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Strafbefehlsverfahren gegen einen Wohnsitzlosen

LG Dresden, Az.: 3 Qs 107/15, Beschluss vom 30.10.2015

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der den Strafbefehlsantrag vom 15.06.2015 zurückweisende Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 29.09.2015 aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeschuldigten im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

I.

Strafbefehlsverfahren gegen einen Wohnsitzlosen
Symbolfoto: Von Peyker /Shutterstock.com

Mit Verfügung vom 15.06.2015 hat die Staatsanwaltschaft Dresden bei dem Amtsgericht Dresden gegen den wohnsitzlosen Angeschuldigten den Erlass eines Strafbefehls über eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10,00 Euro wegen eines Vergehens des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln beantragt.

Durch den angegriffenen Beschluss vom 29.09.2015 hat das Amtsgericht den Antrag auf Erlass des Strafbefehls zurückgewiesen, da der Angeschuldigte im Sinne des § 276 StPO abwesend sei und auch eine Zustellung an die von ihm benannte Zustellungsbevollmächtigte aufgrund Unwirksamkeit der Zustellungsbevollmächtigung ausscheide Die Unwirksamkeit ergebe sich daraus, dass schon bei Erteilung der Zustellungsbevollmächtigung allen Beteiligten bewusst gewesen sei, dass die Zustellungsbevollmächtigte zuzustellende Schriftstücke in Ermangelung einer Anschrift nicht an den Angeschuldigten würde weiterleiten können und dennoch unter Verletzung des Gebots des fairen Verfahrens keine telefonische Erreichbarkeit der Zustellungsbevollmächtigten in die Zustellungsbevollmächtigung aufgenommen worden sei. Die fehlende Zustellmöglichkeit begründe die Zurückweisung des Strafbefehlsantrags.

Die Staatsanwaltschaft macht in ihrer hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde insbesondere geltend, eine Zustellungsbevollmächtigung könne – wie hier – auch dann wirksam sein, wenn die Voraussetzungen nicht vollständig vorliegen.

II.

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

1.

Zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass ein Strafbefehl gegen Abwesende im Sinne des § 276 StPO nicht ergeht (vgl. Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 407 RN 35). Fehlt die Möglichkeit zur Zustellung des Strafbefehls, so steht dies zwar dem Erlass des beantragten Strafbefehls entgegen, rechtfertigt aber nicht die Ablehnung des Strafbefehlsantrages gemäß § 408 Abs. 2 StPO, sondern führt lediglich in entsprechender Anwendung des § 205 StPO zur vorläufigen Einstellung des Verfahrens (vgl. Karlsruher Kommentar, a. a. O., § 408 RN 5; Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl, § 408 RN 30; Kleinknecht-Müller-Reitberger, StPO, § 408 RN 22, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., RN 16).

Schon aus diesem Grund war der angegriffene Beschluss auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft aufzuheben.

2.

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist die erteilte Zustellungsbevollmächtigung vorliegend aber auch nicht unwirksam.

Zwar hat das Amtsgericht die fehlende Mitteilung einer telefonischen Erreichbarkeit der Zustellungsbevollmächtigten an den Angeschuldigten angesichts seines fehlenden festen Wohnsitzes zutreffend unter Hinweis auf die Rechtsprechung der Kammer als Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens bemängelt, in der hier gegebenen Konstellation zieht dieser Verstoß aber nicht die Unwirksamkeit der Zustellungsvollmacht nach sich.

Ist schon bei Erteilung der Zustellungsbevollmächtigung ersichtlich, dass die Zustellungsbevollmächtigte ihre Funktion nicht in der sonst üblichen Weise – durch Nachsenden des zuzustellenden Schriftstücks mit formlosem Brief an die in der Zustellungsbevollmächtigung angegebene Anschrift des Beschuldigten – erfüllen kann, so ändert dies nichts daran, dass es grundsätzlich Sache des Beschuldigten ist, dafür Sorge zu tragen, dass die Zustellungsbevollmächtigte ihn in der Folge zuverlässig informieren kann (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19.06.1995, 4 St RR 102/95, Rpfleger 1996, 41). In dieser Konstellation gebietet es aber die Pflicht zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens, den besonderen Umständen des Falles Rechnung zu tragen. Ist der Beschuldigte – wie hier – zum Zeitpunkt der Bevollmächtigungserteilung ohne festen Wohnsitz, ist er darauf hinzuweisen, dass er die ihm zuzustellenden Schriftstücke selbst bei der Zustellungsbevollmächtigten abzuholen hat, da diese sie ihm in Ermangelung einer entsprechenden Anschrift nicht zuschicken kann. Darüberhinaus ist ihm jedenfalls in den Fällen, in denen auf Vorschlag der Ermittlungsbehörden eine Bedienstete eines Gerichts oder einer anderen Behörde zur Zustellungsbevollmächtigten gemacht wird, deren dienstliche telefonische Erreichbarkeit mitzuteilen. Denn von dem Beschuldigten kann nicht auf unbestimmte Zeit erwartet werden, dass er mindestens einmal wöchentlich (um keine Frist verschuldet zu versäumen) das Amtsgericht oder die entsprechende Behörde aufsucht, um sich nach etwaig eingegangenen Schriftstücken zu erkundigen (vgl. LG Dresden, Beschluss vom 21.11.2013, 3 Qs 143/13). Auch wenn es dem Beschuldigten grundsätzlich möglich ist, sich eigenständig nach der Dienstnummer der Zustellungsbevollmächtigten zu erkundigen, gebietet es der Grundsatz des fairen Verfahrens, ihm diese zusammen mit dem Hinweis auf seine Obliegenheit zur Abholung der Schriftstücke sogleich zur Verfügung zu stellen.

Es führt aber nicht jeder Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens in diesem Zusammenhang zur Unwirksamkeit der Zustellungsbevollmächtigung, sondern er kann gegebenenfalls unter dem Gesichtspunkt der Verschuldensfrage im Rahmen einer Entscheidung über eine Wiedereinsetzung oder über Maßnahmen gemäß § 230 Abs. 2 StPO zu berücksichtigen sein (vgl. LG Dresden, Beschluss vom 20.11.2014, 3 Qs 109/14).

Vorliegend ist der Beschuldigte in dem Formular über die Zustellungsbevollmächtigung u. a. darüber belehrt worden, dass er die zuzustellenden Schriftstücke bei dem Amtsgericht Dresden abzuholen habe und die namentlich benannte Zustellungsbevollmächtigte über die Information des Amtsgerichts Dresden, Roßbachstr. 6 zu erreichen ist. In diesem Kontext zieht das Versäumnis, nicht auch die telefonische Erreichbarkeit mitgeteilt zu haben, jedenfalls nicht die Unwirksamkeit der Zustellungsbevollmächtigung nach sich.

III.

Da die Staatsanwaltschaft hier durch die Einlegung des Rechtsmittels lediglich ihrer Aufgabe nachgekommen ist, ohne Rücksicht auf die damit verbundene Wirkung für den Beschuldigten für den Einklang von Gerichtsentscheidungen mit dem Gesetz Sorge zu tragen, waren die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschuldigten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen.

 

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