Ein hochbrisanter Roadtrip

ST.GALLEN. Drei Filmemacher reisten von Mai bis Juni mit einem Kinobus nach Palästina. Wegen Sprachproblemen, Misstrauen und Schüssen aus dem Refugee-Camp mussten sie ihre Filmidee verwerfen. Etwas bewegen wollen sie aber immer noch.

Kathrin Reimann
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Auf der Reise wurde oft mit Jungen gesprochen, hier in Jerusalem.

Auf der Reise wurde oft mit Jungen gesprochen, hier in Jerusalem.

Wenn Philip Spaar nach den Erlebnissen auf seiner Reise gefragt wird – was oft geschieht, denn wer plant schon mit einem Bus nach Palästina zu fahren – unterteilt er die Antwort immer: Einerseits in Erlebnisse, die er als Filmemacher gemacht hat. Andererseits in die als Reisender. «Die Reise war unvergesslich. Die spannenden und bewegenden Begegnungen möchte ich nicht missen. Als unerfahrene Filmer haben wir viel gelernt und ein hohes Lehrgeld bezahlt.»

Das Ziel der drei Männer um die 30 Jahre – Stefan Schöbi und Philip Spaar aus St. Gallen und Fabian Senn aus Zürich – war es, mit einem Bus nach Palästina zu fahren, unterwegs einen Film zu zeigen und daraus einen eigenen zu drehen.

Auf der Reise wurde oft mit Jungen gesprochen, hier in Jerusalem.

Auf der Reise wurde oft mit Jungen gesprochen, hier in Jerusalem.

Erste Panne nach 100 Kilometer

Einen ersten Dämpfer erleiden sie bereits nach 100 Kilometern Fahrt: Ihr Druckregler geht kaputt. Zwei Nächte warten sie auf das Ersatzteil, ehe sie weiterfahren können. Beim ersten Halt im bosnischen Banja Luka werden sie mit kritischen Fragen konfrontiert. Sie wollen den Film «Das Herz von Jenin» zeigen, der die Geschichte eines palästinensischen Vaters erzählt. Dessen Sohn wird von einem Israeli im Refugee-Camp von Jenin erschossen. Anstatt nach Vergeltung zu trachten, gibt er die Organe zur Spende frei und rettet so die Leben fünf israelischer Kinder. «Wir wurden gefragt, ob uns bewusst sei, was wir auslösen können. Und, dass so eine Vorführung gefährlich sei.» So wird der erste Filmabend kurzfristig abgesagt, dafür lernen die drei einen 35jährigen Kriegsveteranen kennen, der als 13-Jähriger rekrutiert worden war. Mit ihm drehen sie ein paar Tage und merken, dass ihnen die Zeit fehlt, um das nötige Vertrauen aufzubauen. «Jetzt weiss ich, weshalb Dokfilme oft über mehrere Jahre gedreht werden», erkennt Spaar.

Philip Spaar, Botschafter Mohammed Nabhan und Fabian Senn.

Philip Spaar, Botschafter Mohammed Nabhan und Fabian Senn.

Fehlende Identitäten

Auf einer privaten Terrasse ausserhalb Banja Lukas kommt es doch noch zur ersten Vorführung und einer Diskussion, welche die Perspektivlosigkeit der jungen Kosovaren zeigt. «Die Arbeitslosenquote vor Ort liegt bei 50 Prozent und wir spürten den Einfluss eines Krieges, der 20 Jahre zurückliegt», sagt Spaar.

Danach geht die Fahrt «durch idyllische Landschaften und an mit Schusslöchern übersäten Häusern vorbei» nach Belgrad. Dort lernen sie junge Leute kennen, die in einem besetzten Kino für die Kultur kämpfen. Sie interviewen den palästinensischen Botschafter, zeigen den Film und regen wieder Diskussionen an. «Egal wo wir den Film vorführten, die Zuschauer haben ihn immer mit dem eigenen Schicksal in Verbindung gesetzt.» Dabei zeigt sich, dass die Jugend mit ihrer Identität hadert. «Im Balkan brodelt es noch immer. Viele wissen nicht, wohin sie gehören. Dabei liegt die Zukunft des Landes in den Händen der Jungen.»

Mit der Erkenntnis, dass ein Film hier viel beeinflussen könnte, fahren sie in den Kosovo. Doch sie haben eine weitere Panne, eine Vorführung fällt ins Wasser, alle sind enttäuscht. In einem kosovarischen Bergdorf müssen sie eine weitere Aufführung wegen Kälte und Sprachproblemen abbrechen, werden dafür von Motocrossern mit in die Berge genommen. Im Süden Kosovos können sie endlich eine Vorführung machen. Die Pannen haben aber Löcher in ihr Budget gerissen und sie beschliessen, den Wagen in der Türkei stehen zu lassen und nach Tel Aviv zu fliegen. «Ich wollte keine weitere Panne riskieren, da wir in Aussicht hatten, alle Protagonisten aus dem Film <Das Herz von Jenin> zu treffen und zu filmen», sagt Spaar. Protagonisten, die heute zur Generation, die die Zukunft verändern kann, gehören.

Die erste Diskussionsrunde in Bosnien-Herzegowina.

Die erste Diskussionsrunde in Bosnien-Herzegowina.

Ein neuer Fokus muss her

Ohne Probleme reisen sie in Israel ein, wo sich skurrile Szenen abspielen. «Helikopter, die alle zehn Minuten aus dem Gaza-Streifen über das Strandbad fliegen. Oder junge Soldatinnen und Soldaten, die in Flip-Flops ihren Dienst leisten.» In Jenin angekommen, fühlen sie sich zum ersten Mal unwohl: «Aus dem Refugee-Camp hörten wir ständig Schüsse.» Auch als sie den Ort, wo der Junge aus «Das Herz von Jenin» erschossen wurde, besuchen, ist ihnen mulmig zumute. Misstrauen schlägt den Filmenden entgegen; ihnen werden Fangfragen gestellt.

Ausserdem merken sie, dass ihr ursprünglicher Plan nicht aufgeht. «Die Protagonisten haben wir zwar getroffen, aber vor der Kamera wollte niemand reden. Auch den Vater des Jungen treffen sie, doch dieser leidet mittlerweile unter schweren Depressionen, was das Gespräch erschwert. «Uns ist bewusst geworden, dass wir etwas bewegen wollen», sagt Spaar, der sich seit dieser Reise dem Gefühl der Verantwortung für die besuchten Gebiete nicht mehr entziehen kann. «Uns ist aber auch bewusst geworden, dass wir die Situation vor Ort und die Wichtigkeit eines Kultur- und Sprachkundigen an unserer Seite unterschätzt haben.» Im Balkan habe ihre Filmarbeit von Spontanität gelebt, in Israel und Palästina funktionierte dies aber nicht mehr.

Dass auch, wenn nichts wie geplant läuft, doch etwas Gutes entstehen kann, haben die drei mehrmals gemerkt. «Das Happy End ist, was du daraus machst», lautet ihr Credo. Mit diesen Erkenntnissen arbeiten sie nun an der Weiterführung des Projektes, sobald sie die nötigen Mittel und Materialien aufgetrieben haben.

www.roadtojenin.ch

Geschwister warten am Check-Point in Palästina auf ihren Vater. (Bilder: pd)

Geschwister warten am Check-Point in Palästina auf ihren Vater. (Bilder: pd)