Die Zeugen zerplatzter Träume

Bogdan Todic und Ralf Zuber arbeiten als Pfändungsbeamte. Hausbesuche und Gespräche mit Schuldnern gehören zu ihrem Alltag – sämtliche Emotionen inklusive. Am meisten stört sie aber der Trend des «Jetzt kaufen, später zahlen».

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Hochbetrieb am Gaiserbahnhof: Im Betreibungsamt stapeln sich die Zahlungsbefehle. (Bilder: Urs Bucher)

Hochbetrieb am Gaiserbahnhof: Im Betreibungsamt stapeln sich die Zahlungsbefehle. (Bilder: Urs Bucher)

Herr Todic, Herr Zuber, die Zahl der Betreibungen ist in St. Gallen im letzten Jahrzehnt um 30 Prozent angestiegen, Pfändungen gar um 50 Prozent. Sie stehen täglich in direktem Kontakt mit denen, die nicht zahlen können oder wollen. Warum werden es immer mehr?

Bogdan Todic: Das Konsumverhalten hat sich in den letzten Jahren stark verändert: Heute können Sie in ein Elektronikfachgeschäft gehen und Ihre Stereoanlage, die Waschmaschine und den Fernseher am gleichen Tag kaufen – alles auf Pump.

Ralf Zuber: Oder einen Staubsauger für zehn Raten à zehn Franken. Das geht eine Weile gut, und Sie zahlen von allem ein wenig ab. Bis zum Tag, an dem die Steuerrechnung ins Haus flattert, eine Zahnarztrechnung oder ausser Kontrolle geratene Handykosten. – Ein weiterer Faktor ist sicher die Personenfreizügigkeit. Wir spüren, dass damit eine neue «Klientel» bei uns angekommen ist, die auch die Fälle ansteigen lässt.

Dann sind Sie vermutlich keine grossen Freunde von Leasingverträgen und Privatkrediten?

Zuber: (lacht) Die würde man sowieso am besten verbieten! Sie bereiten uns fast am meisten Sorgen. Wirklich mühsam. Kompliziert wird es, wenn die Leute anfangen, auch Steuern und Krankenkassenprämien aus einem Privatkredit zu bezahlen. Dahinter steckt ein sehr kurzfristiges Denken, das sich direkt auf die Zahl der Betreibungsfälle auswirkt.

Todic: Privatkredite sind gerade bei Personen mit niedrigen Einkommen sehr beliebt. Es kann aber Jahre dauern, bis so ein Kredit zurückbezahlt werden kann. Doch schauen Sie nur mal, wie aggressiv solche Kleinkredite beworben werden, und wie einfach die zu haben sind. Dahinter steckt ein Riesengeschäft.

Ihre Arbeit besteht zu einem grossen Teil im Überbringen von Zahlungsbefehlen und Pfändungsurkunden – also unangenehmer Nachrichten. Wie leben Sie damit, sich ständig unbeliebt zu machen?

Zuber: Mit der Zeit lernt man, professionelle Distanz zu wahren. Und natürlich sollten Sie eher ein Typ sein, dem nicht alles ganz so nahe geht. Ich versuche immer, so höflich und neutral wie möglich zu bleiben. Moralisieren wirkt in der Regel kontraproduktiv. Meist läuft alles in einem gesitteten Rahmen ab. Aber ich kann auch einmal laut werden, wenn mir ein Schuldner frech kommt. Nach fünf Minuten sage ich dann: «So, jetzt reden wir wieder normal miteinander.» Ich muss mir nicht alles bieten lassen.

Todic: Man darf nicht vergessen, dass wir beiden Seiten Rechenschaft schuldig sind: Schuldnern und Gläubigern. Mit Pfändungen von Vermögenswerten treiben wir – ohne Liegenschaftenwerte – gegen 20 Millionen Franken im Jahr ein. Für die Gläubiger – und damit auch für uns – sind das Erfolge.

Was braucht es, um ein guter Pfändungsbeamter zu sein?

Todic: Sicher braucht es eine gute Menschenkenntnis. Vom «Working Poor» bis zum Akademiker gibt es unter unseren «Kunden» alles. Nicht nur die Armen werden betrieben, sondern auch Reiche, die über ihre Verhältnisse leben.

Zuber: Ich mache diese Arbeit nun schon seit 30 Jahren. Da gewinnt man viel Routine, und das hilft dabei, sich ein dickeres Fell zuzulegen. Aber manchmal sieht man auf Hausbesuchen – von denen ich täglich zwischen vier und acht mache – unglaublich traurige Verhältnisse. Damit muss man fertig werden.

Die Statistik besagt, dass immer mehr Junge Schulden machen. Fällt Ihnen das auf in Ihrer täglichen Arbeit?

Todic: Ja, das merken wir. Gemäss unserer internen Statistik hatten wir in den letzten zwei Jahren bei den 26-Jährigen am meisten Betreibungen zu verzeichnen. Während die 20-Jährigen meist noch zu Hause wohnen, haben diese vielleicht bereits eine eigene Wohnung, müssen das erste Mal Steuern bezahlen und für die Krankenkassenprämien aufkommen. Da gerät manch einer ins Schleudern.

Zuber: Oft stimmen bei den Jüngeren auch Realität und Wunschdenken nicht überein. Erst gestern war ich bei einem jungen Finanzberater, der seine eigenen Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Jetzt möchte er sich umschulen lassen. Sogar er musste schmunzeln, als er das sagte.

Abgesehen von Unterhaltungselektronik und Privatkrediten – welche Dinge müssen Sie am häufigsten betreiben?

Zuber: Steuern und Krankenkassenprämien sind sehr häufig. Auch seit die Krankenkassen ihr Inkassosystem verschärft haben. Todic: Es gibt eigentlich nichts, was nicht betrieben wird. Einmal hatten wir den Fall eines Paares, das einen Hochzeitsapéro, eine Hummer-Limousine und ein Hochzeitsessen bestellte, aber nie bezahlte. Schwer zu sagen, ob die jemals vor hatten, dafür auch nur einen Rappen auszugeben. Tatsache ist, dass ein Verlustschein 20 Jahre lang gültig bleibt. So lange kann ein Gläubiger versuchen, noch zu seinem Geld zu kommen.

Sie behandeln zurzeit pro Mitarbeiter etwa 1550 Fälle pro Jahr. Wie schaffen Sie sich einen Ausgleich zu Ihrem Job?

Zuber: Mit Marathonläufen und Krafttraining.

Todic: Mit Squash und Tennis. Da kann ich mich austoben.

Interview: Odilia Hiller