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In der Teilzeit gefangen

Teilzeit als Falle: Jede neunte Arbeitnehmerin in der Schweiz würde gern mehr arbeiten.

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Miete, Essen, Krankenkasse: Nadine Ritters* Lohn reicht gerade so, um die wichtigsten Ausgaben zu decken. Die 46-Jährige ist mit einem tiefen Pensum bei einer kleinen Bildagentur angestellt. Natürlich würde sie gern mehr arbeiten, aber die Agentur kann sich das nicht leisten. Also muss die Bernerin sich anders behelfen. Im Moment arbeitet sie zusätzlich bei einer zweiten Firma, doch die temporäre Anstellung läuft bald aus.

Um die Altersvorsorge kümmert sich Ritter selber. Sie hat ein Dritte-Säule-Konto, in das sie einzahlt, was am Ende des Jahres übrig bleibt. Für die zweite Säule braucht sie ein Einkommen von mindestens 21150 Franken. Das erreicht sie mit dem Job allein nicht. Dasselbe Problem hat Mia Kunz.* Auch sie arbeitet Teilzeit, 30 Prozent in einer grossen Firma. Sie hat zwei Kinder und wird bald 40. Den Mindestlohn für den Eintritt in die Pensionskasse erreicht sie knapp nicht, trotzdem will ihr Arbeitgeber das Pensum nicht erhöhen.

Je mehr Angestellte, desto mehr Unzufriedene

Ritter und Kunz sind Unterbeschäftigte. So werden Angestellte genannt, die Teilzeit arbeiten und gern aufstocken würden. Doch ihr Arbeitgeber kann oder will ihnen nicht mehr Stellenprozente geben. 2010 sagten 268'000 oder 6,1 Prozent aller Schweizer Erwerbsfähigen, sie seien unterbeschäftigt. 2017 waren es schon 357'000 oder 7,3 Prozent. In Europa liegt die Quote im Schnitt bei 4 Prozent. Die Zahl ist zwar auch darum tiefer, weil sie auf europäischer Ebene etwas anders berechnet wird. Aber im Gegensatz zur Schweiz ist die Quote in Europa seit 2010 nicht gestiegen.

Besonders betroffen sind Frauen. Während jede neunte Schweizerin angibt, gern mehr arbeiten zu wollen, sind es bei den Männern nur knapp 4 Prozent. Der Grund ist simpel: Sechs von zehn Frauen arbeiten Teilzeit, aber nur zwei von zehn Männern.

Je mehr Angestellte es gibt, desto höher ist auch die Zahl jener, die unzufrieden sind.

Trotz der immer weiter steigenden Zahl von Unterbeschäftigten sieht das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco keinen Grund zur Sorge. Es glaubt, dass die eher schwache Wirtschaftsentwicklung nach der Finanzkrise zum «tendenziellen Anstieg» der Unterbeschäftigung beigetragen haben könnte. Ausserdem habe die Erwerbstätigkeit in den letzten sieben Jahren um 10 Prozent zugenommen, die Teilzeiterwerbstätigkeit sogar um 19 Prozent. Heisst: Je mehr Angestellte es gibt, desto höher ist auch die Zahl jener, die unzufrieden sind. Die Quote erscheine in der Schweiz zudem relativ hoch, weil hierzulande Teilzeitarbeit sehr verbreitet sei. Fast 80 Prozent der Teilzeiter seien glücklich mit ihrem Pensum. Und schliesslich sei ein Teilzeitjob mit weniger Prozenten als erhofft immer noch besser als die Arbeitslosigkeit.

Die Vertreter der Angestellten sind anderer Meinung. Die Gewerkschaften sehen in den Zahlen ein Indiz dafür, dass die Sitten auf dem Arbeitsmarkt rauer geworden seien. Die gestiegenen Flexibilitätsansprüche der Arbeitgeber gingen zu Lasten der Beschäftigten, sagt Unia-Ökonom Beat Baumann. Gerade in krisengeschüttelten Branchen wie dem Detailhandel, in dem viele Frauen angestellt sind, verschärfe sich die Lage. «Die Pensen werden immer weiter reduziert, gleichzeitig nimmt die Arbeit auf Abruf zu. So haben viele Angestellte kaum noch Planungssicherheit», kritisiert Baumann. Auch die Altersvorsorge und die Integration würden leiden. «Menschen mit tiefen Pensen sind im Betrieb weniger eingebunden und werden seltener an Weiterbildungen beteiligt.»

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Nicht nur bei den Frauen ist die ­Quote auffallend hoch. Auch bei den Äl­teren hat die Unterbeschäftigung in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Seit 2010 stieg die Quote bei den 55- bis 64-Jährigen um 2,1 Prozentpunkte auf 7,8 Prozent, bei den Über-65-Jährigen sogar um 2,5 Prozentpunkte auf 10,1 Prozent. Das Seco relativiert: Die Aufteilung nach Altersklassen basiere auf vergleichsweise wenigen Beobachtungen. Ausserdem sei die Erwerbsquote der Über-55-Jährigen besonders stark gestiegen. In einer Studie kommt allerdings auch die Credit Suisse zum Schluss, dass 48- bis 58-Jährige überdurchschnittlich betroffen sind.

Dass der Wert bei Menschen im Rentenalter so hoch ist, liege im besten Fall an der gestiegenen Lebenserwartung, sagt Unia-Experte Baumann. «Je länger die Angestellten sich fit fühlen, desto länger sollen sie über das Pensionsalter hin­aus arbeiten können, wenn sie das möchten.» Im schlechtesten Fall reiche die Rente nicht zum Leben.

Daniel Neugart vermutet, dass bei den Älteren auch die Kosten eine Rolle spielen. Er führt den Verband Save 50 plus Schweiz, der Menschen über 50 in Job-Angelegenheiten berät. Je älter ein Angestellter ist, desto mehr verdient er in der Regel und desto höher sind die Lohnnebenkosten. «Wer Ältere also zu weniger als 100 Prozent anstellt, spart Kosten», so Neugart.

Betriebstreue könnte mit einem Vorrang belohnt werden

Unia-Ökonom Baumann fordert nun Änderungen bei der Arbeitslosenstatistik. Das Seco solle auch Teilarbeitslose erfassen. Angestellte also, deren Vollzeitpensum reduziert wurde und die deshalb eine neue Vollzeitstelle suchen. Auch auf Ebene der Gesamtarbeitsverträge brauche es Anpassungen. Denkbar wäre laut Baumann, Privilegien für Dauerbeschäftigte einzurichten; etwa einen Vorrang für Angestellte, die seit mehr als drei Jahren in einem Betrieb sind, wenn Stellen neu geschaffen oder Pensen aufgestockt werden.

Die Teilzeitangestellte Nadine Ritter wünscht sich, dass es für Menschen in ihrer Situation mehr Beratung oder vielleicht sogar ein Coaching gäbe. Sie überlegt, sich umschulen zu lassen. Denn sie sagt: «Lange kann ich so nicht mehr weitermachen.» Die ständige Ungewissheit laugt sie aus.

*Name der Redaktion bekannt