Kino
Die Liebeskomödie lebt wieder auf – mit dem lustigsten Film des Jahres

«The Big Sick» haucht einem totgesagten Genre neues Leben ein und erinnert an die besten Liebeskomödien der 90er-Jahre.

Lory Roebuck
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Lieben sich über Kulturgrenzen hinweg: Der Pakistani Kumail (Kumail Nanjiani) und die Amerikanerin Emily (Zoe Kazan) in «The Big Sick». Die Komödie erzählt die wahre Geschichte, wie Nanjiani 2007 seine heutige Ehefrau kennen lernte.

Lieben sich über Kulturgrenzen hinweg: Der Pakistani Kumail (Kumail Nanjiani) und die Amerikanerin Emily (Zoe Kazan) in «The Big Sick». Die Komödie erzählt die wahre Geschichte, wie Nanjiani 2007 seine heutige Ehefrau kennen lernte.

Photo by Nicole Rivelli

Was ist Ihre Lieblings-Liebeskomödie? Wahrscheinlich müssen Sie bei dieser Frage ein paar Jahre zurückdenken. «Pretty Woman»? «Notting Hill»?

Diese Filme erschienen in den 90ern. Damals waren Liebeskomödien in Hollywood noch das A und O, füllten Kinosäle und machten Schauspieler wie Julia Roberts und Hugh Grant zu Superstars (siehe Bildstrecke unten).

Und heute? Heute gelten Liebeskomödien als nicht mehr lukrativ. Das Geld der Hollywoodstudios fliesst in eine andere Richtung: Während jedes Jahr mehr Superheldenfilme produziert werden, nimmt die Anzahl Liebeskomödien proportional dazu ab.

Wegen dieser Rechnung verkündete der «Business Insider» Anfang 2017: «Die Hollywood-Liebeskomödie ist tot.»

Billy Mernit, Autor des Buchs «Writing the Romantic Comedy», hat dafür folgende Erklärung: «Das Zielpublikum, die 20- bis 40-Jährigen, identifiziert sich heute nicht mehr mit diesen formelhaften Geschichten.»

Was er damit meint: Liebeskomödien sind langweilig geworden, weil sie zunehmend nach dem gleichen Muster gestrickt sind: Mann trifft Frau, Mann verliert Frau, Mann erobert Frau zurück.

Keine Lust auf Standardkost

Offenbar haben immer weniger Zuschauer Lust auf diese ewiggleichen Geschichten. Neuere Fortsetzungen wie «Bridget Jones’ Baby» oder «My Big Fat Greek Wedding 2» konnten nicht mehr an den Erfolg der ursprünglichen Filme anknüpfen.

Man könnte das auch so formulieren: Der Liebesfilm ist zum faulen Stubenhocker mutiert, also haben wir mit ihm Schluss gemacht.

Doch plötzlich kommt da, wie aus dem Nichts, ein Film, der uns aufs Neue bezirzt: «The Big Sick», die wahrscheinlich beste und lustigste Liebeskomödie seit den 90ern. Um den Film ist seit seiner Premiere am Filmfestival in Sundance im Januar ein riesiger Hype entbrannt.

Riesiger Hype: Amazon liess sich die Vertriebsrechte für «The Big Sick» 12 Millionen Dollar kosten.

Riesiger Hype: Amazon liess sich die Vertriebsrechte für «The Big Sick» 12 Millionen Dollar kosten.

Sarah Shatz

Amazon liess sich die Vertriebsrechte 12 Millionen Dollar kosten. Am renommierten Festival South by Southwest gewann der Film den Publikumspreis, genauso in Locarno. Und an den US-Kinokassen hat er bereits das Fünffache seines 5-Million-Dollar-Budgets eingespielt.

Was macht er anders, was macht er besser als die zuletzt erfolglosen Liebeskomödien? Nun, «The Big Sick» orientiert sich nicht an Hollywoodklischees, sondern am echten Leben.

Hauptdarsteller Kumail Nanjiani – im Sommer Dauergast in den grossen amerikanischen Late-Night-Shows – verfasste das Drehbuch gemeinsam mit seiner Ehefrau Emily V. Gordon. Der Film erzählt die wahre Geschichte, wie sich die beiden 2007 kennen und lieben lernten. Und diese Geschichte ist kurios.

Für eine Liebeskomödie made in Hollywood sind die beiden ein eher ungewöhnliches Paar: Nanjiani ist ein gebürtiger Pakistani und Emily (im Film gespielt von Zoe Kazan) eine weisse Amerikanerin.

Lange hielt Nanjiani die Liebesbeziehung vor seinen Eltern geheim. Wie diese im Film dann im Wochenrhythmus heiratswillige junge Pakistani-Frauen zum Familiendinner einladen (Stichwort: arrangierte Ehe), wird zum grossartigen Running Gag.

Die 90er, das Jahrzehnt der Liebeskomödien – eine Auswahl:

Pretty Woman (1990) Geschäftsmann liebt Prostituierte. Zunächst war kein Happy End vorgesehen, doch die Chemie zwischen Richard Gere und Julia Roberts war zu gut.
5 Bilder
Sleepless in Seattle (1993) Ein Junge wünscht sich eine neue Mutter. Witwer Tom Hanks und Radiofrau Meg Ryan treffen sich auf dem Empire State Building. Hach!
Four Weddings and a Funeral (1994) Die Engländer könnens noch lustiger als die Amerikaner. Es wird geflucht, geliebt und gestorben. Hugh Grant startet durch.
The Wedding Singer (1998) Adam Sandler singt an Hochzeitsfesten. Immer Gast, nie Bräutigam. Dann trifft er Drew Barrymore. Ein kauziger, eigenwilliger, unterschätzter Film.
Notting Hill (1999) Julia Roberts und Hugh Grant, das Königspaar der Liebeskomödien. Romantischer und lustiger wurde es nie mehr. Ein Film für die Ewigkeit.

Pretty Woman (1990) Geschäftsmann liebt Prostituierte. Zunächst war kein Happy End vorgesehen, doch die Chemie zwischen Richard Gere und Julia Roberts war zu gut.

HO

Vorliebe für Terroristenwitze

Eine weitere Überraschung: Emily muss mehr als die Hälfte des Films aussitzen (bzw. -liegen): Wegen einer mysteriösen Erkrankung wird sie für mehrere Wochen in ein künstliches Koma versetzt. Das mag alles andere als komisch klingen, ist es aber umso mehr.

Am Spitalbett lernt Nanjiani nämlich Emilys Eltern kennen (genial: Ray Romano und Holly Hunter), die zunächst wenig anfangen können mit diesem jungen Mann, der sich als Stand-up-Comedian verdingt und gerne Terroristenwitze erzählt.

Kulturelle Missverständnisse: Emilys Eltern (Holly Hunter, Ray Romano) können zunächst nur wenig anfangen mit dem Pakistani-Freund ihrer Tochter (Kumail Nanjiani).

Kulturelle Missverständnisse: Emilys Eltern (Holly Hunter, Ray Romano) können zunächst nur wenig anfangen mit dem Pakistani-Freund ihrer Tochter (Kumail Nanjiani).

Impuls Pictures

Was folgt, ist eine grandiose, herzhaft lustige Auseinandersetzung mit kulturellen Missverständnissen. Nanjiani erzählte in einem Interview, dass er unbequeme Situationen am liebsten mit politisch unkorrekten Witzen überbrückt – und zu solchen Situationen kommt es im Film andauernd.

Nanjiani und sein späterer Schwiegervater haben derartige Berührungsängste, dass ihnen beim ersten Gespräch kein besseres Thema einfällt als die Rolle der Pakistanis bei den 9/11-Terrorattacken.

Mit frischen Pointen, unverbrauchten Gesichtern und ungekünstelten Szenen haucht «The Big Sick» dem totgesagten Genre der Liebeskomödie neues Leben ein.

Er funktioniert auch als filmisches Plädoyer für die farbenblinde Liebe. Und er erinnert daran, dass zwei Stunden Lieben und Lachen im vollgepackten Kinosaal am meisten Spass machen, auch heute noch.

The Big Sick (USA 2017) 120 Min. Regie: Michael Showalter. Ab Donnerstag 16.11. im Kino.