartet eine Besuchergruppe: zwei Dutzend Bauern und Bäuerinnen. Breitbeinig und in dreckigen Gummistiefeln stellt sich Knösel allen Fragen. Sie erzählt, wie sie es geschafft hat, ihre Viehwirtschaft nicht nur gut für die Tiere, sondern auch profitabel zu machen. Die Bullen gehen nach zwei Jahren mit 800 Kilo Lebendgewicht auf die Schlachtbank. Die Kühe geben 5000 Liter Milch im Jahr. Sie kauft kein Kraftfutter, keinen Mais, keine Antibiotika. "Nur Gras", sagt sie, "kostenmäßig ist das Low Input."

Morgens füttert Bauer Dietzel seine Tiere mit Kleegras. Ihr Fleisch bringt den dreifachen Preis.
Morgens füttert Bauer Dietzel seine Tiere mit Kleegras. Ihr Fleisch bringt den dreifachen Preis.
© Jonas Wresch/stern

Mechthild Knösel gehört zu einer neuen Generation der Biobauern. Leidenschaftlich, aber nicht ideologisch. Sie sagt: "Missionieren ist Energieverschwendung. Ich mache, was ich für richtig halte, und die Leute kommen und wollen es von mir wissen." Sie ist mit der Besuchergruppe am Melkstand angekommen. Ein großer Teil der Milch geht in den Direktverkauf. Knösel erzählt, wie groß ihre Angst war, als sie den Preis für Vorzugsmilch um 30 Cent auf 1,99 Euro je Liter erhöht hat. "Ich habe echt lange gezögert." Und tatsächlich hagelte es Zuschriften. Aber die Kunden reagierten anders als befürchtet. Wohlwollend. Sie schrieben, gute Ware koste nun mal Geld.

Biobauern verdienen inzwischen mehr als ihre konventionell wirtschaftenden Kollegen. Das Jahreseinkommen eines Ökos liegt im Schnitt bei über 40.000 Euro. Ein Nicht-Öko kommt auf knapp 33.000 Euro, also rund 20 Prozent weniger.

Umstellbetrieb Dietzel in Twistetal-Berndorf, Hessen

Die Dietzels sind stolze Bauern. Seit sechs Generationen bewirtschaften sie den Hof mit 92 Hektar Ackerland, 40 Zuchtsauen und 500 Mastschweinen. Wenn die Glocken zwölf Uhr schlagen, treffen sie sich zum Mittagessen: Vater und Mutter Dietzel, Sohn Christoph und Schwiegertochter Dorothee mit dem einjährigen Emil. Hofhund Barnie muss auf der Terrasse bleiben, zum Trost bekommt er einen großen Knochen. Eine dampfende Kasserolle mit Gemüseauflauf kommt auf den Tisch. Jeder nimmt sich, der Kleine sitzt bei Mama und nuckelt am Fläschchen. Die "Alten" haben den Hof an die Jungen übergeben. Mehr noch, im Familienkreis haben sie vor zwei Jahren entschieden: Die Dietzels werden Biobauern.

Bioland-Mitarbeiter Jan Gröner (2. v. l.) berät Familie Dietzel bei der Umstellung auf Ökolandbau
Bioland-Mitarbeiter Jan Gröner (2. v. l.) berät Familie Dietzel bei der Umstellung auf Ökolandbau
© Jonas Wresch/stern

Der Umstieg in das neue Bauernleben war aufregend, manchmal auch nervenzehrend.

Vater: "Wir haben die Hälfte der Tiere abgestockt. Pro Tier muss jetzt mehr übrig bleiben, um den Gewinn zu halten. Das hat mir schon Angst gemacht."

Sohn: "Die Frage war: Kommen wir mit weniger Tieren wirklich aus?"

Vater: "Heute wissen wir, ja, es hat sich gelohnt."

Sohn: "Früher haben wir für ein Schwein 120 oder 130 Euro bekommen. Für Bioschweine bekommen wir jetzt dreimal so viel."

Mutter: "Seit wir Ökobauern sind, fühlen wir uns alle freier und wohler. Oder nicht?"

Schwiegertochter: "Mir fällt auf, die Männer arbeiten mit mehr Freude."

Und so erzählen die neuen Biobauern vom Übergang in die neue Ära. Vom anfänglichen Argwohn der Nachbarn. Von der Sorge, dass zu viele Disteln in den Kornfeldern stehen oder Schädlinge die Ernte auffressen.

Heute kommt auch Jan Gröner vom Ökobauernverband Bioland auf den Hof. Er hat die Dietzels zu Ökobauern gemacht, so wie vor ihnen schon 300 andere Landwirte in Hessen. Gröner ist Umstellungsberater. Ein Coach und Experte, der die Dietzels beim Umbau des Stalls beriet, ihnen beim Abschluss eines langfristigen Liefervertrags mit Edeka half, und als der Sohn zum ersten Mal mit dem Traktor den Striegel zog, dieses Gerät, das mit kleinen Stahlzinken den Boden aufbricht – da rief er Gröner vom Acker an, weil er fürchtete, er habe zu heftig gestriegelt und die Ernte vernichtet. Gröner beruhigte ihn: "Keine Panik, die Pflanzen stehen wieder auf." Der Sohn war erleichtert. Heute sagt er: "Ich habe 2002 Landwirtschaft studiert. Ökolandbau stand da nicht auf dem Lehrplan. Ich wusste ganz vieles nicht."

Kuh und Kalb bleiben auf dem Demeter-Hof in Rengoldshausen viele Monate zusammen
Kuh und Kalb bleiben auf dem Demeter-Hof in Rengoldshausen viele Monate zusammen
© Djamila Grossman/stern

Am Abend werden die Schweine noch einmal gefüttert. Der Stall liegt ein paar Kilometer draußen vor dem Dorf. Was sofort auffällt: Es stinkt dort nicht. Die Tiere sind entspannt. Die Ferkel, Sauen und Mastschweine haben Auslauf, allesamt tragen sie noch ihre Ringelschwänze, und es gibt richtigen Mist mit viel Stroh dazwischen. Damit werden die Felder gedüngt. Zusätzlich säen die Dietzels Kleegras, ein wahres Wunderkraut in der Ökolandwirtschaft: Es bindet über seine Wurzeln Stickstoff aus der Luft. Die Dietzels kaufen keinen Kunstdünger und auch keine giftigen Spritzmittel. Das spart viel Geld.

Thünen-Institut in Braunschweig

Das Gebäude liegt in einem parkartigen Gelände. Im Zweiten Weltkrieg entwickelten hier die Nazis Technik für Flugzeuge. Zum Schutz vor feindlichen Aufklärern wurden die Gebäude im Wald verteilt. Heute befindet sich hier das staatliche Thünen-Institut, die wichtigste landwirtschaftliche Forschungseinrichtung Deutschlands. In Haus Nr. 63 sitzt Jürn Sanders, ein junger Betriebswirt mit ausgeprägtem Hang zu Statistiken und harten Fakten.

Zusammen mit 21 weiteren Wissenschaftlern ging Sanders in den vergangenen zwei Jahren einer Frage nach: Was leistet der ökologische Landbau für Umwelt und Gesellschaft? Oder anders: Wer ist besser fürs Land?

Die Forscher werteten dafür 528 Studien aus, die in den vergangenen

30 Jahren zum ökologischen Landbau erschienen sind. Sanders sagt: "Das Wissen war da, es wurde aber nie systematisch geordnet und ausgewertet." Seit wenigen Wochen ist das Sanders-Team mit der Metastudie fertig. Die Ergebnistabellen passen auf ein DIN-A4-Blatt. Überall da, wo Biobauern besser abschneiden, sind die Kästchen grün.

Grün beim Gewässerschutz: Ökos verzichten gänzlich auf Gift gegen Schädlinge, Pilze und Unkraut. Auf ihre Äcker und Wiesen kommt auch kein Kunstdünger.

Biobauer und Lobbyist: Felix Prinz zu Löwenstein kämpft um Subventionsmillionen aus Brüssel
Biobauer und Lobbyist: Felix Prinz zu Löwenstein kämpft um Subventionsmillionen aus Brüssel
© Jonas Wresch/stern

Grün bei der Bodenqualität: Auf Ökofeldern leben im Durchschnitt 78 Prozent mehr Regenwürmer. Grün bei der Artenvielfalt: Auf Ökoflächen gedeihen bis zu 95 Prozent mehr Arten. Auch bei den Vögeln und Insekten geht es bunter zu. Grün bei der Klimaanpassung: Bioböden speichern mehr Wasser, das schützt bei Starkregen vor Überschwemmungen und bei Hitze vor Dürren. Grün beim Klimaschutz: Ökoböden speichern pro Hektar viel mehr Kohlenstoff.

Nur in einem Leistungsbereich zeigt die Ampel Rot und in einem anderen Gelb. Rot sind die Biokühe, denn sie geben weniger Milch als ihre Turbo-Kolleginnen, pupsen und rülpsen also pro Liter mehr klimaschädliches Methan in die Luft. Und Gelb beim Tierwohl, weil noch nicht genug Studien vorliegen. Aber Sanders äußert eine Vermutung: "Bio ist für das Wohlbefinden der Tiere sehr wahrscheinlich besser."

Mit seinem bunten A4-Blatt sitzt er nun oft in Diskussionsrunden mit Bauern und Politikern. Es ist "Sprengstoff pur" für die alte Landwirtschaft. Sanders weiß das. Doch es macht ihm nichts aus. Er sagt: "Ich bin Wissenschaftler, die Politik muss die Weichen stellen. So funktioniert das nun mal."

Biofach 2019, Weltleitmesse in Nürnberg

Schon morgens um zehn wird es in den Messehallen eng. Über 50.000 Fachbesucher sind da, so viele wie nie zuvor. Noch vor zehn Jahren bastelten die Aussteller ihre Stände aus Apfelkisten, heute ist modernster Messebau am Werk. Die Möbel wurden aus polierten Holzpaletten zusammengeschraubt, das sieht edel aus und ist komplett recycelbar. Hostessen schenken in kleinen Bechern aus abbaubarem Plastik Bio-Kombucha aus. In neun Hallen wird gebacken, gekocht, gebrutzelt. Brot, Bulgur, Burger, Bier – alles Bio.

Für "Einkäufer und Entscheider" ist die Halle 8 ein Muss. Auf einer Fläche so groß wie ein Tennisfeld werden "Neuheiten" ausgestellt: Milchschokolade mit Tigernuss, Moosbeere und Mandeln, Biokraftbrühe aus Wildknochen, 18 Stunden lang erhitzt, Bio-Tofu-Crisper für Singlehaushalte, veganer Aufschnitt mit orientalischem Geschmack, das Superfood-Müsli in einer Verpackung, die sich vollständig in Wasser auflöst – Hunderte Produkte. Bio ist Big Business.

"Neuheiten"-Halle bei der Biofach 2019 in Nürnberg: Die Branche boomt wie nie zuvor
"Neuheiten"-Halle bei der Biofach 2019 in Nürnberg: Die Branche boomt wie nie zuvor
© Philipp von Ditfurth/stern

Durchs Gewusel bewegt sich ein hochgewachsener Mann unauffällig und geschmeidig – es ist der oberste Lobbyist der Biobauern in Deutschland. Sein Name: Felix Prinz zu Löwenstein. Seiner Familie gehört das Biohofgut Habitzheim in Hessen. Löwenstein führt seit 17 Jahren den "Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft". Zu seinem Job gehört, für die Ökos so viele Subventionsmillionen wie möglich aus Brüssel herauszuholen. Und je zahlreicher seine Truppen werden, desto fordernder tritt er auf. Er weiß: Er ist der Mann fürs Morgen.

Bisher läuft es mit den Subventionen so: Pro Jahr stützt die EU ihre Bauern mit rund 60 Milliarden Euro. Rund sechs Milliarden fließen nach Deutschland. Der größte Teil wird als sogenannte Direktzahlung an Landwirte ausgeschüttet, rund 300 Euro pro Hektar. Im Schnitt stammt etwa ein Drittel ihres Einkommens aus Brüssel, ohne das Geld könnten die meisten Bauern wirtschaftlich nicht überleben. Das Gros der EU-Zahlungen ist an keine Bedingung, etwa an Natur- oder Gewässerschutz, geknüpft.

Allianzen mit Erzfeinden

Ökolobbyist Löwenstein fordert nun, Bauern entsprechend ihrer Leistungen für die Gesellschaft zu bezahlen. Er hat das Papier von Jürn Sanders genau studiert und findet: Wer Fauna, Flora und das Klima schützt, soll mit Steuergeldern unterstützt werden; wer dagegen Boden und Gewässer überdüngt, Insekten den Lebensraum nimmt und Tiere mit Antibiotika vollpumpt, soll leer ausgehen. Es wäre das Aus für den agro-industriellen Komplex. Es wäre der endgültige Sieg der Biobauern.

Der Streit ums Geld wird in den kommenden Monaten hitziger werden: Die EU-Kommission will die Verteilung der Gelder wieder viel stärker auf die nationale Ebene verlagern. Das heißt: Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner bekommt mehr Spielraum. Der Bund kann dann nicht mehr nur 4,5 Prozent, sondern bis zu 32 Prozent der Subventionen so umschichten, dass sie die Ökolandwirtschaft unterstützen – 1,5 Milliarden Euro im Jahr. Er muss es nur machen.

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Prinz zu Löwenstein weiß, dass er gewinnen wird. Er macht Druck. Er will Tempo: "Mich macht es total fertig, dass die Veränderung noch nicht da ist", sagt er. Schon jetzt werde das Geld in manchen Bundesländern für die Beratung von Umstellbetrieben knapp.

Vor allem aber haben die Biobauern in Deutschland Angst, dass andere Länder in der EU schneller und konsequenter ihre Landwirtschaft umbauen. Dass die Ökokonkurrenz auf dem Kontinent mehr staatliche Unterstützung bekommt und so mehr Produkte billiger anbieten kann. Wenn es nach Ministerin Klöckner geht, sollen 2030 in Deutschland 20 Prozent der Fläche biologisch beackert werden. In Österreich sind es schon heute 25 Prozent, und hier, auf der Messe, werden große Bereiche der Hallen 1, 4 und 5 von Bios aus Österreich, Italien, Frankreich und Spanien belegt. Bei ihrem Kampf um die Märkte der Zukunft schließen die deutschen Biohöfe deshalb sogar Allianzen mit ihren Erzfeinden: mit den mächtigen Discountern.

Lidl-Filiale, Heilbronn

Schon bevor die Kunden auf dem Parkplatz aus ihren Autos steigen, sehen sie auf einem riesigen Plakat, wie Milchbauer Keanu aus Noer eine Kuh streichelt. Von einem zweiten grüßt Apfelbauer Henrik aus Jork. Die revolutionäre Botschaft der Jungbauern: "Bioland für alle".

Seit Jahresbeginn kooperiert der größte Discounter der Welt mit dem mächtigsten deutschen Bioverband. Lidl will grüner als alle anderen werden. Draußen steht eine Stromtankstelle bereit, im Eingangsbereich werden auf einem Bildschirm abwechselnd das aktuelle Wetter und die Strommenge gezeigt, die selbst an einem nasskalten Tag wie diesem von der Solaranlage auf dem Dach geerntet wird. Das Innere des Marktes ist hell, grell – und stellenweise grün. Es ist die Farbe von Bioland. Biomilch für 1,05 Euro, Bioquark für 69 Cent, Bio-Gartenkresse für 49 Cent.

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Jan Bock, Einkaufschef von Lidl Deutschland, ist aus der nahen Firmenzentrale in Neckarsulm herübergeeilt. "18 Monate haben wir verhandelt, bis die ersten Biolandprodukte in unseren Regalen standen", erzählt er. Es war ein wichtiger Deal für ihn. Alle bieten inzwischen Bio an, Aldi, Rewe, Edeka – und sie alle fürchten, Amazon könnte mit seiner Ökomarke Whole Foods auf den deutschen Markt drängen.

Für diesen Fall aber hat sich Jan Bock gut gerüstet. Er hat es geschafft, sich mit der größten Bauernarmee des Landes zu verbünden: 7700 Biolandbauern produzieren nun auch für Lidl. Bock musste ihnen vertraglich zusichern, dass ihre Produkte nicht in Sonderangeboten verramscht werden. Eine Ombudsstelle mit Juristen, die von Bioland ausgewählt wurden, wacht darüber.

Der Pakt hat die Biowelt aufgeschreckt. Die einen jubeln: Jetzt sind wir endgültig raus aus der Nische! Die anderen fürchten Dumping, Wertverfall und manche auch den Verlust eines Privilegs: Hochwertiges Bio ist jetzt für alle da.

Bock greift ins Kühlregal und hält eine Packung Bioland-Milch wie eine Trophäe. Er sagt: "Wir erleben einen Wettkampf um mehr Nachhaltigkeit." Die Geschäftszahlen seien geheim, aber so viel sagt Bock dann doch: "Bio wächst bei uns zweistellig."

Durch das Lager geht es eine Treppe hinauf in die Personal- und Pausenräume. Bock setzt sich an einen der weißen Plastiktische und erklärt seine Strategie. Nicht die Klientel der kleinen Bioläden ist sein Ziel, er will den großen Ketten wie Alnatura, Denn's oder Bio Company Kunden abjagen – und natürlich dem Erzrivalen Aldi. Die Deutschen geben pro Kopf und Jahr rund 122 Euro für Bio aus. Die Schweizer führen mit 288 Euro die internationale Tabelle an, aber Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Absatzmarkt der Welt: In nur zehn Jahren verdoppelten sich hier die Ausgaben für Ökolebensmittel von fünf auf über elf Milliarden Euro. Zu den Bestsellern gehören Milch, Eier, Gemüse, Speiseöl und Obst. Der Anteil von Biofleisch ist mit rund zwei Prozent noch klein, aber auch er wächst schnell. Und die Biobauern haben schon ein neues Ziel im Visier: die Kantinen von Altenheimen, Schulen, Behörden, Krankenhäusern und Unternehmen. Wenn in zehn Jahren auf 20 Prozent der Wiesen und Äcker Naturkost wächst, brauchen die Biobauern neue Absatzkanäle.

Biohofgut Rengoldshausen am Bodensee

Auf dem Hof von Mechthild Knösel wird es Abend. Die Kühe sind gemolken, die Bäuerin verteilt noch eine Fuhre duftendes Heu. Dann ist die Arbeit geschafft. Sie ist ein bisschen außer Atem, die Heugabel dient ihr jetzt als Stütze. Knösel sagt, sie sei heute viel selbstbewusster als früher. "Wir Ökos wissen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir lernen ständig dazu. Wir werden immer besser." Ihre eigene Geschichte erzählt davon.

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