SZ-Serie: Dorf-Dynastien:Wo einst die Mühle klapperte

Lesezeit: 4 min

Karl Sauter pflegt die Uttinger Mühle. (Foto: Nila Thiel)

Fridolin Sauter und seine Nachkommen waren die letzten Müller in Utting. Sein Enkel Karl pflegt nun die alten Schätze der Familie. Die Mühlsteine sind allerdings schon seit Jahren außer Betrieb.

Von Renate Greil, Utting

Am steinernen Mahlgang, der rund 160 Jahre alt ist, steht Karl Sauter und demonstriert das typische Geräusch der klappernden Mühle mit dem Abnehmer: Klick-Klack, Klick-Klack. Der Ton ist seit den 1930er-Jahren verstummt. Daneben stehen im ersten Stock der Uttinger Mühle nebeneinander fünf stählerne Walzenstühle, dort wurde das Getreide in mehreren Schritten immer feiner gemahlen, bis feinstes Mehl für Torten und Feingebäck entstand. Diese technische Neuerung, verbunden mit der Bezeichnung "Kunstmühle", zog mit Fridolin Sauter ein, aus 1915 sind noch zwei Walzenstühle vorhanden.

Angetrieben wurde alles durch ein Wasserrad mit fünf Metern Durchmesser. Vom äußeren Wasserrad sind nur noch Fragmente vorhanden, innen wirkt in der Mühle alles soweit intakt, sodass man schnell auf die Idee kommt, die Mühle wieder in Gang zu setzen. Mangels Antrieb ist das jedoch nicht mehr möglich, auch der Mühlkanal und der Weiher wurden aufgegeben. Seit 1985 steht die Mühle still, Karl Sauter senior war der letzte Müller in Utting.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Dass es keine Nachfolge gab, hat damit zu tun, dass sich der Mühlbetrieb schon seit den 1960er-Jahren immer weniger rentierte. "Es gab sogar Prämien, damit die kleinen Mühlen aufhören", berichtet Karl Sauter junior, der die Mühle von seinem Vater geerbt hat. Das Mehl wurde im Supermarkt gekauft und die kleinen Bauernhöfe, die ihr Getreide in der Mühle mahlen ließen, gaben auf. Sauter junior schlug die Laufbahn vom Rechtspfleger zum Ministerialrat im Justizministerium ein, sein Bruder Ernst wurde Lehrer.

Alle fünf Geschwister halfen von Kindesbeinen an mit, wobei vorrangig die beiden Buben Hilfsarbeiten für den Müller erledigten. "Wir leerten zum Beispiel die Staubsäcke, halfen beim Ausliefern mit dem Opel Blitz oder während der Anlieferung in der Erntezeit im Lagerhaus", erinnert sich Sauter. Mit dem Verkauf von Futtermittel in Säcken machten die Sauters noch einen Versuch, letztendlich betrieb die Familie den kleinen Laden noch einige Jahre weiter und verkaufte Mehl einer anderen Mühle.

Auf den verschiedenen Walzenstühlen wurde das Mehl immer feiner gemahlen. (Foto: Nila Thiel)
Die Mechanik sieht so intakt aus, fast so, also könnte man die Mühle im Handumdrehen wieder in Betrieb nehmen. (Foto: Nila Thiel)

An der Fassade des imposanten Gebäudes der "Kunstmühle Fridolin Sauter" prangt neben dem Zunftwappen auch der Wahlspruch von Fridolin Sauter: "Sich regen bringt Segen". Sein Enkel Karl, geboren 1956, wohnt in dem zweigeteilten Gebäude. Vorn ist das Wohnhaus, hinten die Mühle. Zum Anwesen gehört ein Lagerhaus, das 1941 neu gebaut wurde und inzwischen ein Lokal beherbergt, sowie ein Austragshaus mit Laden. Er sei mit der Mühle emotional verbunden, erzählt der Enkel. Er will erhalten, was möglich ist. Das gehe nur Stück für Stück, sagt er.

1992 übergab ihm seine Mutter Josepha die Mühle, die er sanierte und umbaute. Auch die Geschichte des Hauses hat er erforscht und kennt die Besitzerfamilien der Mühle seit 1517. Nach seinen Recherchen findet sich bereits 1362 die erste Erwähnung der Uttinger Mühle, Hausname "Beim Miller". Als Grundherr wurde ¼ Hof zum Kloster Dießen 1677 und 1800 angegeben.

Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs trafen die Familie hart

Eine Mahlmühle wurde bereits 1045 in Utting erwähnt, allerdings sei der Standort nicht gesichert. 1625 wurde die Mühle neu gebaut, aber 1837 durch ein Hochwasser zerstört. Deshalb wurde 1840 der Mühlbach weiter nach Norden verlegt sowie ein hölzernes Wehr mit einem Kanal bis zur Mühle gebaut. 1850 wurde die Mühle und bis 1865 sämtliche Hofgebäude neu gebaut. 1924 wurde das durch Hochwasser zerstörte Wehr mit Beton neu errichtet.

Die Ära der Familie Sauter in Utting begann damit, dass Fridolin Sauter, geboren 1888, Müllermeister aus Dirlewang, 1912 heiratete. Mit seiner Braut Hilaria, geboren 1886, aus Stockheim, wollte er sich selbständig machen. Er suchte nach einer geeigneten Immobilie. Die Uttinger Mühle stand zum Verkauf und passte in die Vorstellungen des jungen Ehepaares. Im selben Jahr kam Karl als erstes von sechs Kindern zur Welt. Damals bestand Utting aus wenigen Straßenzügen. Die Mühle steht im Seeviertel, daher wurde auch mit Ruderbooten Getreide und Mehl von den Bauern über den See transportiert.

Ein historisches Familienfoto der Sauters. (Foto: Nila Thiel (Repro))
So sieht das Anwesen heute aus. (Foto: Nila Thiel)

Sauter junior erzählt, dass ein heute noch erkennbarer Lainweg am Bauernhof "Thomala" vorbei vom Seeufer zur nahen Mühle geht. "Er war ein Pionier", sagt Sauter über seinen Opa Fridolin. Der engagierte sich in seinem neuen Wohnort, war Gemeinderat und von 1925 bis 1946 Vorsitzender der Uttinger Liedertafel. Den Fremdenverkehrsverein rief er 1949 wieder ins Leben. Und auch die Befestigung der vormals sumpfigen Seeanlagen in den 1950er-Jahren geht auf ihn zurück.

Der Zweite Weltkrieg brachte viel Leid und Trauer in die Familie Sauter. Vier der fünf Söhne zogen in den Krieg, nur der Erstgeborene Karl blieb als Müller im elterlichen Betrieb. Bereits 1942 wurde Sohn Albert in seinem Flieger über dem Ärmelkanal abgeschossen, ein paar Monate später stürzte der jüngste Sohn Ernst nahe Athen mit dem Flugzeug ab. Kurz vor Kriegsende starb der zweitjüngste Sohn Ludwig an einer Verwundung in Italien. Der zweitgeborene Fridolin, Konditor in München, kehrte erst 1949 aus russischer Gefangenschaft zurück.

Von seiner Oma Hilaria weiß Sauter, dass diese den Tod ihrer drei Söhne nie verwunden und im Zimmer der Buben getrauert hat. Die einzige Tochter Bertha heiratete einen Uttinger Schreiner. Vater Karl sei "mit Leib und Seele Müller" gewesen, berichtet Sauter. 1942 heiratete dieser die Schneiderin Josepha Huber aus Landsberg. Zunächst wohnte die junge Familie in einem Haus im Gries, mit der Betriebsübergabe 1962 zog Müller Karl mit Josepha und den Töchtern Helga, Albertine, Christina und den Söhnen Karl und Ernst nach einer Sanierung des Wohnteils in die Kunstmühle. Gleichzeitig wechselten die Eltern Fridolin und Hilaria in das neu gebaute Austragshaus. 1968 starb Hilaria, ihr Mann Fridolin 1973. Sohn Karl arbeitete bis zu seinem Tod 1985 in der Mühle, seine Frau Josepha starb 1995.

"Wir hatten viele Freiheiten", sagt Karl Sauter über seine Kindheit und berichtet von wilden Fahrten mit dem Lastenaufzug. Stets tummelte sich eine Kinderschar auf dem Anwesen. Im Winter traf sich die Dorfjugend auf dem Mühlweiher zum Schlittschuhfahren. Wenn im Winter gemahlen werden musste, zog sich sein Vater den Zorn der Jugend zu, weil dann das Wasser abgelassen wurde. Auch Karl Sauter senior engagierte sich für das Dorf, war 1949 bis 1964 Kommandant der Uttinger Feuerwehr und trat 1960 bis 1972 die Nachfolge seines Vaters Fridolin im Gemeinderat an.

"Den Ort, in dem man lebt, mitzugestalten", sieht Sauter als wichtig an. Daher war er von 1996 bis 2018 CSU-Gemeinderat, von 2008 bis 2014 auch Zweiter Bürgermeister. Sauter freut sich, dass auch sein Sohn Dominik das Erbe der Vorfahren, die dieses unter vielen Mühen erwirtschaftet haben, bewahren möchte.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusBauernproteste
:"Wir haben ein Recht darauf, auf die Straße zu gehen"

Vor der Aktionswoche der Landwirte dreht sich die Debatte vor allem um den Angriff auf Robert Habeck. Dabei geht es den Landwirten um ganz andere Sachen - und längst nicht nur um Subventionen für Agrardiesel und die Kfz-Steuer, erklärt die Starnberger Kreisbäuerin Sonja Frey.

Interview von Linus Freymark

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: