Olympia 1972:Royals und Rösser

Lesezeit: 6 min

Harry Klugmann, Jahrgang 1940, und sein Pferd "Christopher Robert" waren 1972 Teil des deutschen Reitteams. (Foto: privat)

Vor 50 Jahren kamen die Olympischen Spiele nach München und in den Landkreis Ebersberg. Mit ihnen kamen ranghohe Gäste aus dem britischen Königshaus, superbe Springreiter und Schwimmer - aber leider auch die Furcht vor Terror und Gewalt. Eine Rückschau.

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

Am 31. August 1972 zeigte sich der ausklingende Sommer von seiner milden, schönen Seite. Eine Höchsttemperatur von gerade einmal 20 Grad, kaum Wolken, kein Niederschlag - "ideales Wetter" also - so die SZ damals - für das "Ereignis des Jahres": den "Military"-Reitwettkampf, der im Rahmen der Olympischen Spiele in Poing ausgetragen wurde. Ein militärischer Wettkampf beim Friedensfest Olympia? Darunter darf man sich keine moderne Version des Tjosts vorstellen, bei dem Soldaten in Uniform und auf Pferderücken mit Maschinengewehren aufeinander losgehen. "Military" wurde damals noch der "Vielseitigkeit"-Reitwettbewerb genannt, aufgrund seiner historischen Wurzeln beim Militär. Die "Vielseitigkeit" setzt sich zusammen aus Dressur, einem Geländeritt und Springen.

Eine zeitgenössische Postkarte von Poing zu Olympia 1972. (Foto: privat)

In Poing ging es unter den Reiterinnen und Reitern dann auch lediglich kompetitiv, nicht feindselig zu. Gut 100 von ihnen machten sich morgens um 7.30 Uhr auf von Riem nach Poing, wo sie bereits von 60 000 Zuschauern erwartet wurden. Die Strecke begann am östlichen Ende der Schwabener Straße, führte dann entlang des Wildparks Richtung Anzinger Straße, über Mauerstetten nach Ranharting und anschließend zum Berghang in Angelbrechting. Über Waldwege und Hänge ritten die Athleten und Athletinnen dann südlich an Garkofen vorbei, wobei sie einen Wassergraben überwinden mussten, und kamen schließlich bei der Osterfeldsiedlung an, von der aus sie mit donnernden Hufen zurück zur Schwabener Straße galoppierten.

Harry Klugmann ritt damals für Deutschland

Harry Klugmann, Jahrgang 1940, und sein Pferd "Christopher Robert" waren damals Teil des deutschen Reitteams, das außer ihm noch aus Lutz Goessing, Karl Schultz und Horst Karsten bestand. Am Telefon erinnert er sich: "Die Strecke war schwer, aber angemessen. Ein oder zwei Sprünge waren sehr schwer, aber insgesamt war sie gut konzipiert."

Das deutschen Reitteam von 1972: Harry Klugmann, Lutz Goessing, Karl Schultz und Horst Karsten. (Foto: privat)

Auch die Zeitungen von damals sind voller Lob für die Strecke, woraus sich auch eine gewisse Erleichterung ablesen lässt. Das Vielseitigkeitsreiten war noch bis in die frühen 2000er Jahre stark umstritten, aufgrund der Strapazen und Gefahren für Mensch und Tier. Immer wieder kam es zu Verletzungen. 1972 hatten Tierschutzverbände "vorsorglich Anzeigen" vorbereitet, wie die SZ eine Woche nach dem Turnier berichtete. Debatten um das Tierwohl im Reitsport scheinen so alt wie der Reitsport selbst und haben mit den Schlägen Annika Schleus auf ihr Pferd Saint Boy bei den Olympischen Spielen 2020 wieder an Aktualität gewonnen. 1972 hatten Pferde und Reiter Glück, niemand kam zu ernstem Schaden.

Unter den Besuchern des "Military"-Wettbewerbs befanden sich auch die britische Prinzessin Anne sowie der damalige CDU-Spitzenkandidat Rainer Barzel

Glück hatten auch ein paar Jugendliche aus Ebersberg. 1000 von ihnen hatten Freikarten für verschiedene Veranstaltungen der Olympischen Spiele erhalten, auch für das "Military"-Reiten. Grund hierfür war, dass bis zum 31. August noch rund 122 000 Karten für die Spiele nicht verkauft worden waren - heutzutage kaum noch vorstellbar, auch ohne künstliche Kartenverknappung durch Corona. Der damalige Bürgermeister Ebersbergs, Hans Vollhardt, konnte dann einige dieser Karten für die Jugendlichen ergattern, die sich unter das Gewusel der Zuschauer mischten.

Prinz Philipp von England und Editha Schlederer (Wildbraeu Grafing) zu Besuch beim Stangl in Neufarn. (Foto: Helmut Wohner)

Dort ließen sich jedoch auch berühmte Gäste erspähen. Da war zum einen Her Royal Highness Anne Elizabeth Alice Louise, Tochter Elisabeths II., Prinzessin von England - bekannt für ihre aufsehenerregenden Affären und, vor allem, als Reitsportliebhaberin. Ein Jahr zuvor hatte sie selbst die Goldmedaille bei den Europameisterschaften im "Military"-Reiten errungen, nun feuerte sie die britischen Sportlerinnen und Sportler an.

Prinzessin Anne von England beobachtet 1972 das Military-Reiten in Poing. (Foto: Helmut Wohner)

Prinzessin Anne war schön, reich und berühmt, was alles auf seine Art zur Bürde werden kann. An diesem Tag sollte ihr vor allem letzteres Kopfzerbrechen bereiten. Nicht nur vor neugierigen Journalisten musste sie sich in Acht nehmen, sondern auch vor politischer Prominenz. Einmal auf der Zuschauertribüne gab es kein Entrinnen mehr vor Rainer Barzel.

Barzel nutzte den Reitwettbewerb für seinen Wahlkampf

Heute fast vergessen, war er damals ein wichtiger Mann in der westdeutschen Politik: Ab 1964 Leiter der Bundestagsfraktion der CDU, ab 1969 Oppositionsführer im Bundestag, ab 1971 Vorsitzender der Union und damit auch deren Spitzenkandidat für die Bundestagswahl im November 1972. Im April desselben Jahres wäre der gewichtige Mann schon beinahe Kanzler geworden, nur zwei Stimmen fehlten zum erfolgreichen Misstrauensvotum gegen Willy Brandt. Die Wahl im November verlor Barzel dann aber krachend, mit dem größten Wahlsieg der SPD in ihrer Geschichte.

Rainer Barzel bei einer Rede 1973 im Bundestag. (Foto: A1750 Egon Steiner/dpa)

Am Tag des Reitwettbewerbs lag das aber noch in ferner Zukunft und Rainer Barzel legte sich dementsprechend ins Zeug. Laut einem Journalisten, der Barzel bei seinen Olympia-Auftritten begleitete, versuchte er, etwas von dem majestätischen Glanz der zierlichen Prinzessin für seinen Wahlkampf einzufangen. Barzel saß nur wenige Meter vor Anne, die in der Ehrenloge thronte. Er klatschte unter "Bravo"-Rufen demonstrativ Beifall, als eine britische Reiterin den Parcours absolvierte, nicht ohne sich dabei zur Prinzessin umzudrehen. So in Rage geklatscht, gab es für den Politiker dann auch kein Halten mehr, er stieg über die Sitzreihen nach hinten, um seine Aufwartung zu machen. Auf sein "congratulations" antwortete die für den Wahlkampf instrumentalisierte Berühmtheit etwas gequält mit "happy to meet you." Am Ende wirkte Barzel eher matt als glänzend.

Deutschland konnte im Team-Wettbewerb eine Bronzemedaille ergattern

Brillieren konnten hingegen die Reitställe aus aller Welt. Sehr zur Freude von Prinzessin Anne gewannen die Briten sowohl im Einzel- als auch im Teamwettkampf die Goldmedaille. Das war insofern eine kleine Sensation, als dass im britischen Team auch zwei Frauen am Start waren: Mary Gordon-Watson und Bridget Parker. 1963 waren Reiterinnen für den Military-Wettkampf zugelassen worden, 1972 war das immer noch eine "umstrittene Entscheidung", wie Helmut Wagner von der SZ damals schrieb.

Die deutschen Reiter landeten trotz eines Sturzes auf dem Bronze-Podest, hinter den silbergeschmückten USA. Wagner meinte dazu, dass an diese Leistung der Gastgeber "vorher nur Optimisten geglaubt" hätten. Harry Klugmann widerspricht: "Wir haben gut abgeschnitten, für uns war das aber auch nicht überraschend, das stand uns zu. Das war das Niveau, auf dem wir uns damals bewegt haben. Ein Jahr später wurden wir in Kiew Weltmeister!"

Im neuen Grafinger Schwimmbad trainierten Spitzensportler aus aller Welt

Ein paar Orte weiter bereiteten sich Welt- sowie Olympiameister und solche, die es gerne werden wollten, für eine andere Disziplin vor: Schwimmen. In Grafing versammelten sich Schwimmerinnen und Schwimmer aus aller Welt, um im brandneuen Stadtbad ihre Bahnen zu ziehen. Unter ihnen befanden sich auch die australischen Ausnahmetalente Michael Wenden und Shane Gould, denen sich auch zwei Schwimmer aus Taiwan angeschlossen hatten. Ein Jahr zuvor war durch Resolution 2758 der UN-Generalversammlung die Volksrepublik China anstelle Taiwans als rechtmäßiger Vertreter ganz Chinas anerkannt worden. Erst im Oktober des Olympiajahres nahm die Bundesrepublik diplomatische Kontakte mit der VRC auf.

Die australischen Schwimmer kümmerte hingegen weniger der Kalte Krieg als vielmehr das (für sie) kalte Klima. Die damaligen Zeitungsartikel beschreiben dann auch, dass Akklimatisierung, nicht Training, die Haupttätigkeit mancher Schwimmer in Grafing war. Die US-Amerikaner gingen noch einen Schritt weiter und wechselten aufgrund des 25 Grad "kalten" Wassers in ein Schwimmbad in München, obwohl das nur 25-Meter-Bahnen zur Verfügung hatte.

Internationale Schwimmteams trainieren 1972 in Grafing. (Foto: Helmut Wohner)

Dabei war das Schwimmbad, das erst im Juni eröffnet worden war, eines der modernsten in der Region: sechs klimatisierte 50-Meter-Becken und ein 33 auf 25 Meter großes Nichtschwimmerbecken. Sowohl Sportler als auch Vertreter des Olympischen Komitees lobten das Schwimmbad und wunderten sich auch, dass so ein kleiner Ort über eine derart gute Ausstattung verfügte. Zu einem ordentlichen Teil war das privaten Spenden zu verdanken, beispielsweise durch die Siedlungsgesellschaft oder durch Einnahmen aus dem Stadtball. In nur einem Monat kamen so 13 500 Mark zusammen.

Wegen Olympia wurde die S-Bahn drei Jahre früher als geplant in Betrieb genommen

Neben dem Grafinger Schwimmbad wurden auch andere Infrastrukturprojekte im Landkreis vorangebracht - wenn auch nicht immer mit dem gleichen Erfolg. So war beispielsweise beschlossen worden, die neuartige S-Bahn für die Olympischen Spiele vorzeitig in Betrieb zu setzen - drei Jahre früher als geplant. Dementsprechend holprig war der Fahrplan, der angestrebte Takt konnte aufgrund fehlender Triebzüge nicht eingehalten werden.

In Markt Schwaben wiederum waren "mit Hochdruck" für 40 000 Mark 66 neue Parkplätze in Nähe der S-Bahn eingerichtet worden. Schade nur, dass die dann niemand benutzen wollte. Die 200 Meter zum Bahnhof waren den Autofahrern wohl zu viel, sie parkten lieber weiterhin in der Bahnhofstraße, sehr zum Missmut der Anwohner.

Die Attentate des 5. September versetzten den Landkreis in Alarmbereitschaft

Bald schon bedeckten jedoch ganz andere Wolken den hellen Olympiahimmel. Die sogenannte Organisation Schwarzer September brachte statt Frieden und freundlichem Wettbewerb den Terror nach München und Furcht in die Region. Elf israelische Geiseln, die fünf palästinensischen Geiselnehmer und ein Polizist starben, was den 5. September 1972 tatsächlich rabenschwarz macht.

Im Landkreis hat man die Schockwellen des Attentats ebenfalls zu spüren bekommen. "Bedeutsame, technische Einrichtungen", heißt es in einem Artikel, "werden besonders bewacht." Darunter zählte die Transalpine Pipeline, die ab Steinhöring durch den Landkreis führt. Ebenfalls in der Gemeinde wurden dann auch drei Stahltanks, mit einer Kapazität von über 100 000 Kubikmeter Erdöl, überwacht. Von Steinhöring flossen damals jährlich "mehrere Millionen Kubikmeter Rohöl" über die Zweigstelle der Marathon GmbH Richtung Burghausen in das Chemiedreieck. Tanks und Steueranlagen wären ein lohnendes Ziel für einen weiteren Anschlag gewesen.

Darüber hinaus wurde auch eine Funkanlage in Poing sowie eine Erdgasspeicheranlage bei Pliening durch einen ständigen Streifendienst von der Polizei bewacht. Auch die Feuerwehren waren in erhöhter Alarmbereitschaft, alle Feuermeldestellen blieben vorläufig besetzt. Passiert ist am Ende, zum Glück, nichts. Nur die Spiele, für immer überschattet, gingen weiter, nach dem Motto: Jetzt erst recht.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: