Gastkommentar
Pegasus – kein geflügeltes Pferdchen, sondern ein gemeines Mikrohündchen

Pegasus ist der Name einer Spionage-Software, die unbemerkt alles registriert, was auf einem Smartphone passiert. Natürlich sind die Absichten der Firma, die das verkauft, nur lauter. Auch Michail Timofejewitsch Kalaschnikow hatte nur Gutes im Sinn, als er sein erfolgreiches Gewehr, das Modell AK-47, baute.

Susan Boos
Susan Boos
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Das AK-47, Awtamat Kalashnikowa, das zuverlässigste Sturmgewehr der Welt – und deshalb das berüchtigste.

Das AK-47, Awtamat Kalashnikowa, das zuverlässigste Sturmgewehr der Welt – und deshalb das berüchtigste.

wikipedia

Pegasus, das ist das Programm, das Smartphones ausspähen kann. Entwickelt von der israelischen Firma NSO, die damit Gutes tun will, sagt sie: Pädokriminelle verfolgen, Terrorattacken verhindern, Mafiaoperationen aus­hebeln, vermisste Personen aufspüren. Jetzt steht die NSO am Pranger, weil ihr Programm auch autoritären Regierungen hilft, unliebsame Medienschaffende und Menschenrechtler auszuspionieren.

NSOs Pegasus ist weniger ein fliegendes Pferd als eines dieser Mikrohündchen, die in jede Tasche passen. Pegasus ist immer dabei, hört mit, schaut mit und kann – im Gegensatz zu den echten kleinen Kläffern – mitlesen. Das enthüllte Mitte Juli eine Gruppe von Journalistinnen und Journalisten zusammen mit Amnesty International, nachdem sie Dutzende von infizierten Smartphones akribisch analysiert hatten.

Das Gemeine I: Das Programm schleicht sich in die Geräte, ohne dass die Nutzerinnen und Nutzer es bemerken. Einfach so, man muss nicht einmal einen Link anklicken, um die Software zu installieren. «Die Zeit» hat es mit einer Zecke verglichen. Es beisst sich fest und saugt sich voll mit Fotos, E-Mails, Gesundheitsdaten, Kontoverläufen et cetera. Nachts, wenn man schläft und das Smartphone unschuldig am WLAN hängt, schickt Pegasus das Material an seine heimlichen Meister.

Das Gemeine II: Verschlüsseln hilft nicht. Obwohl IT-Cracks uns Journalistinnen und Journalisten seit langem predigen: Verschlüsselt eure Daten, damit niemand unberechtigt darauf zugreifen kann. Alles umsonst. Wenn man es sich genau überlegt – nicht überraschend. Alle, die ihre eigenen verschlüsselten Daten lesen möchten, müssen sie vorher in ihrem Gerät entschlüsseln und lesbar machen. Just in dem Moment höckelt Pegasus dabei und liest fröhlich mit. Nix hilft, jede noch so gut verschlüsselte App von Behörden, Banken, Krankenkassen oder Messengern wie Signal, Telegram, Threema gehen vor Pegasus in die Knie und geben alles preis.

Verschlüsseln hilft gegen die Software Pegasus nicht.

Verschlüsseln hilft gegen die Software Pegasus nicht.

Silvan Wegmann

Das Gemeine III: Wenn die Falschen mitlesen, kann es tödlich enden. Nicht bei uns, aber in Staaten, wo es lebensgefährlich ist, mit den Mächtigen nicht einer Meinung zu sein. Und davon gibt es immer mehr. NSO beteuert, alle Vorwürfe seien falsch. Ihr Ziel sei, Menschenleben zu retten. Auf die gesammelten Daten hätten sie keinen Zugriff. Abgesehen davon würden sie ihr Programm nur an Regierungen und Geheimdienste liefern, die damit verantwortungsvoll umgingen.

Das gemahnt an Michail Timofejewitsch Kalaschnikow, der nur Landmaschinen bauen wollte. Dann kam der Zweite Weltkrieg und Michail Timofejewitsch erlebte, wie verheerend es ist, wenn im Kampf gegen die Nazis plötzlich das Gewehr versagt. Also baute er ein zuverlässiges – die AK-47, die Kalaschnikow. Armeen auf der ganzen Welt setzen sie ein. Daneben war und ist sie beliebt bei Terroristinnen und Terroristen oder Freiheitskämpferinnen und Freiheitskämpfern. Schätzungsweise hundert Millionen Kalaschnikows wurden inzwischen unter die Menschen gebracht. Niemand weiss, wie viele damit erschossen wurden.

Michail Timofejewitsch ist deswegen kein Massenmörder. Auch er wollte wirklich Gutes tun. Aber was dann? Was sagt uns die Kalaschnikow über Pegasus? Die AK-47 ist nur eine von vielen Waffen, die gemacht wurden, um Menschen zu töten. Pegasus ist nur eines von vielen Spionageprogrammen, die entwickelt wurden, um Menschen zu verhaften. Es wird vielleicht die Richtigen erwischen, aber immer auch die Falschen.

Inzwischen wird das Verbot von Pegasus und anderer Spyware gefordert. Ich bin dafür. Nur bringen wird es wenig. Journalistinnen und Menschenrechtler, die in heikler Mission ­unterwegs sind, tun besser daran zu lernen, wie man sicher kommuniziert: analog, hand­schriftlich oder physisch konkret – halt wie im letzten Jahrtausend. Das ist dann Rückschritt durch Fortschritt. Oder Fortschritt als ­Rückschritt?