Der Traum vom besseren Leben im verheißungsvollen Europa endete für den 15-jährigen Mforbei Solomon Fusi aus Kamerun im November vor 25 Jahren im Fahrwerkschacht der MD-11 des Swissair-Flugs Douala-Zürich. Als der Pilot am 6. November 1998, einem Freitag, beim Landeanflug auf Kloten 500 Meter über Lauchringen das Fahrwerk ausfuhr, stürzte der Körper des blinden Passagiers zu Boden. Tage später fand der tote Junge seine letzte Ruhestätte auf dem Oberlauchringer Friedhof.

Spaziergang mit Leichenfund

Ein 54-jähriger Mann aus Oberlauchringen ging am Sonntag, 8. November 1998, mit seinem Hund spazieren. Wo die aus Schwerzen kommende Gemeindeverbindungsstraße am Fuß der Küssaburg auf die B34 mündet, kam er an einem umgepflügten Weizenfeld vorbei – und machte eine schockierende Entdeckung: Auf dem Acker lag die Leiche eines Jungen. Die vom Fußgänger alarmierte Polizei sah sich einem ungewöhnlichen Fall gegenüber. Polizeisprecher Peter-Georg Biewald führte am Montag die Presse zum Fundort.

Auf dem Friedhof in Oberlauchringen wurde Mforbei Solomon Fusi am 14. November 1998 beerdigt. Die Kosten für Bestattung und Grab des ...
Auf dem Friedhof in Oberlauchringen wurde Mforbei Solomon Fusi am 14. November 1998 beerdigt. Die Kosten für Bestattung und Grab des 15-jährigen Afrikaners übernahm die Gemeinde Lauchringen. Auf dem Grabstein sind die Umrisse von Afrika eingraviert und Kamerun gekennzeichnet. Eine Handvoll Erde vom Grab, das nach Ablauf der 25-jährigen Ruhezeit demnächst abgeräumt wird, wurde seiner Familie überbracht. | Bild: Werner Huff

Erfroren aus 500 Meter Höhe gefallen

Nachdem die Medienleute durch schweren Lehmboden gestakst waren, sahen sie eine Mulde, in der bis zu 20 Zentimeter tiefe Abdrücke eines menschlichen Körpers zu erkennen waren. Dies, der Zustand der Leiche und Reifengummi-Spuren an der Kleidung ließen für die Ermittler nur den Schluss zu, dass der Junge als blinder Passagier aus einem Fahrwerk-Radkasten gefallen sein musste, aus 500 Metern Höhe beim Anflug auf den Flughafen Zürich-Kloten.

Bild 2: Der blinde Passagier, der vom Himmel fiel
Bild: Schönlein, Ute

Der eher sommerlich gekleidete Junge hatte sich zum Schutz vor der Kälte Socken über die Hände gezogen. Der zunächst in die Oberlauchringer Leichenhalle gebrachte Tote wurde am Montag zur Obduktion ins gerichtsmedizinische Institut Freiburg überführt.

Im Radkasten von Douala nach Zürich

Nach der Obduktion stand fest, dass der Junge im Radkasten der Swissair-Maschine während des Flugs nach Zürich an Sauerstoffmangel, Unterdruck und bis zu 60 Grad Minustemperaturen in 10.000 Metern Höhe gestorben war. Als er nach dem Öffnen der Fahrwerksklappen in der Anflugschneise auf das Feld neben der B34 in Lauchringen stürzte, war er schon längst tot. Jetzt war es auch sicher, dass sich der Junge am 6. November 1998, einem Freitag, auf dem Flughafen der kamerunischen Hafenstadt Douala in den Radkasten des Swissair-Flugs SR 275 geschmuggelt hatte.

Die dreistrahlige Maschine vom Typ MD-11, die inzwischen schon wieder einen Flug nach Tokio absolviert hatte, wurde in Zürich von der Schweizer Polizei untersucht. Dabei entdeckten die Beamten eine Tasche mit einem Walkman, dessen Seriennummer genau zur Garantiekarte passte, die bei dem Toten gefunden wurde. Dass die Maschine nach ihrer Ankunft am 6. November 1998 in Zürich nach Tokio und wieder zurück fliegen konnte, ohne dass bei den Routinekontrollen der Fremdkörper entdeckt wurde, warf allerdings Fragen nach der Flugsicherheit auf.

Rückflugtickets im Gepäck

Die Identität des Toten ging aus Resten einer Geburtsurkunde hervor, die bei dem 15-Jährigen gefunden wurde. Dass in seiner Kleidung aber auch ein Rückflugticket Paris-Douala-Paris zusammen mit Schweizer Kontaktadressen entdeckt wurde, stellte die Ermittlungen zunächst vor Rätsel. Später ergaben Recherchen, dass der Junge im Sommer 1998, vier Monate vor seinem Tod, auf dem Pariser Flughafens Charles de Gaulle aufgegriffen worden war, und zwar, was völlig ungewöhnlich ist, auf dem Rollfeld.

Falschaussage um Helfer zu schützen

Er habe berichtet, im Fahrwerkschacht eines Flugzeugs aus Kamerun gekommen zu sein. Was bezweifelt werden darf. Es handelte sich wohl um eine Schutzbehauptung, um einen Helfer zu decken, der ihn in Douala in den Gepäckraum der Maschine geschmuggelt hatte. Genau dies soll der Junge bei einem Telefonat aus Paris einem Cousin in Kamerun auf dessen Frage geantwortet haben, wie um Himmels willen er in ein Flugzeug gekommen sei. Das dürfe jedoch niemand erfahren, bat er seinen Cousin.

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In Paris wurde der Junge von einer Art Pflegemutter und einem Sozialfürsorger betreut, zu deren Bedauern er sich im Herbst zur Rückkehr nach Kamerun entschlossen hatte. Die Kosten für das Flugticket übernahmen die französischen Behörden. Doch nur zwei Wochen nach seiner Rückkehr zu seiner Familie unternahm der 15-Jährige bereits den Versuch, erneut als blinder Passagier nach Europa zu gelangen. Es wurde ein Flug in den Tod.

Auch ein Dokumentarfilm erzählt Fusis Tragödie

Unklar geblieben ist, warum der Junge das offenbar gültige Rückflugticket für 11. November nach Paris nicht nutzte, um von dort weiter zu seinem in Manchester lebenden Cousin zu gelangen. England soll sein eigentliches Ziel gewesen sein, wie die Bremer Filmemacherin Ulrike Westermann herausfand. Sie drehte 2003 den Dokumentarfilm „Der Junge, der vom Himmel fiel“ und recherchierte auch in Kamerun.

Lauchringen übernimmt die Begräbniskosten

Lauchringens Bürgermeister Bertold Schmidt sorgte dafür, dass die Gemeinde die Kosten für die Bestattung, das Grab und einen Grabstein aus Granit übernahm, in dem der Umriss von Afrika eingraviert und Kamerun gekennzeichnet ist. In Gegenwart des Bürgermeisters und weiterer 20 Einwohner wurde der Junge am 14. November 1998 beigesetzt. Der Pfarrer sagte, man habe dem Jungen aus Afrika ein Stück Heimat gegeben, er denke aber auch, dass nicht jeder im Ort begeistert gewesen wäre, wäre Mforbei Solomon Fusi lebend zu ihnen gekommen.

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Lauchringer Frauen sorgten in den nun vergangenen 25 Jahren dafür, dass immer wieder Blumen auf der letzten Heimstätte des jungen Afrikaners lagen. Eine Handvoll Erde von seinem Grab, das nach Ablauf der 25-jährigen Ruhezeit demnächst abgeräumt werden soll, wurde vor längerer Zeit Solomons Familie für die symbolische Bestattung in Kamerun überbracht.