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“Berlin ist abgeriegelt worden”

Grenzposten an der Berliner Mauer am Brandenburger Tor 1961. RDB

In den frühen Morgenstunden des 13. August 1961, einem Sonntag, wurde die Berliner Mauer gebaut. 28 Jahre lang teilte sie die Stadt in Ost und West. Der Schweizer Burghard Feller erinnert sich an den Mauerbau vor 50 Jahren und an das Leben in West-Berlin.

Der Schweizer Burghard Feller, eins von acht Geschwistern, wurde 1943 in Berlin geboren. Sein Vater, Melker von Beruf, war nach Berlin gekommen, um hier zu arbeiten. Die Familie lebte viele Jahre im Berliner Bezirk Neukölln, der nach dem Mauerbau direkt an der Grenze zu Ost-Berlin lag. Von 1958 bis 1961 absolvierte Burghard Feller eine Lehre zum Lokomotiv-Schlosser bei der Deutschen Reichsbahn.

An jenem Sonntag, 13. August, war ich mit einem meiner Brüder in Basel verabredet. Ich war damals gerade in der Schweiz in den Ferien. Das erste, was wir in dem Baseler Lokal, in dem wir uns trafen, am Radio hörten, war: ‘Berlin ist abgeriegelt worden. Die DDR hat die Grenzen dicht gemacht.

Wegen der Mauer zurück nach Berlin

Das alles war natürlich völlig unvorstellbar. Nachdem wir von den Ereignissen in Berlin erfahren hatten, hielten meine Geschwister und ich einen Familienrat ab. Drei meiner Geschwister lebten inzwischen in der Schweiz, und auch ich überlegte, mir dort eine Arbeit zu suchen.

Meine Geschwister entschieden jedoch, ich solle zurück nach Berlin, um mich um die Eltern zu kümmern. Also habe ich noch ein paar Tage gewartet und bin dann nach Berlin zurückgekehrt.

In Berlin festgenagelt

Nachdem ich zurück war, ging ich natürlich als erstes an die Mauer, um mir das  anzusehen. Ich fuhr zur Bouchéstrasse, die an der Grenze zwischen den Bezirken Neukölln und Treptow liegt. Dort lagen plötzlich die Gehwege in Ost-Berlin und die Häuser in West-Berlin. Das erschien mir völlig unbegreiflich, absurd. 

Ich kannte Ost-Berlin damals besser als West-Berlin. Meine Berufsschule lag in Oberschöneweide, im Ostteil der Stadt. Aus der Lehre hatte ich zwei Freunde, die in Mahlsdorf und Treptow lebten. Ich habe sie nie mehr wieder gesehen.

Am Anfang dachten zunächst alle, das könne so ja nicht bleiben. Aber es wurde schnell klar, dass die Mauer erst mal bleibt – und dass es sogar noch schlimmer wird. Dabei hat sich in unserem Alltag eigentlich nicht so viel verändert. Man konnte nur nicht mehr raus aus West-Berlin.

Vor dem Mauerbau war ich in einem Ruder-Club in Schmöckwitz im Südosten der Stadt. Dort konnte ich zum Beispiel nicht mehr hin. Man ist eben in West-Berlin geblieben und an den Wannsee gefahren. Man war hier festgenagelt.

Mit dem Schweizer Pass konnte man ausreisen

Die Stimmung in der Stadt war bedrückend, besonders bei den jungen Leuten. Auch im Kreise der Schweizer Kolonie haben wir uns gefragt, wie es weitergehen wird.

Zu den Veranstaltungen des Schweizer Vereins Berlin kamen nach dem Mauerbau übrigens schlagartig weniger Leute, denn viele Schweizer lebten in Ost-Berlin und konnten nicht mehr so einfach zum ‘Hüsl’ kommen, unserem Vereinshaus. Es lag direkt neben der Schweizer Botschaft und wie diese dann plötzlich im so genannten ‘Niemandsland’ – im  Grenzgebiet zwischen Ost und West.

Als Schweizer hatten wir zwar keine Angst, dass uns etwas passieren würde, wenn zum Beispiel die DDR oder die Russen in die West-Sektoren Berlins einmarschiert wären. Wir waren sicher, dass wir mit dem Schweizer Pass aus der Stadt rausgekommen wären.

Deshalb achtete jeder achtete darauf, dass sein Pass nicht ablief. Aber wie alle in Berlin machten wir uns doch Gedanken und fürchteten, dass etwas passieren würde.

Ein Haus im Wallis in petto

Als ein zweites Standbein kaufte ich deshalb ein Haus im Wallis. Im Falle eines politischen Umsturzes wäre ich mit meiner Familie sofort in die Schweiz gegangen. Und jeder wusste: Irgendwann passiert mal was. Nur was passieren würde, das wusste keiner.

Bis Mitte der 1980er-Jahre war die Lage in Berlin deshalb sehr angespannt und brenzlig. Ab dann entspannte sich die Situation, auch wenn es immer noch keinerlei Anzeichen dafür gab, dass sich etwas ändern würde. Dass die DDR einmal eine Demokratie wird, war da noch undenkbar.”

Rund 2,7 Mio. Menschen haben zwischen 1949, Gründungsjahr der DDR, und 1961 die DDR verlassen. Die DDR stand kurz vor dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenbruch.

Noch im Juni 1961 erklärte der DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht, niemand habe die Absicht, eine Mauer zu bauen.

Am Morgen des 13. August 1961 wurden an der Grenze des sowjetischen Sektors zu West-Berlin provisorische Absperrungen errichtet und an den Verbindungsstrassen das Pflaster aufgerissen.

In der Folgezeit wurde dort eine 3,60 m hohe Mauer aus Betonplatten errichtet. Die Sperranlagen und das Kontrollsystem wurden immer weiter perfektioniert.

Die innerstädtische Mauer, die Ost- von West-Berlin trennte, war 43,1 km lang.

Die Grenze zwischen West-Berlin und der DDR (der “Aussenring”) war 112 km lang.

Weit mehr als 100’000 DDR-Bürger versuchten, zwischen 1961 und 1988 über die innerdeutsche Grenze zu fliehen.

Über 600 Menschen wurden von Grenzsoldaten der DDR erschossen oder starben bei Fluchtversuchen.

Allein an der Berliner Mauer gab es zwischen 1961 und 1989 mindestens 136 Tote.

Anfang der 50er-Jahre lebten rund 5000 Schweizer in der neu gegründeten DDR; viele von ihnen Bauern, die ihre Höfe und Betriebe nicht aufgeben wollten.

Die Schweizer Delegation in Berlin versorgte die Schweizer in der DDR mit Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten.

Als das von den DDR-Behörden nicht mehr geduldet wurde, errichteten die Delegation und der Schweizer Verein Berlin ein Patenschaftsnetz: Schweizer im Westen schickten vierteljährlich so genannte “Liebesgaben” an Schweizer im Osten Deutschlands – von privat an privat.

Dicht an der Sektorgrenze zwischen Ost und West gelegen, wurde die Schweizer Delegation 1961 direkte Zeugin des Mauerbaus.

Das Gebäude an der Fürst-Bismarck-Strasse lag zwischen westlicher und östlicher Absperrung mitten im “Niemandsland”, das nur Delegationsmitglieder betreten durften.

In den ersten Tagen nach dem Mauerbau wurde die Delegation zu einer Anlaufstelle für Flüchtlinge, die auf der Flucht die Spree durchschwammen. 

Die Delegation erlebte aus nächste Nähe, wie die Mauer um West-Berlin immer stärker befestigt wurde.

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