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Analyse zu Challenges auf TiktokDas Weltgehirn des Blödsinns

Die sogenannte Milk Crate Challenge ist ein viraler Hit: Gang über einen Berg aus Plastikkisten – mit akuter Absturzgefahr.

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Wieder mal zieht eine sogenannte Challenge – früher hätte man gesagt: Mutprobe – durchs Netz. Jugendliche auf der ganzen Welt bauen Pyramiden aus Plastikkisten und klettern dann auf der einen Seite hoch, auf der anderen wieder runter – wobei die Kisten häufig in sich zusammenfallen. Sie hoffen auf ein paar Minuten Ruhm auf Tiktok, auf einer Weltbühne also. Die App für Handy-Kurzvideos wird oft dafür kritisiert, dass sie solche, von den Nutzern ausgerufene «Challenges» nicht unterbindet.

Bei Elternabenden und auf Spielplätzen stecken Eltern die Köpfe zusammen und erzählen gruselnd von dem 13-jährigen Mädchen, das sich für ihr Tiktok-Publikum versehentlich in Brand setzte; von Challenges, bei denen es darum geht, sich die Luft abzuschneiden; alles mit verbundenen Augen zu tun; zu dritt in die Luft zu springen und dabei dem jeweils Mittleren die Beine wegzutreten. Und wer machts möglich? Tiktok, der Kinder- und Teenieverführer aus China.

Die App befeuert so reichweitenstark wie keine vor ihr jeweils wechselnde Mitmach-Trends im Internet; vor allem bei Jugendlichen ist sie beliebt. Sie verbreitet Unmengen an Blödsinn, viel harmlosen, manchen richtig lustigen, gelegentlich genial schillernden (aber eben auch einigen gefährlichen Blödsinn – wie das eben so ist, wenn Kinder und Jugendliche unter sich sind). Dafür sollte sie ruhig mal ein wenig Anerkennung bekommen, statt immer nur mit alarmiert hochgezogenen Augenbrauen betrachtet zu werden.

Es gibt, oh Wunder, offenbar ein grosses Bedürfnis nach Unvernunft.

Die Jüngeren sitzen seit zwei Sommern zu Hause und sind so vernünftig, dass jedem Kinderfreund die Tränen kommen müssen. Und jetzt sollen sie nicht mal auf Pyramiden aus Plastikkisten klettern und sich die Handgelenke prellen dürfen, weil, wie ein Unfallchirurg in der Washington Post unkte, solche Aktionen «das Gesundheitssystem zusätzlich belasten»?

Es gibt, oh Wunder, offenbar ein grosses Bedürfnis nach Unvernunft. Tiktok war die im vergangenen Jahr am häufigsten heruntergeladene App. Erwachsene verstehen oft nicht, was an den dort zirkulierenden Gaga-Videos so toll sein soll, sie nutzen sie kaum – und natürlich ist genau das der Punkt für ihre Kinder: unter sich zu sein.

Darin ist Tiktok richtig gut. Die Nutzer bekommen das zu sehen, was ihrem bisherigen Sehverhalten entspricht. Wer also genug Videos von Fröschen anschaut, der landet in einer Ecke von Tiktok, wo es überall quakt. So bilden sich hyperspezifische Filterblasen heraus.

Wer Kinder liebt, kann eigentlich nichts gegen Tiktok haben.

Pausenplätze funktionieren ganz ähnlich. In jeder Ecke steht eine Gruppe, in der Witze und Codes zirkulieren, die ausser ihr keiner versteht. Blödsinn schaukelt sich hoch, lustige Sprachwendungen werden immer weiter ausgebaut. Es gibt auf Tiktok Leute, die so tun, als seien sie Obst, andere singen Seemannslieder oder wackeln ironisch mit dem Hintern. Immer nur für kurze Zeit, dann findet sich ein neues Lagerfeuer des Unsinns, in das man sein Stöckchen halten kann. Wer das Internet liebt, nein, wer Kinder liebt, kann eigentlich nichts gegen Tiktok haben.

Die Plattform schweisst als Weltgehirn des Blödsinns lachend zusammen, statt die Menschen in die Echokammer des eigenen Ichs auf Instagram zu sperren. Sie leistet genau das, was Kindern und Jugendlichen so lange verwehrt wurde: unter sich sein. Unvernünftig sein, auch wenns mal schiefgeht. Kind sein.