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Familienvater und Alkoholiker

Dem Manager, der gern ab und zu an seinem Drink nippt, sieht man den Alkoholiker auf den ersten Blick nicht an.

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Alkoholismus hat bekanntlich viele Seiten; die Betroffenen verlieren oft erst die Kontrolle über sich, bevor Familie, Job und Sozialleben vor die Hunde gehen. Wieso ein Mensch so weit kommt, dafür gibt es diverse Gründe; Muster aus der eigenen Kindheit, geringes Selbstwertgefühl oder die Unfähigkeit, eigene – auch negative – Gefühle auszuhalten und zu verarbeiten. Keine Selbstreflexion sozusagen.

Aber das Wichtigste – und das kann ich heute, nach jahrelanger Erfahrung beurteilen: Es braucht immer mindestens zwei dazu. Co-Alkoholiker sind das ganze nahe Umfeld des Betroffenen. Ein Alkoholiker wird oft unbewusst unterstützt in seinem Tun, von seiner Familie, seinen Freunden und seinem Arbeitgeber. Und jeder Alkoholiker hat auch oft gute Strategien, sich durchs Leben zu lügen.

Ich lernte meinen Mann vor mehr als 20 Jahren kennen, er sah super aus, war charmant, erfolgreich im Job, hatte dieselben Ideen vom Leben wie ich. Ein Blender war er nicht, er hat bis 30 viel erreicht, seine Jugend war nicht nur einfach. Er hatte Biss und kämpfte für das, was er wollte, einerseits. Doch seine Schwäche fing dort an, wo seine Gefühle zu stark wurden, diese wurden runtergespült. Emotionaler Stress wurde und wird im Bier ertränkt.

Dann kam ich, eine junge Frau aus einem gesunden Elternhaus, wo geredet, gelacht, geweint und gestritten wurde. Mit einem Vater, der stark war und die Familie zusammenhielt, für den die Familie über alles, selbst über seine Karriere, hinausging.

Aber ich war auch naiv, total. Noch lange war ich überzeugt, ich könne ihn heilen, umerziehen, auf einen besseren Weg bringen. Doch einen besseren Weg …? Er hatte ja alles; war erfolgreich im Job, hatte eine Freundin und sah gut aus. Was will man mehr in diesem Alter. Und, er war nicht mehr dauernd unterwegs, wegen mir. Was mir natürlich hoch angerechnet wurde in seinem Umfeld. Meine Naivität ging noch weiter; er hat(te) die Begabung, in Gesellschaft sehr charmant und unterhaltend unterwegs zu sein. Er machte Komplimente, beherrschte den Small Talk in allen Themen, hörte zu, ob bei Alt oder Jung, die Leute fühlten sich wohl, wenn er im Raum war. Dazu war er ein guter, sehr grosszügiger Gastgeber; das ist er heute noch.

Wie würde er auf eine Trennung reagieren?

Was hast du auch; er ist so lustig und nett, ja klar, er hat vielleicht etwas viel getrunken, aber jeder hat doch irgendeinen Rucksack zu tragen. Ja, ich war naiv, solche Aussagen trösteten mich über die Jahre hinweg. Es folgten schlimme Streitereien, Drohungen, Versöhnungen, Versprechen, Abmachungen, «Verträge» … und alles lief ins Leere.

Die Kinder: Ohne ihn, sprich: wäre ich damals vor Jahren konsequent gewesen, hätte ich ihn vor die Wahl gestellt, mich oder die Büchse Bier, hätte ich heute meine zwei wunderbaren Kinder nicht. Was ich allerdings nicht weiss: Ob sie mir irgendwann einen Vorwurf machen werden, dass ich sie nicht besser geschützt habe vor so einem Umfeld.

Ich war naiv einerseits, bin aber auch extrem stark geworden. Die typische Co-Alkoholikerin; entschuldigen, vertuschen, beschwichtigen, vermitteln. Ein Scheiss-Spiel, das mich an den Rand einer Depression und eines Familien-Burn-outs gebracht hat. Ich kenne einige Therapeuten – die Therapien mit ihm endeten nach zwei Sitzungen, da kein Bedarf bestand, weil er ja kein Problem hatte und ich meine selbst lösen musste. Die Therapeuten bringen dir nur insofern etwas, als dass du Mut bekommst und dein Selbstvertrauen nicht noch mehr mit Füssen getreten wird. Handeln musst du selbst, keiner nimmt dir eine Entscheidung ab. Du allein trennst dich von deinem Partner, du musst die Kinder aufbauen, du hast Streit mit ihm, du musst Wohnsituation, Geld etc. managen.

Und ja, es gibt Paare, die sich im Guten trennen. Aber einem Alkoholiker und vor allem dem Vater der gemeinsamen Kinder zu sagen, dass er gehen soll, das ist nochmals ein anderes Kapitel. Stürzt er komplett ab und du landest auf dem Sozialamt? Tickt er komplett aus und stürmt deine Wohnung? Besinnt er sich und wird trocken? Drei mögliche Szenarien und zwei davon machen mir heute noch Angst.

Meine Kinder, mittlerweile junge Erwachsene, sehen die ganze Sache eben als Kind eines Vaters, den sie lieben. Sie sind brutal ehrlich zu ihm, ignorieren ihn, wenn er zu viel getrunken hat und verheimlichen seine Sucht und Krankheit gegenüber Familie und Freunden immer weniger. Er tut ihnen aber auch leid, und sie würden nie wollen, dass wir ihn rausschmeissen, wohl aus Angst um ihn. Ich möchte aber auch betonen, er war und ist ein guter Vater. Innere Stimmen werden laut: Ein Alki ist nie ein guter Vater. Ja und nein! Er ist krank und trotzdem noch ein guter Vater, und er ist Alki und drum kein guter Vater!

Weshalb ich es (noch) nicht tue

Seine Freunde versuchten über Jahre, ihm einen besseren Weg zu zeigen, ohne Erfolg. Sämtliche Versuche ihrerseits endeten in Streit, eine Besserung trat nie ein. Seine Uneinsichtigkeit ist nicht zu besiegen. Sein Arbeitgeber hat ihn einige Male verwarnt, aber nie die Konsequenzen gezogen. Ganz einfach; er macht seinen Job immer noch zum Guten der Firma, und solange der Gaul rackert, behält man ihn.

Was tust du deinen Kindern und dir nur an! Verantwortungslos bin und war ich, den Kids gegenüber, zu wenig auf mein eigenes Wohl bedacht. Meinungen, ob ausgesprochen oder nicht, die ich oft hörte. Auf die Frage, wieso ich den Schritt noch nicht getan habe – Betonung auf NOCH –, habe ich verschiedene Antworten: Vielleicht ist es Angst, oder die Not ist noch nicht gross genug. Oder Egoismus? Ich melke die Kuh, solange sie noch Milch gibt?

Eine schwierige Situation. Doch ich habe kein Mitleid mehr mit mir, denn ich wollte es so, sonst hätte ich mich damals vor Jahren bereits gegen ihn entschieden. Die Kinder und ich sind ein super Team geworden, zusammengewachsen, beide intelligent, gesund und sportlich, sozialkompetent, weder dem Alkohol noch anderen Drogen verfallen. Ich bin gesund, sozial gut eingebunden, habe einen tollen Job.

Und er? Wir ziehen ihn mit, solange er noch mit uns Schritt halten mag, um ihm etwas Lebensstruktur und -inhalt zu geben. Und ihn vielleicht vor dem kompletten Absturz zu bewahren.

Die Autorin möchte zum Schutz ihrer Familie anonym bleiben. Sie ist Mutter von zwei erwachsenen Kindern und wohnt im Kanton Zürich.

Dieser Artikel wurde erstmals am 22. August 2017 publiziert und am 15. Mai 2023 in dieses Redaktionssystem übertragen.

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