Joshua Kocher

In einem Gewerbegebiet im Hunsrück röhrt eine Maschine, groß wie ein Doppelhaus. Ihre Bauteile winden sich durch ein Dutzend Container, durch die geöffneten Seitenwände sieht man Rohre, Trichter und Kessel, Förderbänder und Brennkammern. Die Maschine, P500 ihr Name, ackert Tag und Nacht. Zu jeder Minute vollbringt sie ein Meisterwerk, von dem nicht nur Klimaschützer seit langem träumen: Die P500 zieht CO2 aus der Atmosphäre.

Die Pyrolyse-Anlage P500 bei Dörth im Hunsrück. Der Betreiber Novocarbo will das Potenzial deutlich erweitern.
Die Pyrolyse-Anlage P500 bei Dörth im Hunsrück. Der Betreiber Novocarbo will das Potenzial deutlich erweitern. | Bild: Joshua Kocher

In den Rohren und Reaktoren von P500 läuft ein Prozess, bei dem Äste, Hackschnitzel und Holzpellets unter Luftausschluss verkohlen. Normalerweise würde das darin enthaltene CO2 entweichen, die Atmosphäre weiter aufheizen und die Klimakatastrophe befeuern. Doch die P500 verbannt das CO2 in sogenannte Pflanzenkohle.

Wärme und fruchtbare Erde

Der Prozess nennt sich Pyrolyse. Es ist der bislang einzige Weg, um Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu ziehen, der sowohl technologisch machbar als auch wirtschaftlich ist. Denn die Pyrolyse löst gleich mehrere Probleme. Bei der Produktion der Pflanzenkohle entsteht regenerative Wärme, die durch den Gasmangel derzeit besonders gefragt ist.

Landwirte können die Pflanzenkohle unter die Erde heben und erhöhen damit die Fruchtbarkeit ihrer Böden. Auch in der Betonproduktion könnte sie eingesetzt werden, als Ersatz für den knappen und kostbaren Sand. Alles hat seinen Ursprung in der P500. Warum hat man davon noch kaum gehört?

Zukunft im 500-Seelen-Dorf

Caspar von Ziegner steht im Schatten der P500, neben seiner Kollegin Venna von Lepel. Die beiden sind aus Hamburg angereist. Er, der Chef der Firma Novocarbo, und sie, die sich in der Firma um die Kunden kümmert. Ihnen gehört die Pyrolyse-Anlage, die hier in Dörth steht, einem 500-Seelen-Dorf zwischen Rhein und Mosel.

Hier ist einer der wenigen Pyrolyse-Anlagenbauer in Deutschland angesiedelt. Die Firma Pyreg stellt gerade das Nachfolgemodell der P500 fertig: die P1500, die dreifach so effektiv sein soll wie ihre Vorgängerin. Eine große Anlage nimmt Novocarbo bald in Mecklenburg-Vorpommern in Betrieb, weitere sollen folgen.

Bis zu 30.000 Tonnen CO2 sollen jährlich gebunden werden

Mit den Erfahrungen aus Dörth will Novocarbo es bis 2025 schaffen, an mehreren Standorten bis zu 30.000 Tonnen CO2 jährlich einzufangen. Zum Vergleich: Der medial gehypte CO2-Sauger auf Island schafft derzeit 4000 Tonnen pro Jahr.

Weniger Treibhausgase und bessere Ernten

Die Klimawissenschaftlerin Claudia Kammann von der Hochschule Geißenheim hat an mehreren Studien zum Nutzen von Pflanzenkohle mitgearbeitet. Sie sagt, es brauche zurzeit alle möglichen Methoden, um den CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu verringern. Allerdings nicht als Ersatz für das Einsparen.

„Wir dürfen nicht weiter jedes Jahr 20 Millionen Jahre Erdgeschichte in die Luft blasen und meinen, das kompensieren zu können.“ Dennoch sei Pflanzenkohle eines der besten ergänzenden Werkzeuge, um die Folgen der Klimakrise abzuschwächen.

Forstbetrieb liefert Hackschnitzel an

Ein Förderband rüttelt die Hackschnitzel aus einem Container. Den bringt ein Entsorger mehrmals die Woche vorbei. Die Hackschnitzel stammen von einem Forstbetrieb. Vom Förderband fällt die Biomasse durch einen Trichter in die Zellradschleuse. Diese verhindert, dass Sauerstoff aus der Luft in den Reaktor gelangt. Von dort geht es in den Reaktor, der auf 500 bis 600 Grad vorgeheizt wurde. Darin verkohlt die Biomasse in gut 20 Minuten.

Kohle verbessert Bodenqualität

Danach wird sie abgelöscht, um Staubentwicklung zu unterbinden und um sicherzugehen, dass der Kohlungsprozess beendet ist. Ein Förderband bringt die schwarze Pflanzenkohle in die Halle nebenan, sie fällt dort in Säcke. Aus vier Tonnen Biomasse wird eine Tonne Pflanzenkohle. Die Anlage läuft 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Bei Volllast schafft sie acht Säcke Pflanzenkohle pro Tag.

Links liegen Holzpellets als – in diesem Fall noch testweises – Ausgangsmaterial für die Verschwelung durch Pyrolyse. Links ...
Links liegen Holzpellets als – in diesem Fall noch testweises – Ausgangsmaterial für die Verschwelung durch Pyrolyse. Links das Endprodukt Pflanzenkohle. | Bild: Joshua Kocher

Die Pflanzenkohle, lässt sich für verschiedene Zwecke vermarkten. Landwirte und Gärtner können sie unter die Erde pflügen und damit ihre Böden klimaresilienter machen. Laut dem Umweltbundesamt kann Pflanzenkohle teilweise die Funktionen von Humus übernehmen und damit eine bodenverbessernde Wirkung entfalten. Novocarbo verdient zudem Geld mit dem Verkauf von CO2-Zertifikaten und von regenerativer Wärme, die in der Anlage entsteht.

Täglich stellt die Anlage P500 acht große Säcke Pflanzenkohle her. Hier werde sie auf einen Lkw verladen. Aus vier Tonnen Biomasse ...
Täglich stellt die Anlage P500 acht große Säcke Pflanzenkohle her. Hier werde sie auf einen Lkw verladen. Aus vier Tonnen Biomasse entsteht bei der Verschwelung eine Tonne Pflanzenkohle. Die Anlage läuft 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche. | Bild: Joshua Kocher

Wenn es so einfach ist, gleichzeitig CO2 einzuspeichern, Wärme zu produzieren und den Böden Gutes zu tun: Warum steht dann nicht in jedem Dorf eine Pyrolyse-Anlage?

Hansjörg Lerchenmüller, der Vorsitzende des Europäischen Planzenkohle-Verbands, sagt, die Anlagentechnik kommt erst seit gut drei Jahren in Schwung. „Bei der Photovoltaik hat es 40 Jahre gedauert, bis sie relevant wurde“, sagt er. Dass es bei der Pyrolyse ab sofort schneller gehen soll, liegt sicher auch an dem Druck, der auf vielen Unternehmen lastet, etwas für ihre Klimabilanz zu tun. Nicht mehr nur Start-Ups setzen auf erneuerbare Energien und CO2-Kompensation, sondern immer häufiger auch die Sparkasse um die Ecke.

Preis für Pflanzenkohle soll fallen

Auch Venna von Lepel weiß von ein paar Hindernissen — aus ihrer Erfahrung als Landwirtin. Für Bauern ist es bislang teuer, die Pflanzenkohle auf dem Feld einzusetzen. Das lohnt sich nur dort, wo es auf hohe Qualitäten ankommt, im Weinbau oder in der Tierhaltung.

Eines ihrer größten Anliegen ist es, den Preis für die Pflanzenkohle weiter zu senken. Sie sagt aber auch: „Uns fehlt noch ein politisches System, das den gesamtgesellschaftlichen Vorteil der Pflanzenkohle auf landwirtschaftlicher Basis honoriert.“ Sie setzt hinzu: „Beim Mais, Raps und Weizen ist es nach wie vor billiger, Kunstdünger einzusetzen.“

Auch die Betonherstellung könnte grüner werden

In einem Besprechungsraum stellen Venna von Lepel und Caspar von Ziegner ihren jüngsten Coup vor. Von Lepel stellt kleine Betonplatten auf den Tisch. Die Forscher des Unternehmens arbeiten seit einiger Zeit daran, Pflanzenkohle für die Herstellung von Beton nutzen zu können. Sie soll darin den Sand ersetzen. „Die großen Baukonzerne trauen sich allerdings noch nicht, das zu nutzen“, sagt von Lepel. Es sei in Deutschland noch nicht genormt. „Wir wissen aber, dass das geht.“

Neben die Betonplatten stellt sie ein paar kleine Pflanztöpfe. Sie bestehen aus biogenem Kunststoff – und der wiederum basiert auf ihrer Pflanzenkohle aus der P500. Kürzlich durften sie sich den Katalog eines Bodenbelag-Herstellers anschauen. Ein Produkt darin stammt von ihnen. Der Belag ist CO2-negativ, bei seiner Produktion wurde also mehr Kohlendioxid kompensiert als verbraucht. „Das war einer der größten Ritterschläge dieses Jahres“, sagt Caspar von Ziegner.