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Kunstrechtler im Interview«Es braucht den Mut, eine Entscheidung ungeachtet aller Pressionen zu fällen»

Benin-Bronzen, hier eine Gürtelmaske aus dem Zürcher Museum Rietberg, sind Museumseigentum. Dürfen sie trotzdem restituiert werden?

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Museen sind gesetzlich verpflichtet, ihre Sammlungen zu bewahren. Mit welchem Recht können sie Kunstwerke aus jüdischem Vorbesitz oder aus dem nigerianischen Benin dennoch restituieren? Braucht es dazu Notrecht wie bei der Credit Suisse?

Nein. Notrecht ist das Handeln der Exekutive unter grossem Zeitdruck. Die Rechtsgrundlagen in Fragen der Restitution bewegen sich dagegen in Zeitlupe, auch wenn der Eindruck der Öffentlichkeit ein anderer sein mag.

In Basel wird diskutiert, ob man nicht alle Objekte in den Museen, die aus Afrika stammen, an die jeweiligen Länder zurückgeben soll. Können Museen ihre Objekte in grossen Mengen leichtfertig veräussern?

Leichtfertig, im Sinne von «aus den Augen, aus dem Sinn», auf keinen Fall.

Was ist die Voraussetzung?

Es braucht einen breiten Dialog auf Augenhöhe mit den möglichen Anspruchs­berechtigten. Es braucht ein Verständnis für die Bedeutung des Gegenstandes. Es braucht das Wissen, welchen Weg der Gegenstand gegangen ist, bis er ins Museum gekommen ist. Es braucht die Überzeugung, dass eine Rückgabe eine gerechte und faire Lösung darstellt. Und es braucht den Mut, eine Entscheidung ungeachtet aller Pressionen zu fällen.

«Ausnahmen stützen sich insbesondere auf internationale Abkommen.»

Welche Gesetze verbieten die Veräusserung von Museumsbesitz?

Das Museumsgesetz Basel-Stadt enthält eine strenge Regelung zur Veräusserung von Museumsgut, aus meiner Sicht absolut zu Recht und in der Tradition des Kunstmuseums. Auch bei anderen staatlichen Museen ist das streng geregelt. Zudem haben alle Schweizer Museen die Icom-Richtlinien, die Richtlinien des Internationalen Museumsrats, unterzeichnet, die Zurückhaltung verlangen beim Deaccessioning, wie die Amerikaner den Verkauf von Sammlungsgut nennen.

Bei der Restitution von Gemälden aus ehemals jüdischem Besitz werden diese Gesetze und Richtlinien gebrochen. Wie ist das möglich?

Sie werden nicht gebrochen. Auch das – strenge – Museumsgesetz in Basel erlaubt Ausnahmen. Solche Ausnahmen sind möglich und stützen sich insbesondere auf internationale Abkommen.

Edvard Munchs Lithografie «Madonna» konnte das Kunstmuseum Basel im Rahmen eines Vergleichs mit den Nachkommen des ehemaligen Besitzers Curt Glaser in der Sammlung behalten.

Was sind das für Abkommen?

Die Restitution von Kunstwerken aus ehemals jüdischem Besitz stützt sich auf die Erklärung von Washington (1998) und die Erklärung von Theresienstadt (2009). Eine zentrale Passage in der Washingtoner Erklärung, die von der Schweiz und 43 weiteren Staaten unterzeichnet wurde, heisst: «Wenn die Vorkriegseigentümer von Kunstwerken, die durch die Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Folge nicht zurückgegeben wurden, oder ihre Erben ausfindig gemacht werden können, sollten rasch die nötigen Schritte unternommen werden, um eine gerechte und faire Lösung zu finden, wobei diese je nach den Gegebenheiten und Umständen des spezifischen Falls unterschiedlich ausfallen kann.»

Diese Abkommen werden gemeinhin als «soft law» bezeichnet, weil sie nicht die gleiche Rechtskraft haben wie etwa das schweizerische Gesetzbuch. Warum kann «soft law» das «hard law» ausstechen?

«Soft law» füllt Ermessensspielräume, etwa gerade bei der Frage, ob ausnahmsweise eine Restitution zulässig ist. Zentral für die Anwendung von «soft law» ist, dass sich Museen und ähnliche Institutionen einseitig und freiwillig auf die Grundsätze verpflichten. Es wäre rechtsmissbräuchlich, in einem konkreten Fall dann dem «soft law» keine Beachtung schenken zu wollen.

Wann haben die Schweizer Museen die Richtlinien der Washington-Erklärung übernommen?

Sie haben sich schon vor der Verabschiedung der Erklärung von Washington darauf verpflichtet, um den Verhandlungen zum Durchbruch zu verhelfen! Fraglos hat dann aber die Annahme des Gurlitt-Legats eine neue Dynamik in der Debatte gebracht, vielleicht auch der Fall Glaser in Basel und sicher die Diskussion der Sammlung Bührle im Kunsthaus Zürich.

Auch im Subventionsvertrag der Stadt Zürich wird das Kunsthaus auf ein Bekenntnis zu den Washingtoner Prinzipien verpflichtet.

In der Tat. Der Subventionsvertrag bekräftigt die Geltung der Washingtoner Prinzipien und enthält ein starkes Bekenntnis zur Provenienzforschung.

«Ich bin vorsichtig mit der Verwendung des Begriffs Fluchtgut.»

Zentral an der Zürcher Provenienzstrategie ist, dass man nicht mehr von Fluchtgut redet, sondern von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut. Was ist damit gemeint?

Ich bin vorsichtig mit der Verwendung des Begriffs Fluchtgut, weil er unterschiedlich verstanden wird und politisch aufgeladen ist. Mir scheint aber heute klar, dass auch Verkäufe in der Schweiz, die mit dem Begriff des NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts gemeint sind, vom Geltungsbereich der Washingtoner Prinzipien erfasst sein können.

Wären diese Grundlagen auch für den kolonialen Kontext anwendbar?

Zum Teil. Gewisse Grundprinzipien scheinen mir universell, etwa die Verpflichtung auf Provenienzforschung, die Transparenz im Vorgehen und der aktive Dialog mit den Anspruchstellern, die Abkehr von einer rein formalen juristischen Betrachtung, die Lockerung von Beweislastregeln sowie die gemeinsame Suche nach einer gerechten und fairen Lösung. Vermutlich auch die Notwendigkeit, jeden Einzelfall als Einzelfall zu betrachten.

Was passt nicht?

Die Washingtoner Prinzipien sind die Antwort auf ein sehr spezifisches Unrecht. Der koloniale Kontext ist weitaus komplexer. Das zeigt sich schon bei den Anspruchsberechtigten. Im Falle der Erklärung von Washington stellt man in aller Regel auf die formelle Erbenstellung ab. Das ist im kolonialen Kontext kaum möglich. Anspruchsteller sind Nationalstaaten und Volksgruppen, die nicht selten uneinig untereinander sind, ganz zu schweigen von der Stellung möglicher Opfer dieser Staaten beziehungsweise Volksgruppen. Das darf natürlich kein Vorwand sein, um nicht nach gerechten und fairen Lösungen zu suchen.

Wäre es nicht an der Zeit, auch für die Restitution von Objekten aus kolonialen Kontexten so etwas wie die Washington Principles zu formulieren?

Das wäre sicher ein Fortschritt. Ob international bereits Konsens besteht, bezweifle ich.

Wer soll eigentlich bezahlen, sei es im kolonialen Kontext oder unter den Washingtoner Prinzipien?

Abgesehen vom Transport und den Anwaltskosten kostet eine Restitution nichts. Sie führt aber zum Verlust des Werkes. Dagegen kann für eine gerechte und faire Lösung Geld notwendig sein, wenn ein Museum die Erben oder Nachkommen teilweise oder ganz auszahlen will, um das Werk weiterhin in der Sammlung zu behalten. Es gibt auch die Möglichkeit, dass ein Museum ein Werk an die ehemaligen Besitzer zurückgibt, um es dann im Gegenzug von diesen als Dauerleihgabe zeigen zu können. Oder ein Konvolut von Werken wird aufgeteilt. Oder ein Werk wird gegen ein weniger wertvolles eingetauscht, und die Anspruchsteller erhalten die Differenz ausbezahlt. Die Washingtoner Prinzipien sind hier flexibel, das gilt erst recht für Lösungen im kolonialen Kontext.