Innenminister Karner präsentierte Asylzahlen

Knapp 5.900 Außerlandesbringungen im ersten Halbjahr

Montag, 31. Juli 2023 | 16:45 Uhr

Knapp 5.900 freiwillige und zwangsweise Außerlandesbringungen haben im ersten Halbjahr in Österreich stattgefunden. Das entspricht einer Steigerung von 20 Prozent zum Vergleichszeitraum des Vorjahres. Diese Zahlen hat Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) am Montag bei einer Pressekonferenz in Wien präsentiert. Neuerliche Vorwürfe, wonach Österreich indirekt an Pushbacks von Migranten an der ungarischen Grenze beteiligt sei, wies er zurück.

“Im ersten Halbjahr haben mehr Asylantragsteller Österreich verlassen, als neue Asylanträge gestellt wurden”, sagte Karner. Neben den Außerlandesbringungen haben sich rund 18.500 Personen laut Innenministerium bis Ende Juni dem Asylverfahren entzogen, indem sie das Land wieder verließen. “Das ist eine positive Bilanz, aber kein Grund zum jubeln, sondern ein Auftrag, hart in dieser Richtung weiterzuarbeiten”, sagte der Innenminister.

Die Hälfte der Außerlandesbringungen zwischen Jänner und Juni waren freiwillige Ausreisen, die andere Hälfte zwangsweise Abschiebungen. 31 Prozent der Abgeschobenen bzw. 1.820 Personen waren EU-Bürger. Wichtigsten Länder für die Abschiebungen waren die Slowakei (648), Serbien (557), Rumänien (374), Indien (297) und die Türkei (266). In 704 Fällen handelte es sich um Rückführungen von Asylwerbern in andere EU-Staaten auf Basis von Dublin-Verfahren. Das Dublin-Abkommen sieht vor, dass jener EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist, in dem die betreffende Person erstmals Unionsgebiet betreten hat.

Die Vizedirektorin des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Karoline Preißer, berichtete von 42.000 Asylentscheidungen im ersten Halbjahr. Das sei eine Steigerung um fast 60 Prozent gegenüber den ersten sechs Monaten des Vorjahrs, so Preißer. Insgesamt seien 4.360 Schnell- und Eilverfahren durchgeführt worden für Personen, die kaum Chancen auf Asyl haben.

Karner räumte ein, dass sich die Schlepperrouten durch die von Österreich gesetzten Maßnahmen die Schlepperrouten nur verlagert hätten, denn andere EU-Länder würden steigende Asylzahlen verzeichnen. Tatsächlich wurden laut der EU-Grenzschutzagentur EU-weit im ersten Halbjahr um zehn Prozent mehr irreguläre Grenzübertritte registriert. Karner fordert einmal mehr ein Umdenken auf europäischer Ebene und die Umsetzung der EU-Asylreform sowie Investitionen in den EU-Außengrenzschutz.

Trotz des rückläufigen Trends bei den Asylzahlen will Karner weiterhin am Veto gegen den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien festhalten. Die Grenzkontrollen seien Teil der Erfolge, daher bleibe die Situation unverändert, sagte der Innenminister.

Vorwürfe, österreichische Polizistinnen und Polizisten würden sich an der serbisch-ungarischen Grenze im Rahmen der sogenannten Operation Fox indirekt an illegalen Pushbacks beteiligen, wies Karner zurück. Vorwürfen von Gewalt bei der Zurückweisung sei nachzugehen und dies Aufgabe Ungarns und der EU-Kommission. Davon zu unterscheiden seien Zurückweisungen an der Grenze, wie sie auch an anderen Grenzen stattfinden würden. Die Operation Fox sei erfolgreich und werde weitergeführt. 31 österreichische Beamtinnen und Beamte sind derzeit bei der Operation in Ungarn im Einsatz. Rund 70 Schlepper konnten laut Karner in Ungarn im ersten Halbjahr dieses Jahres festgenommen werden.

Mit seiner engen Definition von Pushbacks als gewaltsames Zurückstoßen sorgte Karner für Kritik. Zwar fänden die meisten Pushbacks unter Anwendung von Gewalt statt, aber das sei nicht ausschlaggebend dafür, ob eine widerrechtliche Zurückweisung vorliege, erklärte die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger im Kurznachrichtendienst Twitter (X). “Es geht darum, dass Menschen das Recht auf Asylantragstellung und -prüfung verwehrt wird, insbesondere dann, wenn keine Möglichkeit zur legalen Einreise besteht. Was in Ungarn ja eindeutig der Fall ist.” Christoph Riedl von der Diakonie wies die Definition auf Twitter ebenfalls als falsch zurück. “Ein illegaler Pushback liegt dann vor, wenn schutzsuchenden Menschen die Stellung eines Asylantrages verweigert wird.” Genau das mache Ungarn systematisch und es helfe auch nicht, dass das in Ungarn Gesetz sei. “Mit diesem Rechtsstaatsverständnis (‘Pushbacks sind nur illegal, wenn Gewaltanwendung’) ist Karner ein massives Sicherheitsrisiko”, kritisierte auch Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination auf dem Kurznachrichtendienst.

Kritik kam auch von den NEOS. Karners Aussagen zu Pushbacks würde zeigen, dass er kein Rechtsstaatsverständnis habe, so Migrationssprecherin Stephanie Krisper in einer Aussendung. Karner solle lieber Ungarn dazu drängen, rechtsstaatliche Standards einzuhalten und Menschen auf der Flucht ein faires Verfahren zu ermöglichen, “statt unsere Polizei um viel Steuergeld in sinnlosen, dubiosen Aktionen in anderen Ländern einzusetzen und die Verantwortung für rechtswidrige Pushbacks nach Brüssel abzuschieben”.

Auch die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen forderte am Montag Aufklärung darüber, welche konkreten Mechanismen eingerichtet worden seien, “um sicherzustellen, dass Menschenrechte eingehalten werden und österreichische Beamte nicht direkt oder – durch Unterlassung – indirekt an Menschenrechtsverletzungen und Pushbacks an der ungarisch-österreichischen Grenze beteiligt sind”. Im aktuellen Diskurs um Asyl- und Migrationspolitik werde der Blick auf die Betroffenen völlig außer Acht gelassen, kritisierte die NGO. “Das zeigt sich auch in der Sprache: Die Dehumanisierung, wenn es um Menschen auf der Flucht geht, ist einem österreichischen Minister nicht würdig.” Zuvor hatte das “Ö1”-Morgenjournal am Montag über erneute Vorwürfe von Menschenrechts-NGOs in Ungarn berichtet, wonach österreichische Polizisten in Ungarn Migranten aufgreifen und an die ungarischen Behörden übergeben, die wiederum für die illegalen Pushback sorgen würden.

Die FPÖ kritisierte dagegen am Montag einmal mehr die “Jubelchören” von Karner und dessen ÖVP über die gesunkenen Asylzahlen. “Tatsache ist, dass die sogenannte ÖVP-‘Asylbremse’ Österreich im langfristigen Vergleich ein Asyl-Plus von 73 Prozent beschert hat”, erklärte FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer in einer Aussendung und verwies auf den Mittelwert der Asylanträge der letzten zehn Jahre, der bei 13.283 liege.

Einen rechnerischen Schlagabtausch lieferten sich ÖVP und FPÖ am Montag darüber, unter welchem Innenminister die Asylzahlen höher waren. Karner verwies bei der Pressekonferenz darauf, dass sich zur Amtszeit von Herbert Kickl als Innenminister 25.000 Asylberechtigte und Asylwerber in der Grundversorgung befunden hätten, während es derzeit nur 21.000 seien. Bei der Berechnung des Innenministerium wurden nur Asylberechtigte und Asylwerber herangezogen. Gemeinsam mit subsidiär Schutzberechtigten, Personen mit humanitären Bleiberecht oder Duldungsstatus sowie andere hilfsbedürftige Personen mit Aufenthaltsrecht waren zum Stichtag 1. Juli 34.542 Migranten in Grundversorgung sowie 48.586 ukrainische Kriegsflüchtlinge. Die FPÖ wies diesen Vergleich als “abenteuerliche ÖVP-Erzählungen” zurück. Im ganzen Jahr 2018, als Kickl Innenminister war, seien 3.746 Asylanträge gestellt worden, während es im ersten Halbjahr dieses Jahres bereits um rund 67 Prozent mehr gewesen seien, rechnete die FPÖ vor.

Von: apa