Familie Jesus

Ein junges Paar sucht einen Platz in Bethlehem. Die Frau ist schwanger, sie bringt ein Kind zur Welt. Das ist die Weihnachtsgeschichte. Doch was war das für eine Familie? Rolf App

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Die Heilige Familie, wie sie seit Franz von Assisi zu Weihnachten vergegenwärtigt wird. (Bild: dapd/Maja Hitij)

Die Heilige Familie, wie sie seit Franz von Assisi zu Weihnachten vergegenwärtigt wird. (Bild: dapd/Maja Hitij)

Wie immer zur Weihnachtszeit haben wir die Krippe hervorgeholt. Sie ist aus Ton, schon einmal zu Bruch gegangen und dann wieder zusammengeleimt worden. Maria schaut versonnen gen Himmel, Josef blickt etwas grimmig drein. Zwischen ihnen das Kind, schlafend. Links ein Schaf, rechts ein Esel. Mehr Platz ist nicht in der engen Behausung. Das ist, sozusagen, der Minimalbestand der Heiligen Familie bei Jesu Geburt. Der Kreis der Teilnehmer lässt sich erweitern. Oft steht noch ein Ochse da, ein paar Hirten stossen hinzu, und drei fremdartig gekleidete Männer mit Geschenken.

Franz von Assisis Krippe

Woher stammt dieses Szenario? «Nicht aus dem Neuen Testament», antwortet Donald Spoto, der Theologie studiert und ein Buch über Jesus geschrieben hat. «Sondern von Franz von Assisi.» 1223 habe er nahe dem italienischen Dorf Greccio eine Art Panorama für die Weihnachtszeit ins Leben gerufen. Da das Evangelium nach Lukas erwähnt, das Kind sei in eine Krippe gebettet worden, meinte einer der Begleiter, in dem Stall müssten sich Ochsen, Pferde und Esel befunden haben. Und weil das Evangelium nach Matthäus den Besuch einer ungenannten Zahl von Weissagern und Astrologen, Lukas die Anwesenheit von Schäfern erwähne, «bat Franz von Assisi die Freunde, auch diese darzustellen», schreibt Spoto weiter.

Lukas, Matthäus: Es sind zwei Geschichten von Jesu Geburt, die in der Bibel erzählt werden. Die andern Evangelisten schweigen zu diesem Ereignis ganz.

Zweierlei Geburt

Lukas bringt die Geschehnisse in Zusammenhang mit einem Befehl des Kaisers Augustus, alle Bewohner des Reiches in Steuerlisten eintragen zu lassen. Deshalb zog Josef «von der Stadt Nazareth in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Bethlehem heisst; denn er war aus dem Haus und dem Geschlecht Davids. Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartet.»

Matthäus lässt Sterndeuter aus dem Osten kommen und in Jerusalem nach dem neugeborenen König der Juden fragen. König Herodes erschrickt, er will das Kind töten lassen. Seine Eltern fliehen mit ihm nach Ägypten.

Die Bedeutung der Geburt

Matthäus schrieb gegen Ende des ersten Jahrhunderts. Er stammt aus einer jüdisch-christlichen Gemeinschaft und will den neuen Glauben mit den reichen Traditionen des Judentums verknüpfen. Sein Hintergrund ist das Alte Testament.

Lukas' Erzählung dagegen ist von berührender Einfachheit, aber auch er ist nicht an den Umständen der Geburt interessiert. Er erzählt uns vielmehr von ihrer Bedeutung. Die Windeln zum Beispiel, in die Jesus gewickelt wird, sind, wie Lukas schreibt, ein «Zeichen»: Sie weisen direkt auf Salomo, von dem es in den Apokryphen – das sind heilige Bücher, die nicht in den biblischen Kanon aufgenommen wurden – heisst: «Sorgfältig wurde ich in Windeln gewickelt und voll Fürsorge aufgezogen. Für einen König gibt es nur dieses eine nach der Geburt.»

Ein Kind geht verloren

So teilt uns die Bibel denn auch über die familiären Verhältnisse dieses Religionsgründers nur das mit, was in ihre Erzählung passt. Dass Jesus mehrere Brüder hat mit Namen Jakob, Josef, Simon und Judas sowie eine ungenannte Zahl von Schwestern, das wird nur nebenbei erwähnt. Immerhin sagt man ihm, während er lehrt: «Deine Mutter und deine Brüder stehen draussen und möchten dich sehen.»

Was sind das für Eltern? Von Josef erfährt man neben dem Namen nur, dass er Zimmermann in Nazareth ist. Zimmermann, das ist zu jener Zeit ein sehr angesehener Beruf, der auch den Bau ganzer Häuser umfasst. Ein einziges Mal nur tritt Maria als Erzieherin ins Bild. Die Familie reist nach Jerusalem in den Tempel, und der junge Jesus bleibt dort, ohne dass seine Eltern es merken. Sie suchen ihn, und seine Mutter sagt zu ihm: «Kind, wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht.»

Die «verlobte» Maria

Als Jesus zur Welt kommt, ist Maria mit Josef «verlobt». Im jüdischen Kulturraum bedeutet das zu dieser Zeit «verheiratet». «Die jüdische Verlobungs- und Heiratszeremonie, arrangiert von den Eltern des Paares, fand üblicherweise statt, wenn das Mädchen zwölf Jahre alt war», erläutert Donald Spoto die Sitten der Zeit. «Zu dieser Zeit wurde vor Zeugen ein Vertrag unterschrieben, der besagte, dass eine rechtmässige Heirat stattgefunden und der Mann vor dem Gesetz die Frau als sein Eigentum erworben hatte.»

Die Frau als Eigentum

Damit beginnt ein Prozess der Übergabe der väterlichen Gewalt in jene des Mannes, was ungefähr ein Jahr dauert. Ob das Paar in dieser Zeit schon sexuelle Beziehungen hat, ist von Region zu Region verschieden. In Galiläa wird die Jungfräulichkeit der Ehefrau strikt gewahrt, bis sie in einer zweiten Zeremonie dem Mann übergeben wird. Ab dann ist sie ihm untertan. «Von ihr wurde erwartet, dass sie ohne zu fragen gehorchte und ihren Mann mit rab bzw. Herr ansprach», fasst Spoto zusammen. «Sie war ebenso verpflichtet, alle Hausarbeit auf sich zu nehmen, ihrem Mann jeden Wunsch zu erfüllen, Kinder zu gebären, ihm alles abzuliefern und jede Art von Konkubinen, die er sich nehmen mochte, zu tolerieren.»

Eine andere Art Familie

Die Familie zur Zeit Christi ist vollständig anders als heutige Familien. Es geht nicht um Liebe oder Zuneigung, sondern um Gehorsam. Im Zentrum steht das wirtschaftliche Überleben, zu dem alle beizutragen haben. So bleibt es für eine lange Zeit. Noch im Mittelalter bildet die Familie zuallererst eine Zweck- und Notgemeinschaft. Erst als das junge städtische Bürgertum im späten 18.Jahrhundert auf die Arbeit von Frauen und Kindern verzichten kann, bildet sich langsam die Familie im heutigen Sinn heraus. Ökonomische Zwänge treten in den Hintergrund, der emotionale Zusammenhalt wird wichtiger.

Um eines aber geht es weiterhin: Um Fortpflanzung. Bis mit der einfacheren Verhütung auch dies in Frage gestellt wird. «Elternschaft gehört zur Lebensgeschichte eines Menschen nicht mehr fast zwangsläufig dazu», stellt der Philosoph Dieter Thomä fest. «Wir scheinen in einer Zwischenzeit zu leben.»

Donald Spoto: Jesus, der Mann aus Nazareth, Europa Verlag 1999