Wir befinden uns im Jahre 2023 nach Christus. Ganz Deutschland hat seine Atomreaktoren abgeschaltet. Ganz Deutschland? Nein!

Bei Asterix wäre jetzt die Rede von einem unbeugsamen, von Galliern bevölkerten Dorf. In diesem Text soll es um eine von Schwarzwäldern bewohnte Kleinstadt namens Furtwangen gehen, in der junge Menschen aus aller Welt studieren.

Hier ist einer von noch bundesweit drei Unterrichtsreaktoren in Betrieb: Ein Siemens Unterrichtsreaktor (SUR-100). Er steht in einem alarmgeschützten Kellergeschoss der Hochschule Furtwangen: Ein stahlgepanzerter Zylinder, etwa drei Meter hoch. Darin: 3,5 Kilogramm Uran befinden, knapp 20 Prozent davon sind auf Uran-235 angereichert.

So sieht er aus, der Unterrichtsreaktor SUR-100. In dem tonnenschweren Stahlzylinder befindet sich der Reaktorkern. Seit 1973 steht der ...
So sieht er aus, der Unterrichtsreaktor SUR-100. In dem tonnenschweren Stahlzylinder befindet sich der Reaktorkern. Seit 1973 steht der Reaktor an der Hochschule Furtwangen. | Bild: Göbel, Nathalie

Mehr geht nicht, sonst würde das Uran als waffenfähig gelten, sagt Klaus Grimm. Der promovierte Kernphysiker ist an der Hochschule Furtwangen Professor an der Fakultät Gesundheit, Sicherheit, Gesellschaft und zugleich Strahlenschutzbeauftragter. Zusammen mit dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Abid Hussain leitet er das Labor für Strahlungsmesstechnik.

Schild warnt die Feuerwehr

Schon an der Tür ist klar: Dahinter befinden sich keine normalen Hörsäle. An der Tür prangt das Strahlenwarnzeichen, versehen mit einem Hinweis „Gefahrengruppe I“ für die Feuerwehr.

An der Tür zum Unterrichtsreaktor warnt ein Schild vor potenziellen Gefahren für die Feuerwehr. Bild: Nathalie Göbel
An der Tür zum Unterrichtsreaktor warnt ein Schild vor potenziellen Gefahren für die Feuerwehr. Bild: Nathalie Göbel | Bild: Göbel, Nathalie

Auch wenn der SUR ein Null-Leistungsreaktor ist, der keine Kühlsysteme benötigt: Wenn hier gelöscht werden muss, müssen die Feuerwehrleute wissen, was sie tun. Vom Labor aus geht es in den Kontrollbereich, von hier aus eine stählerne Wendeltreppe hinunter, dann steht man vor dem tonnenschweren Unterrichtsreaktor. Vor und nach Betreten des Kontrollbereiches heißt es übrigens: Her mit den Händen. Ein Personendosimeter ermittelt, ob und wenn ja, wie viel Strahlung man abbekommen hat.

Bin ich verstrahlt? Video: Klaus Grimm

50 Jahre ist es her, dass die damals noch junge Fachhochschule Furtwangen den SUR in Betrieb nahm. Damals wie heute sind Fachkräfte knapp, damals wie heute soll der Unterrichtsreaktor dazu beitragen, junge Menschen auszubilden.

Ausbildung damals und heute

Sind es heute vorwiegend Sicherheitsingenieure, Feuerwehrleute und Strahlenschutzbeauftragte, die hier ausgebildet werden, so waren es in den Anfangsjahren EU-Inspektoren und Reaktorfahrer aus Deutschland und der Schweiz, weiß Klaus Grimm.

Der Unterrichtsreaktor im Überblick Video: Göbel, Nathalie

Wobei Reaktorfahrer nicht wörtlich zu nehmen ist: Hier ging es nicht um die Fahrer von Atommülltransporten, sondern um diejenigen, die in den Atomkraftwerken alle Vorgänge im nuklearen Teil steuerten. „Diese Leute konnte man ja nicht im normalen Schichtbetrieb ausbilden“, erklärt Grimm.

Prüfung im laufenden Betrieb

Ebenso wie die EU-Inspekteure an Übungsobjekten lernen mussten, wie ein Reaktor im laufenden Betrieb überprüft wird – zum Beispiel darauf, wie viel Uran darin steckt und ob diese Menge auch derjenigen entspricht, für die die Betriebserlaubnis galt.

Ein Werbegeschenk aus der Zeit, als man mit Atomstrom noch eine saubere Umwelt und nicht Fukushima und Tschernobal in Verbindung ...
Ein Werbegeschenk aus der Zeit, als man mit Atomstrom noch eine saubere Umwelt und nicht Fukushima und Tschernobal in Verbindung brachte. Bild: Nathalie Göbel | Bild: Göbel, Nathalie

Grimm sieht sich als Konvertierer, wie er sagt: Wurde an den Unterrichtsreaktoren einst das Fachpersonal für Atomkraftwerke ausgebildet, braucht es mit dem Atomausstieg Deutschlands künftig ebenfalls Menschen, die diesen Weg fachkundig begleiten. „Mit dem Rückbau wachsen die Aufgaben“, sagt Klaus Grimm. „Die Entsorgung wird eine Aufgabe sein, die die Gesellschaft noch Jahrzehnte beschäftigt.“

Der Mini-Castorbehälter dürfte selbst für die geringe Menge Uran im SUR-100 zu klein sein, Bild: Nathalie Göbel
Der Mini-Castorbehälter dürfte selbst für die geringe Menge Uran im SUR-100 zu klein sein, Bild: Nathalie Göbel | Bild: Göbel, Nathalie

Stichwort: „Deutschland sucht das Endlager“, wie Grimm ironisch sagt. Für den hochradioaktiven Atommüll aus Deutschland gibt es nach wie vor keinen Standort. Nach gescheiterten Versuchen, einen Endlager-Standort zu finden, wurde die Suche im Jahr 2013 wieder auf Null gesetzt. „Ich glaube ja nicht, dass ich das noch erleben werde“, sagt der 55-jährige Laborleiter, der nach beruflichen Stationen in Frankreich und den USA seit 2019 an der HFU lehrt.

Abid Hussain zeigt, wie Material nach der Bestrahlung gemessen wird. Der Reaktor verfügt über mehrere Experimentierkanäle. Bild: ...
Abid Hussain zeigt, wie Material nach der Bestrahlung gemessen wird. Der Reaktor verfügt über mehrere Experimentierkanäle. Bild: Nathalie Göbel | Bild: Göbel, Nathalie

Auch der SUR – oder besser gesagt sein Brennstoff – wird irgendwann mal zum Problem. Die Halbwertszeit von Uran-235 liegt bei rund 700.000 Jahren. Weil die Leistung des Reaktors so gering ist, brennt auch so gut wie nichts ab – die Laufleistung des Reaktorkerns ist praktisch unbegrenzt, das Uran praktisch nagelneu.

Wohin bloß mit dem Uran?

„Auch das muss ja irgendwann endgelagert werden“, sagt Klaus Grimm. Verkauft werden darf Uran nicht, exportiert werden auch nicht, und die deutschen Kernkraftwerke sind vom Netz.

Klaus Grimm erklärt das Schaltpult Video: Göbel, Nathalie

Und wie bildet man an einem Schulreaktor aus, an jenem hermetisch abgeriegelten Stahlzylinder? Zum Beispiel am Schaltpult, das noch aus dem Jahr 1973 stammt und bei dem Klaus Grimm und Abid Hussain hoffen, dass möglichst nichts kaputt geht. Das Pult darf nur mit Originalteilen betrieben werden.

Bild 6: Warum in der Hochschule noch immer ein Atomreaktor läuft
Bild: Göbel, Nathalie

Auch das Spezialpapier für die Analogschreiber muss das Original sein. Hier hat Abid Hussain in weiser Voraussicht einen Vorrat angelegt und übrig gebliebenes Papier und Ersatzteile aus abgeschalteten Unterrichtsreaktoren zusammengetragen.

„Da hört man sie dann von hier oben fluchen und weiß: Jetzt hat es wieder nicht geklappt.“
Klaus Grimm, Professor an der Hochschule Furtwangen

Am Schaltpult lernen die Studierenden unter anderem, wie der Reaktor überhaupt hochgefahren wird. Nur mit einmal Knöpfchen drücken ist das natürlich nicht getan. „Da hört man sie dann von hier oben fluchen und weiß: Jetzt hat es wieder nicht geklappt“, sagt Klaus Grimm mit einem Grinsen.

Stephan Lambotte, Dekan der Fakultät Gesundheit, Sicherheit, Gesellschaft.
Stephan Lambotte, Dekan der Fakultät Gesundheit, Sicherheit, Gesellschaft. | Bild: Göbel, Nathalie

Der Reaktor ist außerdem mit Experimentierkanälen ausgestattet. Mit deren Hilfe kann Material gezielt in den Reaktor gegeben und bestrahlt werden. Weil die verschiedenen Elemente bei radioaktiver Bestrahlung Energie abgeben, kann im Anschluss prüftechnisch ermittelt werden, welche Stoffe enthalten sind.

Der Reaktor – ein Alleinstellungsmerkmal

Dekan Stephan Lambotte ist froh, den Unterrichtsreaktor an seiner der Fakultät Gesundheit, Sicherheit, Gesellschaft zu haben. Zum einen, um dem Fachkräftemangel etwas entgegensetzen zu können, zum anderen, weil der SUR-100 für die Hochschule Furtwangen ein Alleinstellungsmerkmal darstellt. Eben doch ein bisschen wie das gallische Dorf. Ohne Römer, aber mit Unterrichtsreaktor.

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