Natur
«Wie wir Menschen müssen auch Pflanzen und Tiere mit wechselnden Temperaturen zurechtkommen»: Wie sich Flora und Fauna durch den wechselhaften Winter kämpfen

Schnee und Eis wechseln sich derzeit mit fast frühlingshaften Temperaturen ab. Was für uns Menschen manchmal mühsam ist, kann auch die Tier- und Pflanzenwelt vor Herausforderungen stellen.

Alain Rutishauser
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Zwei Grasfrösche beim Wenigerweiher in St.Gallen. Wie kommen sie durch den Winter?

Zwei Grasfrösche beim Wenigerweiher in St.Gallen. Wie kommen sie durch den Winter?

Bild: Toni Bürgin

Wie gehen Tiere und Pflanzen mit dem Auf und Ab der Temperaturen um? Geraten gewisse Tierarten, durch die milden Temperaturen aus der Winterstarre gelockt, in Gefahr, wenn die klirrende Kälte plötzlich wiederkehrt? Bedeuten Temperatureinbrüche den Tod für grosse Teile der Flora und Fauna?

«Wie wir Menschen müssen auch Pflanzen und Tiere mit wechselnden Temperaturen zurechtkommen. Sie haben dazu im Laufe der Evolution verschiedenste Strategien entwickelt», erklärt Toni Bürgin, Direktor des Naturmuseums St.Gallen. Zugvögel ziehen beispielsweise in den Süden, wenn sie durch die Schneedecke im Winter nur wenig Nahrung finden.

Vögel kommen problemlos mit tiefen Temperaturen zurecht

Toni Bürgin, Direktor des Naturmuseums St.Gallen.

Toni Bürgin, Direktor des Naturmuseums St.Gallen.

Bild: Lisa Jenny

Doch auch Pflanzen und Tiere, die es nicht nach Süden zieht, kommen mit den wechselnden Temperaturen zurecht. «Warmblüter wie Säugetiere oder Vögel reduzieren ihre Aktivität bei tiefen Temperaturen.» Dichtes Gefieder oder ein Winterpelz halte die kalten Temperaturen fern. «Vögel sind hart im Nehmen. Ihr Gefieder übersteht problemlos Temperaturen bis Minus zwanzig Grad», sagt Bürgin. Andere Vögel schliessen sich zu Gruppen zusammen, um der Kälte zu trotzen:

«Baumläufer beispielsweise verbringen die Nacht gemeinsam und wärmen sich gegenseitig.»
Ein Baumläufer mit einer erbeuteten Zwischenverpflegung.

Ein Baumläufer mit einer erbeuteten Zwischenverpflegung.

Bild: Hans Aeschlimann
Die Winterlibelle, fotografiert im Naturschutzgebiet Arnegger Witi.

Die Winterlibelle, fotografiert im Naturschutzgebiet Arnegger Witi.

Bild: Toni Bürgin

Wechselwarme Tiere — Insekten, Spinnen, Amphibien, Reptilien — würden bei tiefen Temperaturen in eine Winterstarre verfallen. «Einzelne Arten wie etwa der Zitronenfalter oder die Winterlibelle überwintern als ausgewachsene Insekten», sagt Bürgin. Sobald eine gewisse Temperatur erreicht sei, würden die Tiere aktiv. Falle die Temperatur wieder, gehe es zurück in die Winterstarre.

Allerdings sei für viele Tierarten nicht nur die Temperatur entscheidend, um aus dem Winterschlaf zu erwachen. Bürgin:

«Sie richten ihre innere Uhr auch nach der Tageslänge und der Dauer des Tageslichts aus. Je länger die Tage, desto öfter singen die Vögel und geben ihren Balzgesang wieder.»

Kälte kann für Nachwuchs zum Problem werden

Die ausgewachsenen Tiere sind also durchaus kälteresistent, weitaus empfindlicher ist allerdings der Nachwuchs. «Die Gelege sind deutlich kälteempfindlicher als die ausgewachsenen Tiere. So kann die Anzahl des Nachwuchses bei eisiger Kälte deutlich reduziert werden», sagt Andreas Kopp, Präsident des Entomologischen Vereins Alpstein und Mitarbeiter im Naturmuseum St.Gallen.

Dies könne beispielsweise bei Grasfröschen beobachtet werden. Wenn diese Ende Februar ablaichen, könne es vorkommen, dass durch nächtliche Frostphasen viele Eier erfrieren. «Grasfrösche verfolgen allerdings die Strategie vieler Nachkommen. Dass da ein Teil der Eier verloren geht, ist normal und verkraftbar», ergänzt Bürgin.

Der zahlreiche Nachwuchs der Grasfrösche kann durch die Kälte zu Schaden kommen.

Der zahlreiche Nachwuchs der Grasfrösche kann durch die Kälte zu Schaden kommen.

Bild: Toni Bürgin

Pflanzen trotzen Kälte und Feinden

Erfrieren nebst zahlreichen Eiern auch Pflanzen bei eisigen Temperaturen? «Nein, Frühblüher können nicht erfrieren, denn sie haben bestimmte Mechanismen, um sich vor Minusgraden zu schützen», antwortet Alfred Brülisauer, zuständig für Botanik im Naturmuseum St.Gallen. Schneeglöckchen würden beispielsweise nach einer Frostnacht flach auf den Boden liegen. «Sie sind aber keineswegs erfroren, sondern richten sich nach einiger Zeit wieder auf, weil sie über einen natürlichen Frostschutz verfügen.» Bei tiefen Temperaturen würden Pflanzen aus Stärkereserven Glucose produzieren, die verhindere, dass das Wasser schon bei null Grad gefriere. Aber nicht nur gegen die Kälte seien Pflanzen gerüstet, auch vor Tieren wisse sich der Frühblüher zu wehren. Brülisauer:

«Die meisten Frühblüher sind giftig. So schützen sie sich vor Frassfeinden.»