OFFENER UMGANG MIT DEPRESSIONEN: So unterschiedlich wie verbindend

Eine Gruppe von Männern und Frauen wandert durch die Ostschweiz. Ihr Ziel ist der offenere Umgang mit Depression. Das «Toggenburger Tagblatt» begleitete die «Mut-Tour» auf einem Teilstück von Wattwil nach Eschenbach.

Sascha Erni
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Die Smiley-Maske soll versinnbildlichen, dass Depression mitten in der Gesellschaft steht. (Bild: Sascha Erni)

Die Smiley-Maske soll versinnbildlichen, dass Depression mitten in der Gesellschaft steht. (Bild: Sascha Erni)

Wir treffen die Reisegruppe am 11. April vor der Fazenda da Esperança im Klösterli Wattwil. Es ist kühl aber sonnig, und es verspricht, ein grossartiger Wandertag zu werden. Tags zuvor war die fünfköpfige Gruppe von St. Peterzell nach Wattwil gekommen. Eine angenehme Strecke, erzählt uns Julian, während er seinen Hund auf die Mittwochsetappe vorbereitet. Nach und nach versammeln sich die restlichen Wanderer, schmieren sich mit Sonnenöl ein und es folgt das Erinnerungsfoto für die sozialen Medien. Ein gewohnter Anblick im Wanderland Toggenburg.

Mit Touren für Depression sensibilisieren

Weniger üblich ist jedoch der Grund, weshalb sich die vier Männer zusammen mit der Rheinthalerin Esther Tagmann auf die Reise von St. Gallen über Wattwil bis Wädenswil gemacht haben. Denn so unterschiedlich die Biografien sein mögen – der Ingenieur trifft in dieser Gruppe auf die Hauswartin, der 40-Jährige auf den Rentner – etwas verbindet sie doch: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben direkt oder indirekt Erfahrung mit Depressionen.

«Mut-Touren» gibt es in Deutschland bereits seit 2012. Mit Sportprojekten wollen Menschen mit und ohne Depression einen offenen, unverkrampften Umgang mit psychischen Krankheiten thematisieren. Dieses Jahr nun möchte das Grüppchen um Esther Tagmann die Idee auch in der Schweiz etablieren.

Wir steigen vorbei an der Iburg Richtung Laad und Eschenbach. Am Donnerstag ist ein Schwenker nach Uznach vorgesehen und am Samstagabend will die Wandergruppe in Wädenswil ankommen. Bis zum Ende der ersten Schweizer «Mut-Tour» werden die Teilnehmer gut 100 Kilometer unter die Schuhe genommen haben. Jeder geht im eigenen Tempo. Fällt jemand zurück, legt die Gruppe kurzerhand eine Pause ein. «Das ist kein Therapieangebot», erklärt uns Esther Tagmann. Es gehe darum, sich auszutauschen und in der Öffentlichkeit das Bewusstsein dafür zu stärken, dass die Depression ein Teil der Gesellschaft ist, den man aber nicht immer sieht.

In St. Gallen hatte eine Wanderin die Gruppe begleitet, am Samstag sollen weitere Interessenten, Einzelpersonen oder Familien mit Kindern, am öffentlichen Mitwander-Tag von Rapperswil nach Pfäffikon im Kanton Schwyz mitmachen. Eine durchmischte Truppe also. «Wir leben im Kleinen, was wir uns für die Gesellschaft in Zukunft wünschen», sagt Tagmann. Gemeinschaft sei bei den «Mut-Touren» zentral, ergänzt Julian. Der Berliner lebt mit einer bipolaren Störung, auf depressive Phasen können manische Schübe folgen. Es ist seine dritte «Mut-Tour», und man ahnt, dass es nicht seine letzte sein wird.

So akzeptiert zu werden, wie man ist

Alle Teilnehmer sind Überzeugungstäter, wie es einer nennt, stecken viel Zeit und Energie ins Projekt. «Es hat auch etwas Ehrenamtliches», erklärt Julian. Was er an den «Mut-Touren» schätzt, ist vor allem, dass er auf den Wanderungen so akzeptiert wird, wie er ist. Hier sei er einfach einer, der laufe, und nicht Patient. Gegen Mittag verlassen wir die Gruppe. Es war eine friedliche Wanderung, das Vogelgezwitscher nur selten von einem Traktor unterbrochen, die Gespräche persönlich. Über Depression als Krankheit haben wir kaum geredet. Aber dafür viel darüber, als Mensch leben zu können.

Angebote für Menschen mit Depression

  • Telefon 143: Die Dargebotene Hand, Telefonberatung.
  • Telefon 0848 800 858: Telefonberatung von Pro Mente Sana
  • : Online-Angebot des Vereins «Equilibrium»
  • : Online-Angebot der Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen des Kantons St. Gallen, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden. (rb)