Das Dilemma der Mullahs in Iran

Anders als in Nordafrika herrscht in Iran Ruhe. Doch die scheinbare Stabilität des Regimes ist trügerisch. Im Regime toben Machtkämpfe. Diktatur unter Präsident Ahmadinejad oder Liberalisierung. Die Mullahs müssen sich entscheiden.

Walter Brehm
Drucken
Die Mullahs zügeln den Ehrgeiz von Präsident Ahmadinejad (Mitte). (Bild: ap)

Die Mullahs zügeln den Ehrgeiz von Präsident Ahmadinejad (Mitte). (Bild: ap)

Die arabische Welt ist in Aufruhr. Auf den Strassen iranischer Grossstädte aber herrscht Ruhe. Die Proteste gegen das Regime aus dem Frühling 2009 scheinen nachhaltig niedergeschlagen, die Gefängnisse sind voll, wichtige Oppositionsführer in Haft oder kaltgestellt.

Vor allem aber scheint bisher der Funke der Revolution in der vielleicht wichtigsten Regionalmacht Iran nicht zu zünden – obwohl es die dortige Jugend war, die mit ihrem Aufstand nach den letzten Präsidentschaftswahlen dem Aufbruch in den arabischen Ländern beispielgebend vorangegangen war. Doch nicht nur die wieder steigende Zahl von Hinrichtungen weist darauf hin, dass die Herrschenden in Teheran der Friedhofsruhe nicht trauen. Denn hinter verschlossenen Türen tobt ein Machtkampf, der das Gefüge des Regimes erschüttert.

Kontrollierte Konflikte

Gerangel um Futtertröge und einflussreiche Posten sind an sich nichts Neues in Teheran. Sie begleiten das Regime seit es die islamische Republik gibt. Diese Rivalitäten sind bisher aber immer unter der Kontrolle der Revolutionsführer – früher Ayatollah Chomeini und heute Ali Chamenei – ausgetragen worden. Beendet hat sie jeweils ein Schiedsspruch des «Führers», der – wenn auch oft mit Zähneknirschen – letztlich stets akzeptiert wurde. Regime-Funktionäre, die sich dabei auf der Verliererseite sahen, hatten jeweils darauf hoffen können, dass das Pendel in einer nächsten Konfrontation zu ihren Gunsten ausschlagen würde.

Neue Qualität im Machtkampf

Es war das Erfolgsgeheimnis des Regimes, dass es flexibel reagierte, solange die Autorität der obersten religiösen und politischen Führung nicht in Frage gestellt wurde. Dies war auch deshalb immer möglich, weil die Machtelite sich immer dann einig war, wenn der Druck von aussen stärker war als innere Konflikte. Dies war die Grundlage, auf der auch der Aufstand nach den Wahlen von 2009 niedergeschlagen werden konnte.

Doch nun hat Irans Präsident Mahmud Ahmadinejad diesen Grundkonsens verletzt. Gegen den ausdrücklichen Willen von Revolutionsführer Ali Chamenei hat er versucht, seinen Schwager Esfandir Rahim-Mashaei in eine einflussreiche Position zu hieven. Zudem feuerte Ahmadinejad seinen Geheimdienstchef und den Aussenminister. Auch diese Entscheidungen fällte er, ohne Chamenei zu konsultieren. Die Folge war ein veritabler Machtkonflikt. Der Revolutionsführer hatte vor zwei Jahren nach der «gefälschten» Präsidentschaftswahl viel riskiert und seine ganze politische Autorität gegen die Oppositionsbewegung und für Ahmadinejad eingesetzt. Gerade deshalb muss Chamenei nun das unbotmässige Verhalten des Präsidenten als Kampfansage verstehen.

Ahmadinejad – «der Messias»

Iran ist eine Diktatur – die bisher aber eine demokratische Fassade aufrecht erhalten hat. Dazu gehört auch, dass ein Präsident nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten darf. Ahmadinejad kann deshalb 2013 nicht mehr für das Amts des Staatschefs kandidieren. Deshalb versuchte er seinen Schwager Rahim-Mashaei zum Vizepräsidenten zu machen, um ihn so für seine Nachfolge in Position zu bringen. Nach dem russischen Vorbild Medwedew-Putin hätte er dann die Möglichkeit gehabt, nach fünf Jahren Präsidentschaft seines Schwagers noch einmal anzutreten. Chamenei hat diese Charade zwar mit einem Machtwort verhindert, aber den Widerstand Ahmadinejads damit nicht brechen können.

Denn während die Führung Irans der Weltöffentlichkeit noch immer als Mullah-Regime gilt, hat Ahmadinejad seine Präsidentschaft systematisch dazu genutzt, die religiöse Diktatur in Richtung einer Militärdiktatur zu verändern. Er ist der Mann der Revolutionswächter, die nicht nur die wichtigste bewaffnete Macht im Lande sind, sondern auch zentrale wirtschaftliche und politische Positionen besetzt halten. Hilfreich war ihm zudem, dass der Klerus bei weiten Teilen der Bevölkerung jeden Kredit verloren hat. Ahmadinejad begann sich selber als den auserwählten schiitischen Messias – den Mahdi – darzustellen.

Doch der Präsident könnte sich verrechnet haben. Statt ihn zu stützen, mahnte der Chef der Revolutionsgarden Ahmadinejad, Chamenei zu gehorchen, worauf dieser dem Revolutionsführer öffentlich einen Treueschwur leistete.

Problem ungelöst

Vorerst ist der Präsident also wieder ins Machtgefüge der Mullahs eingebunden. Doch das Problem, dass sich den religiösen Machthabern stellt, ist damit nicht gelöst: Wie sollen sie das verlorene Vertrauen der Massen vor der Präsidentschaftswahl 2013 zurückgewinnen? Mit mehr Repression – also mit der Methode Ahmadinejad – oder mit einer Liberalisierung, wie sie die Protestbewegung 2009 gefordert hatte?

Die Entwicklung in den arabischen Staaten wird in Iran von den Machthabern und der Opposition mit Argusaugen beobachtet. Erfolg oder Scheitern der Revolution dort wird so oder so auch die Zukunft Irans mitbestimmen.