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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB bei Festkleben auf Fahrbahn

Revision im Fall der Straßenblockade: Ein tiefer Blick in die Beweiswürdigung und die Rolle des Klimaschutzes

Der Fall, der vor dem Kammergericht Berlin verhandelt wurde, dreht sich um eine junge Studentin, die sich an einer Straßenblockade beteiligte. Die Angeklagte wurde ursprünglich vom Amtsgericht Tiergarten wegen „gemeinschaftlich begangener“ Nötigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Hauptproblem in diesem Fall liegt in der Beweiswürdigung und der Frage, ob die Aktion der Angeklagten als Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte angesehen werden kann, insbesondere im Kontext des Klimaschutzes, den die Angeklagte als Rechtfertigung anführt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 ORs 46/23 – 161 Ss 61/23 >>>

Die Straßenblockade und ihre rechtlichen Implikationen

Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB bei Festkleben auf Fahrbahn
Revision im Fall der Straßenblockade: Klimaschutz, Beweiswürdigung und strafrechtliche Konsequenzen im Fokus des Berliner Kammergerichts. (Symbolfoto: Andreas Stroh /Shutterstock.com)

Die Angeklagte hatte sich an einer Straßenblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ beteiligt. Sie und drei weitere Personen blockierten eine viel befahrene Straße, was zu erheblichen Verkehrsbehinderungen führte. Zusätzlich erschwerte sie die polizeiliche Räumung der Blockade, indem sie ihre Hand mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn befestigte. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte sie daraufhin wegen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.

Die Einlassung der Angeklagten und ihre Revisionsgründe

Die Angeklagte argumentierte, dass ihre Handlungen entweder nicht als Nötigung oder Widerstand anzusehen seien oder durch die Dringlichkeit des Klimaschutzes gerechtfertigt wären. Sie legte Revision gegen das Urteil ein und stützte diese auf die Sachrüge. Insbesondere kritisierte sie die Darstellung ihrer Einlassung als lückenhaft und argumentierte, dass die getroffenen Feststellungen keine Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StGB ermöglichten.

Fehlerhafte Beweiswürdigung als Kernproblem

Das Kammergericht Berlin hob das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten auf, da es einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhielt. Das Gericht stellte fest, dass die Beweiswürdigung des Amtsgerichts fehlerhaft war. Insbesondere wurde kritisiert, dass die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft sei und gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstoße.

Die Rolle des Klimaschutzes und die Weiterleitung des Falls

Das Kammergericht ging nicht direkt auf die Frage ein, ob die Aktion der Angeklagten durch den Klimaschutz gerechtfertigt sein könnte. Es wies den Fall jedoch zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurück. Damit bleibt die Frage offen, wie in zukünftigen Fällen das Spannungsfeld zwischen zivilem Ungehorsam im Namen des Klimaschutzes und strafrechtlichen Konsequenzen bewertet wird.

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Das vorliegende Urteil

KG Berlin – Az.: 3 ORs 46/23 – 161 Ss 61/23 – Beschluss vom 16.08.2023

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 12. Januar 2023 mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Tiergarten hat die Angeklagte am 12. Januar 2023 wegen „gemeinschaftlich begangener“ Nötigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20,- € verurteilt. Ferner wurde der beschlagnahmte Sekundenkleber eingezogen.

Nach den getroffenen Feststellungen beteiligte sich die ledige Angeklagte, die Studentin ist und eine Halbwaisenrente in unbekannter Höhe bezieht, von 8:00 bis 9:40 Uhr auf dem Autobahnzubringer A 111 im Bereich K.-Damm/H.Damm in B. an einer Straßenblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“, bei der sich sie und drei weitere Personen aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans auf die Fahrbahn der viel befahrenen Straße setzten, um so die auf der Straße befindlichen Fahrzeugführer bis zur Räumung der Blockade durch Polizeibeamte an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern. Wie von ihr beabsichtigt, kam es aufgrund der Blockade bis zu deren Auflösung zu einer erheblichen Verkehrsbeeinträchtigung in Form eines ca. 60 Minuten andauernden Rückstaus zahlreicher Fahrzeuge über mehrere hundert Meter. Zur Erschwerung der erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Blockade befestigte sie zeitgleich ihre rechte Hand mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn, so dass die Polizeibeamten sie erst nach Lösung des Klebstoffs, die eine bis eineinhalb Minuten in Anspruch nahm, von der Straße tragen konnten.

Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Amtsgericht ausgeführt, die getroffenen Feststellungen beruhten (auch) auf dem Geständnis der Angeklagten, das dem aktenkundigen Ermittlungsergebnis entspreche (UA S. 3). Die Einlassung der Angeklagten hat es wie folgt wiedergegeben (UA S. 3):

„Die Angeklagte ist der Ansicht, dass ihre Tathandlung entweder schon tatbestandlich wegen fehlender Verwerflichkeit bzw. keine Widerstandshandlung sei oder die Tat jedenfalls angesichts des gegenwärtigen Klimawandels gerechtfertigt sei, um durch diese Aktion die Bundesregierung zu weiteren Maßnahmen gegen den Klimawandel aufzurufen. Ziel der Aktion sei nicht die Blockade, sondern eine vernünftige Klimapolitik. Die Freiheitsrechte der Kraftfahrer seien angesichts des überragenden Klimaschutzes nicht wesentlich beeinträchtigt worden; die Einschränkungen der Kraftfahrer seien angemessen und verhältnismäßig gewesen. Die gesamte Aktion sei gewaltfrei verlaufen, auch sei niemand beleidigt worden.“

Zur Verwerflichkeit der Tat im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB hat das Amtsgericht ausgeführt, unter Berücksichtigung der Vielzahl der beeinträchtigten Personen, der fehlenden Ankündigung der Aktionen, der jeweils teilweisen Dringlichkeit der blockierten Transporte und des fehlenden konkreten Sachbezugs zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand müsse die Versammlungsfreiheit im Rahmen der Gesamtabwägung zurücktreten.

Im Rahmen der Strafzumessung hat das Amtsgericht zur Höhe des einzelnen Tagessatzes mitgeteilt, es habe das Einkommen schätzen müssen. Es sei davon auszugehen, dass der Angeklagten als Studentin mit der Halbwaisenrente ein monatliches Einkommen von ca. 600,- Euro zur Verfügung stehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die (Sprung-) Revision der Angeklagten, die sie auf die Sachrüge stützt. Sie greift darin unter anderem die Darstellung ihrer Einlassung als lückenhaft an. Zudem ermöglichten die getroffenen Feststellungen keine Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StGB. Im Übrigen seien auch die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 113 Abs. 1 StGB nicht erfüllt. Hinsichtlich des weiteren Revisionsvorbringens wird auf die Schriftsätze des Verteidigers vom 5. März und 8. August 2023 Bezug genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision der Angeklagten mit der Maßgabe zu verwerfen, dass die Angeklagte der Nötigung schuldig ist.

II.

Die zulässige Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand, weil sich die Beweiswürdigung als fehlerhaft erweist.

1. Grundsätzlich ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters. Insbesondere ist es dem Revisionsgericht verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch eine eigene zu ersetzen oder sie etwa nur deshalb zu beanstanden, weil aus seiner Sicht eine andere Bewertung der Beweise näher gelegen hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2017 – 2 StR 140/17 -, juris). Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit aber, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Sicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 182; NStZ-RR 2009, 210). Die Beweise sind erschöpfend zu würdigen (vgl. BGHSt 29, 18, 20). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Es muss sich nicht nur mit allen Umständen auseinandersetzen, die für oder gegen den Angeklagten sprechen, sondern es muss auch ersichtlich sein, dass der Tatrichter geprüft hat, ob alle Beweisanzeichen in einer Gesamtschau die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten vermitteln können (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2016 – 2 StR 275/16 -, juris; KG, Beschluss vom 2. September 2019 – (2) 121 Ss 87/19 (26/19) -, juris m.w.N.).

Diese Anforderungen erfüllt das angefochtene Urteil nicht. Ungeachtet des Umstandes, dass die Urteilsgründe eine Einheit bilden (vgl. BGHSt 65, 75; Senat, Beschluss vom 29. April 2022 – (3) 161 Ss 51/22 (15/22) -, juris m.w.N.), ergibt sich auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe keine tragfähige Grundlage für die gebotene sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweisführung. Sie ergibt sich insbesondere nicht aus dem Geständnis der Angeklagten.

Zwar lässt sich aus § 267 StPO, der den Inhalt der Urteilsgründe festlegt, eine Verpflichtung des Gerichts nicht unmittelbar ableiten, dass eine Beweiswürdigung im Urteil vorzunehmen ist, in der die Einlassung des Angeklagten mitgeteilt und diese unter Bewertung der sonstigen Beweismittel gewürdigt wird. Doch ist unter sachlich-rechtlichem Blickwinkel regelmäßig eine Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten erforderlich, damit das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob sich der Tatrichter unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft und das materielle Recht richtig angewendet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2020 – 2 StR 416/19 -, juris; NStZ 2015, 299; NStZ-RR 2013, 134, 135 m.w.N;1999, 45; Senat, Beschluss vom 12. Januar 2022 – 3 Ws (B) 8/22 -, juris; OLG Hamm StraFO 2003, 133; OLG Köln StraFO 2003, 313). Es bedarf somit einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten, um die Beweiswürdigung des Tatrichters auf sachlich-rechtliche Fehler hin überprüfen zu können (vgl. BGH NStZ-RR a.a.O.).

Auf der Grundlage dieses Maßstabs erweist sich das angefochtene Urteil als lückenhaft. Denn ihm ist nicht zu entnehmen, worauf das Amtsgericht seine Annahme gestützt hat, die Angeklagte habe sich auf der Fahrbahn festgeklebt, um die erwartete polizeiliche Maßnahme zur Räumung der Blockade zu erschweren (UA S. 2). Dies ist weder den mitgeteilten Zeugenaussagen noch dem mitgeteilten Inhalt des Geständnisses zu entnehmen. Dass es glaubhaft sei, weil es dem “aktenkundigen Ermittlungsergebnis” (UA S. 3) entspreche, und die Angeklagte es „uneingeschränkt“ abgelegt habe (UA S. 6), führt zu keiner anderen Betrachtung, weil das bloße Abgleichen des Geständnisses mit der Aktenlage keine hinreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung darstellt (vgl. BGH NStZ 2023, 57 m.w.N.). Als allgemeinkundig kann der Umstand, die Angeklagte habe sich festgeklebt, um die Räumung durch die Polizei zu erschweren, nicht angesehen werden (zur Allgemeinkundigkeit vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 – 3 StR 508/17 -. juris; LG Berlin, Urteil vom 18. Januar 202- (518) 237 Js 518/22 Ns (31/22) -, juris). Dazu hätte es weiterer Ausführungen bedurft.

2. Auf dem dargelegten Rechtsfehler beruht das Urteil, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Verurteilung der Angeklagten nicht durch deren Geständnis getragen wird.

3. Da bereits der unter 1. dargelegte Rechtsfehler zur Aufhebung des Urteils führt, kam es zwar auf das weitere Rügevorbringen der Angeklagten nicht mehr an, der Senat merkt aber dazu folgendes an:

a) Auch die auf die Verwerflichkeitsprüfung beziehende Beweiswürdigung erweist sich als lückenhaft. Das Amtsgericht hat seine Schlussfolgerung (durch wörtliche – kommentarlose – Wiedergabe einer etwa sechs Monate vor Beginn der Hauptverhandlung verfassten staatsanwaltlichen Verfügung), die Tat der Angeklagten sei verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB, auf die “teilweise Dringlichkeit der blockierten Transporte” und auf den Umstand gestützt, dass die Aktion unangekündigt gewesen sei (UA S. 5). Unklar bleibt allerdings, auf welcher tatsachenbegründeten Beweiswürdigung diese Schlussfolgerung beruht; auf den vorliegenden Einzelfall bezogene Feststellungen dazu enthält das Urteil nicht. Diese ergeben sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe.

b) Zwar stützt sich das Amtsgericht zur Begründung der Höhe des einzelnen Tagessatzes auf lückenhafte Feststellungen. Denn es hat ausgeführt, die Höhe des einzelnen Tagessatzes gemäß § 40 Abs. 2 StGB geschätzt zu haben, verschweigt aber, auf welcher tatsächlichen Grundlage es die Schätzung vorgenommen hat; die Mitteilung, die Angeklagte sei Studentin und beziehe eine Halbwaisenrente, lässt keine konkreten Rückschlüsse auf die Höhe des Einkommens zu. Allerdings hält es der Senat für ausgeschlossen, dass die als Studentin in L. lebende Angeklagte über ein unter 600,- Euro liegendes Einkommen verfügt, weswegen sie dieser Rechtsfehler nicht beschwert.

4. Der Senat hebt das angefochtene Urteil mit den getroffenen Feststellungen gemäß § 349 Abs. 4 StPO durch einstimmige Entscheidung auf und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurück.

5. Zur weiteren Sachbearbeitung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Grundsätzlich kommt eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB auch dann in Betracht, wenn sich der Täter bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung auf der Fahrbahn mit Sekundenkleber o.ä. festklebt, um die von ihm erwartete alsbaldige polizeiliche Räumung der Fahrbahn nicht nur unwesentlich zu erschweren.

aa) Das Festkleben auf der Fahrbahn, um das Entfernen von dort zu verhindern oder zu erschweren, kann als Gewalt im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB qualifiziert werden; es ist in seiner physischen Wirkung dem Selbstanketten (vgl. dazu BVerfGE 104, 92; OLG Stuttgart NStZ 2016, 353) vergleichbar. Hier wie dort liegt eine durch tätiges Handeln bewirkte Kraftentfaltung vor, die gegen den Amtsträger gerichtet und geeignet ist, die Durchführung der Vollstreckungshandlung zu verhindern oder zu erschweren (vgl. BGHSt 18, 133, 134; NStZ 2023, 108; 2013, 336). Dass Polizeibeamten das durch Festkleben entstandene physische Hindernis durch Geschicklichkeit – hier unter Verwendung eines Lösungsmittels – zu beseitigen in der Lage sind, steht dem Merkmal der Gewalt nicht grundsätzlich entgegen und nimmt dem Vollstreckungsbeamten nicht ohne weiteres die körperliche Spürbarkeit (vgl. zu diesem Merkmal BGHSt 65, 36 m.w.N.) des Widerstands (a.A. LG Berlin, Beschluss vom 20. April 2023 – 503 Qs 2/23 -, juris). Ob das Festkleben im konkreten Einzelfall als gewaltsamer Widerstand gegen eine Diensthandlung im Sinne von § 113 Abs.1 StGB zu qualifizieren ist, bedarf allerdings der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. zu § 240 StGB Senat DAR 2022, 393). Hierbei sind auch Umfang und Dauer der zur Überwindung des Hindernisses erforderlichen Mittel in den Blick zu nehmen und vom Tatgericht zumindest in Grundzügen – wie es das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung noch ausreichend getan hat – darzulegen. Der Umstand, dass die Polizeibeamten nach den getroffenen Feststellungen eine bis eineinhalb Minuten benötigten, um die Angeklagte von der Fahrbahn zu lösen, ist ein gewichtiges Indiz, dass im vorliegenden Fall für die Annahme von Gewalt im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB spricht.

bb) Ebenso wenig steht einer Strafbarkeit nach § 113 Abs. 1 StGB entgegen, dass die Widerstandshandlung (hier durch Festkleben auf der Fahrbahn) bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung (Entfernen der Demonstranten von der Fahrbahn) vorgenommen wurde. Zur Verwirklichung des objektiven Tatbestands genügt es, wenn der Täter gezielt eine Widerstandshandlung vornimmt, die bei Beginn der Vollstreckungshandlung noch fortwirkt (vgl. BGHSt 18, 133; OLG Stuttgart NStZ 2016, 353). Um ein gezieltes Verhalten des Täters vom bloßen Ausnutzen eines bereits vorhandenen Hindernisses abzugrenzen, muss allerdings in derartigen Fallgestaltungen der Wille des Täters dahin gehen, durch seine Tätigkeit den Widerstand vorzubereiten (vgl. BGH a.a.O.). Das Tatgericht hat deshalb dahingehende Feststellungen zu treffen, ob sich der Täter (zumindest auch) festgeklebt hat, um sich der von ihm erwarteten polizeilichen Räumung zu widersetzen.

b) Um den Schluss ziehen zu können, dass eine Nötigung verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB ist, bedarf es einer einzelfallbezogenen Würdigung aller Tatumstände. Das kommentarlose Einrücken von Textpassagen – hier einer etwa sechs Monate vor der Hauptverhandlung verfassten staatsanwaltlichen Verfügung – genügt dem nicht und ist vielmehr geeignet, das Vertrauen der Bürger in das Bemühen der Gerichte um Gewährung von Einzelfallgerechtigkeit nachhaltig zu beschädigen.

Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Verwerflichkeit zu ermöglichen, hat das Tatgericht in den Urteilsgründen eine tragfähige Entscheidungsgrundlage darzulegen. Das Gericht wird zumindest folgende Gesichtspunkte zu beachten und dazu die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben:

  • Ankündigung der geplanten Blockade/ Anmeldung der Demonstration,
  • Dauer der Blockade,
  • eine präzise Beschreibung des Tatorts, wobei hinsichtlich der Einzelheiten auch gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf Lichtbilder, Tatortskizzen, Kreuzungspläne und dergleichen mehr verwiesen werden kann,
  • Art und Ausmaß der Blockade, insbesondere die Länge des Staus, sowie etwaige Ausweichmöglichkeiten für die Kraftfahrer vor der blockierten Fahrbahn,
  • die Motive der Angeklagten, insbesondere auch dazu, warum sie sich festgeklebt hat,
  • Zweck/Zielrichtung der Demonstration.

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