Songwriter

Die lichten und die seltsamen Seiten des Bob Dylan

Er ist der wohl größte lebende Liedermacher, eine Ikone der Protestkultur und Träger des Literaturnobelpreises – aber er ist auch ein irrlichternder Eigenbrötler. Am 24. Mai wird der? US-Musiker 80 Jahre alt.

22.05.2021

Von BORIS KRUSE

Bob Dylan auf einer undatierten Aufnahme  Foto: dpa Foto: dpa

Bob Dylan auf einer undatierten Aufnahme Foto: dpa Foto: dpa

Berlin. Vermutlich ist dieses Klischee inzwischen einfach zu oft bemüht worden, um noch etwas Aussagekräftiges zutage zu fördern: das vom rätselhaften, unberechenbaren Bob Dylan, der sich permanent verändert, der ständig in neue Rollen schlüpft, neue Stilrichtungen einschlägt.

Solche Deutungen haben freilich die Wirkung und je nach persönlicher Einstellung auch den Vorteil, dass sie die Vorstellung von Bob Dylan als größtes Songwriting-Talent des 20.?Jahrhunderts retten. Wobei einmal dahingestellt sei, was mit diesem Genie-Begriff überhaupt gewonnen wäre. Dylan jedenfalls hat viele schwache Songs geschrieben, er hatte unzählige schlechte Konzertabende, und er hat im Laufe der Jahre wohl auch viele gute Ideen an den Alkohol verloren.

Und immer mal wieder drängt sich in der Dylan-Exegese der Verdacht auf: dass da in seinen Texten manchmal gar nichts ist, was es zu verstehen gäbe. Hin und wieder klingt eine bedeutungsschwanger vorgetragene Liedzeile einfach gut, und ein vermeintliches Stilzitat ist womöglich nur eine routinierte Pose. Ein Kunstgriff, der kaschiert, dass gerade kein eigener Gedanke greifbar war. Für seine kurz vor Ende der Frist eingereichte Rede zur Verleihung des Literaturnobelpreises hat Bob Dylan aus einer Einführung für Literaturklassiker abgekupfert. Dylan, der Lyriker – ist das doch nur ein großes Missverständnis?

Namensvorbild Dylan Thomas

Robert Allen Zimmerman, geboren am 24.?Mai 1941 in Duluth im Bundesstaat Minnesota, ist der Nachfahre jüdischer Familien aus Osteuropa. Er haderte in seiner Jugend mit dem kleinbürgerlichen Leben in langweiligen Provinzkäffern. Manche Menschen, hat Bob Dylan später einmal gesagt, werden mit dem falschen Namen und am falschen Ort geboren. Seine gläubigen Eltern gaben ihm noch einen hebräischen Namen: Shabtai Zisel ben Avraham. Er selbst nahm am Beginn seiner Karriere den Namen des walisischen Schriftstellers Dylan Thomas (1914-1953) an.

Die Helden der Kulturgeschichte werden permanent in eine ferne Vergangenheit entrückt und durch den Weichzeichner der Erinnerung verklärt. Elvis Presley, Marilyn Monroe und die Kennedys, Frank Sinatra, Billie Holiday, John Wayne und Norman Mailer – es sind alles Gestalten der jüngeren Vergangenheit, zum Teil erst seit wenigen Jahrzehnten tot, auf denen die kulturelle Identität der Vereinigten Staaten wurzelt.

Bob Dylan ist längst Teil dieser überhöhten und mystifizierten amerikanischen Kulturtradition. Zum Einen ragt er als Dinosaurier der Altvorderen hinein in die heutige Pop-Kultur, der, seit mehr als drei Jahrzehnten auf „Never-Ending Tour“, mit seiner von Jahr zu Jahr kratzbürstigeren Stimme immer noch Konzerte gibt, die zwischen genial-inspiriert und grausig-kakophonisch irrlichtern. Zum anderen reiht Dylan sich ein in die Tradition der Liedgut-Barden, die einst am Lagerfeuer auf der Gitarre die harten, gepeinigten Helden der „Frontier“ und der konfliktreichen Besiedelung des weiten Landes besungen haben: den Mörder Stagger Lee etwa oder den Revolverhelden Billy the Kid.

Bob Dylan liefert seit dem Beginn seines Schaffens genau solchen Stoff, er trägt bei zu der Mythisierung des gar nicht so Fernen. Mit „Murder Most Foul“ etwa, der 17-Minuten-Klavierballade über den Mord an John F. Kennedy auf seinem jüngsten Album „Rough And Rowdy Ways“ (2020), hat Dylan zuletzt diesen Mechanismus ganz konkret bedient.

Dylan hat in seiner Autobiografie „Chronicles“ erzählt, wie er den Geist der Zeit erkannte, wie er spürte, dass Amerika sich verändern würde. Er sei dann einfach in den Strom gestiegen. Mit seinen frühen Alben, vor allem „The Freewheelin' Bob Dylan“ (1963) und „The Times They Are A'Changin`“ (1964), avancierte er zum Aushängeschild der Gegenkultur. Die nahm an der Ostküste ihren Ausgang und war zunächst noch vom Einfluss der Beatniks getrieben – von Allen Ginsberg, Jack Kerouac, William S.?Burroughs.

Mitte der 60er-Jahre zog der subkulturelle Protestgeist mit breiter Wirkung an die Westküste; die Hippies in San Francisco übernahmen. Und hier wurzelt auch schon ein Teil des großen Missverständnisses um Bob Dylan, das vermeintliche Sprachrohr seiner Generation. Denn eine Ikone jener bunt bekleideten Friedensjünger zu sein, das war dem urbanen Neo-Folk-Bohemien, der sich damals bevorzugt in schlank geschnittenen Sakkos und hippen Boots ablichten ließ, nun wirklich nicht in die musikalischen Gene gelegt worden.

Protestsänger, Poet und Rocker

Dass von Bob Dylan noch mehr und ganz anderes zu erwarten war als friedensbewegte Folkhymnen gegen den Kalten Krieg, mehr als „Blowin' In The Wind“ und „Masters Of War“, das hätten die Westküsten-Hippies eigentlich schon mit dem Album „Another Side Of Bob Dylan“ von 1964 bemerken können. Stücke wie „My Back Pages“ oder auch „It Ain't Me Babe“ sind impressionistische Poesie, sie zeugen von Wehmut und von Selbstzweifeln. Hier sucht ein Lyriker seinen eigenen Weg durch das Dickicht des Zeitgeistes, wie auch durch die Referenzen der Literatur des 20.?Jahrhunderts.

Doch es dauerte noch ein Jahr, bis der Riss überdeutlich zutage trat. Beeindruckt von der „British Invasion“, dem Durchbruch britischer Beat- und Rockbands wie der Rolling Stones und der Beatles in den USA, tauschte Dylan seine Klampfe mit einer elektrifizierten Fender Stratocaster. Die Butterfield Blues Band und die Hawks, später schlicht The Band benannt, wurden seine maßgeblichen Begleiter. Es begann die unbezweifelt produktivste, wildeste, abenteuerlichste Zeit in Dylans Schaffen. Er spielte drei Alben in nur eineinhalb Jahren ein, die die Popkultur verändern sollten: „Bringing It All Back Home“, „Highway?61 Revisited“ und „Blonde On Blonde“ – das erste Doppelalbum überhaupt.

Dann hatte Dylan im Sommer 1966 seinen Motorradunfall nahe Woodstock und tauchte ins Privatleben ab. Der im Grunde genommen bis heute anhaltende Zirkel aus Comebacks, Selbst-Neuerfindungen und Rückbesinnungen begann. Starke Country-Alben wie „John Wesley Harding“?(1967) und „Nashville Skyline“ (1969) wechselten ab mit skizzenhafter Selbstbespiegelung („Self Portrait“, 1970), es gab die furiose Flucht nach vorne in den Konzertzirkus mit der „Rolling- Thunder-Revue“-Tour 1975/76, dann die umstrittene christlich-religiöse Phase ab „Slow Train Coming“ (1979). Und schließlich das respektierte Alterswerk, in dem einige Kollaborationen mit dem Produzenten Daniel Lanois und lange Sprechgesang-Stücke herausragen.

Er konnte durchaus auch elegant und schmeichelhaft klingen, warmtönend gar – immer mal wieder in seiner sechs Jahrzehnte umspannenden Karriere blitzten diese Seiten auf. Auf dem unterschätzten Album „Street Legal“ von 1978 etwa. Bluesrockige Gitarren, Backgroundchöre, üppige Orgelklänge und ein melodieverliebtes Saxofon – es ist, als habe Bruce Springsteen mit seiner E-Street-Band Pate gestanden. Was ein schöner Dreh ist, inszenierte sich doch der junge Springsteen auf seinen ersten Alben als eine Art Nachfolger Dylans.

Aber die Beziehungen und Wechselwirkungen zu all den Interpreten aufzuzeigen, die sich Dylans Liedgut angenommen haben – das wäre eine ganz andere Geschichte. Egal, ob man Bob Dylan für einen großen Literaten halten mag oder diesbezüglich eher für einen Schelm: Es ist eine Menge Bleibendes in seinem Werk. Das unterscheidet ihn von vielen, denen die Popkultur den Stempel der Unsterblichkeit aufgedrückt hat.

Bob Dylan bei Dreharbeiten zum Film „Pat Garrett and Billy the Kid“ in Mexiko im Jahr 1972. Foto: UPI/dpa

Bob Dylan bei Dreharbeiten zum Film „Pat Garrett and Billy the Kid“ in Mexiko im Jahr 1972. Foto: UPI/dpa

Einblick in die Arbeit: Handschriftlich ergänztes Typoskript zum Song „A Hard Rain's A-Gonna Fall“, das ein alternatives Ende des Songs zeigt Foto: Sotheby's/dpa

Einblick in die Arbeit: Handschriftlich ergänztes Typoskript zum Song „A Hard Rain's A-Gonna Fall“, das ein alternatives Ende des Songs zeigt Foto: Sotheby's/dpa

Zum Artikel

Erstellt:
22.05.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 27sec
zuletzt aktualisiert: 22.05.2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!