Haarig und hochbrisant

Die Nigerianerin Chimamanda Ngozi Adichie spricht in Zürich über ihr geniales Buch «Americanah», über Rassismus, Frauen und die USA.

Valeria Heintges
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Verursachte Schlangen vor dem Büchertisch: Chimamanda Ngozi Adichie im Zürcher Kaufleuten. (Bild: Michael Guggenheimer)

Verursachte Schlangen vor dem Büchertisch: Chimamanda Ngozi Adichie im Zürcher Kaufleuten. (Bild: Michael Guggenheimer)

Wer Chimamanda Ngozi Adichies Buch «Americanah» schon gelesen hatte, den beschäftigte vor ihrer Lesung am Mittwochabend im Zürcher Kaufleuten vor allem eine Frage: Wie würde die Nigerianerin ihr Haar tragen? Die Antwort: Sie hatte «Cornrows» an den Schläfen und ihre Minizöpfe auf dem Oberkopf zu einer Art Dutt gewunden.

Afrikanerinnen und ihr Haar

Wer Chimamanda Ngozi Adichies Buch «Americanah» nicht kennt, wird die Frage gar nicht verstehen. Auch Moderator Alain Zucker musste Begriffe wie «Braids», «Cornrows», «Medium Kinky Twists» in seinen Unterlagen nachlesen. Damit kam er bei der Nigerianerin gar nicht gut an. Denn Zuckers Frage, warum sie so viel über Haare schreibe, beantwortete die 36-Jährige ein wenig schnippisch mit: «Damit Menschen wie Sie mehr über das Haar afrikanischer Frauen erfahren!»

Das Thema Haare zieht sich durch Adichies Buch als Metapher für den Rassismus in den USA. Die Frisur spielt noch keine Rolle in der Kindheit und der Jugend der Hauptfigur Ifemelu. Aber als sie aus Nigeria in die USA emigriert, um dort ihr Studium fortzusetzen, wird vieles anders. Nach mehreren Tiefschlägen hat sie endlich einen Termin für ein Bewerbungsgespräch; dafür gibt ihr die Berufsberaterin nur einen Rat: «Werden Sie die Zöpfe los und lassen Sie sich das Haar glätten.»

Metapher für Rassismus

Die Haare werden zum Zeichen der Verschiedenheit, ihr Glätten ein Zeichen der Anpassung an das Modediktat, das nur glatte Haare als schön anerkennt – auch wenn das eine chemische Tortur für die Haare und die Kopfhaut bedeutet. Wie Ifemelu zog auch ihre Schöpferin Adichie zum Studium nach Amerika. Wie ein Schlag ereilt sie dort die Erkenntnis: «In America, you are black, Baby», wie sie in der englischen Originalausgabe schreibt. Das war in Nigeria kein Thema. Und so sagte auch Adichie am Anfang: «I am not black, I am Nigerian», ich bin nicht schwarz, ich bin Nigerianerin.

«Americanah» ist ein 600-Seiten-Roman über Nigeria und die USA, über Frauen und über Rassismus in Amerika. Und es ist ein Liebesroman. Auf drei Zeitebenen und über drei Kontinente hinweg berichtet Adichie über Ifemelu und ihre Jugendliebe Obinze. Das Geschehen setzt ein mit Ifemelus Entscheidung, nach 13 Jahren in den USA wieder nach Nigeria zurückzukehren. Längst ist sie beruflich erfolgreich, Besitzerin einer Eigentumswohnung und eines amerikanischen Passes. Dennoch will sie zurück. Und lässt sich deshalb in einem Coiffeursalon die Haare flechten.

Sechs Stunden sitzt sie dort und lässt ihr bisheriges Leben Revue passieren: Kindheit und Jugend in Nigeria, die grosse Liebe zu Obinze, die Zeit in Amerika, die ihr nach grosser Einsamkeit auch mehr oder weniger gute Liebesbeziehungen bringt. Zwischendurch erzählt Adichie, wie es der Jugendliebe Obinze ergeht, der nach einer tristen Zeit in England wieder in Lagos lebt, dort zu Geld kommt, die schöne Kosi heiratet und Vater einer kleinen Tochter wird.

Heimat, Weggehen, Rückkehr

«Americanah» ist ein spannendes Werk, das man nicht mehr beiseite legen kann, auch wenn die Liebesgeschichte zum Ende hin ein wenig auf der Brust schwächelt. Viel stärker und auch viel brisanter sind die anderen Motive. Als «Americanah», also eine aus Amerika nach Nigeria Heimgekehrte, sieht Ifemelu Lagos mit fremden Augen. «The book is about home», sagt Adichie in Zürich, «darüber, was Heimat bedeutet, über das Weggehen und das Wiederkommen.» Ihre Heimat, daran lässt Adichie keinen Zweifel, ist Nigeria, «dort ist mein Herz, das geht mich an». Amerika hingegen sei «wie der reiche Onkel, der immer deinen Namen vergisst, aber dir Geld zusteckt».

Im Gegensatz zur Romanfigur Ifemelu wächst Adichie als Tochter eines Statistikprofessors und einer Universitätsangestellten in eher wohlhabenden Verhältnissen auf. Als sie zum Kommunikations- und Politikstudium in die USA zieht, ergeht es ihr besser als ihrer Protagonistin. Aber auch sie empfindet es als grossen Nachteil, weder über die Geschichte der USA noch die Afrikas viel zu wissen – und so macht sie auch einen Master in Afrikanischer Politik und Geschichte an der Yale-Universität. Nach vier Jahren zieht sie nach Nigeria zurück, pendelt heute als erfolgreiche Schriftstellerin zwischen Lagos und Baltimore. Ihr Roman «Blauer Hibiskus» war für den Booker-Preis nominiert, für «Die Hälfte der Sonne» gewann sie den Orange Prize for Fiction, mit ihrem dritten Roman «Americanah» den National Book Critics Circle Award, und die New York Times zählte das Werk zu den zehn besten Romanen 2013.

Amerikas Standesdenken

Das ist gerechtfertigt, denn Bücher, die Lesefutter so gekonnt mit brisanten Aussagen verbinden, sind selten. Und Ifemelu ist eine hochpolitische Frau: In den USA beginnt sie einen Blog unter dem Titel «Raceteenth oder Ein paar Beobachtungen über schwarze Amerikaner (früher als Neger bekannt) von einer nicht-amerikanischen Schwarzen.» Sie will beschreiben, nicht beobachten, sagt sie, und sie beobachtet haargenau.

Sie stellt Ranglisten der verschiedenen Gesellschaftsschichten in Amerika auf, dröselt die vier Pfeiler des «amerikanischen Stammesdenkens» auseinander: «class» (von Annette Grube etwas verschönernd mit «Schicht» übersetzt), Ideologie, Religion und Rasse, zeigt auf, warum die Schwarzen Michelle Obama so lieben, und denkt immer wieder über die Sprache nach, die es verbietet, jemanden als «black» oder als «fat» zu bezeichnen, obwohl er es offensichtlich doch ist.

Gute Seiten, schlechte Seiten

Adichie findet in Zürich auch klare Worte für die Politiker in ihrem Land. Die könnten der Islamistenbewegung Boko Haram, die Buben tötet und Mädchen entführt, nichts entgegensetzen. Gleichzeitig zeichnet Adichie ein liebenswertes Bild von Nigeria. «Doch im Gegensatz zu Ländern wie der Schweiz ist es uns nicht gelungen, den negativen Geschichten eine gute Geschichte entgegenzusetzen.»

Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah, S. Fischer 2014, 605 S., Fr. 35.50