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Neue ZuwanderungswelleSteuerflucht aus Norwegen: Jetzt kommen auch die jungen Erfolgreichen

Ein Riesenthema in den norwegischen Medien: Reiche Landsleute, die in die Schweiz ziehen. 

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In Norwegen nennen sie es nur noch die «Sveits-bølge», die «Schweizer Welle». Es ist eine Geschichte, die die weitverbreitete Vorstellung, dass Reiche bei Steuererhöhungen nicht wegziehen, erschüttert. Denn Norwegen erlebt seit Monaten einen Exodus von Multimillionären.

Sie ziehen in die Schweiz.

Kaum eine Woche vergeht, ohne dass die «Sveits-bølge» nicht neue Schlagzeilen macht. Den Ton setzte im November 2022 der Ölmagnat Kjell Inge Røkke, einer der reichsten Männer des Landes. Er kündigte öffentlich seinen Umzug nach Lugano an und pries die zentrale Lage im Herzen Europas. Seitdem hat der Exodus nicht aufgehört. Und die Steueranwälte, die die Auswanderer beraten, sind sich einig: Der Grund für Flucht liegt vor allem in den Steuern.

«Das ist nur die Spitze des Eisbergs.»

Thor Leegaard, Rechtsanwalt und Partner bei KPMG Law Advokatfirma in Oslo

Die grösste norwegische Wirtschaftszeitung, «Dagens Næringsliv», aktualisiert laufend die Liste der Millionäre und Milliardäre, die ihre Koffer für die Schweiz gepackt haben. In weniger als einem Jahr sind es nun bereits mehr als 50, die insgesamt mehr als 35 Milliarden Franken schwer sind. Das sind bereits mehr als 50 Prozent vermögende Auswanderer mehr als noch vor drei Monaten, als die «SonntagsZeitung» über den Exodus berichtete.

Im Jahr 2021 zahlten all diese Menschen noch in Norwegen Steuern – in Höhe von rund 85 Millionen Franken. Auch A- und B-Prominente sind unter den Auswanderern, etwa der mehrfache Olympiasieger im Langlauf Bjørn Dæhlie oder die Millionenerbin Viktoria Reitan, welche unter dem Namen «bby ivy» als Künstlerin tätig ist. 

Thor Leegaard, Rechtsanwalt und Partner bei KPMG Law Advokatfirma in Oslo, hält den Trend sogar für unterschätzt. «Das ist nur die Spitze des Eisbergs.» Es gebe eine anhaltende Bewegung von Norwegern, die das Land verlassen wollten, hauptsächlich in Richtung Schweiz, aber auch anderer Länder. «Ich kann Ihnen keine Zahlen nennen, aber diese Bewegung ist nicht zum Stillstand gekommen», sagt Leegaard.

Schweizer Anwälte mischen mit

Im Kielwasser der grossen Vermögen ist bereits eine ebenso grosse Bewegung weniger vermögender Norwegerinnen und Norweger in Gang gekommen. Es wird von mehreren Hundert Abgängen gesprochen. Einar Bakko, Partner in der Kanzlei Selmer, einer der grössten Anwaltskanzleien in Oslo, bestätigt, dass er regelmässig Anfragen erhalte.

Zog in die Schweiz: Ölmilliardär Kjell Inge Rokke (Mitte).

Auch Schweizer Dienstleister haben das Potenzial erkannt. Philippe Kenel, Rechtsanwalt aus Lausanne, war erst im März in der norwegischen Hauptstadt, um die Einreise von Norwegern zu organisieren. Ihre bevorzugten Ziele: Luzern, Lugano, Schwyz oder Zug. Und wenn man die zahlreichen Medienberichte über die wohlhabenden Auswanderer liest, sind sie die grossen Gewinner. Tord Kolstad, ein grosser Immobilienbesitzer mit einem geschätzten Vermögen von 180 Millionen Franken, sagt, dass er seit seinem Umzug nach Luzern mehr als eine Million Steuern pro Jahr spart – ein Rabatt von schätzungsweise 90 Prozent.

Eine «bescheidene» Steuererhöhung

Seit Beginn der Affäre schreiben norwegische Medien, dass die Abgänge durch eine «bescheidene» Steuererhöhung von bloss 0,1 Prozent provoziert worden seien. Doch diese Zahl ist irreführend, und die Erhöhung ist nicht so gering, wie sie scheint. Zwar wurde der Steuersatz für grosse Vermögen bloss von 1 auf 1,1 Prozent erhöht, doch entspricht dies einer Erhöhung der Steuerlast um 10 Prozent. Ausserdem werden nun 80 Prozent des Wertes von Aktien besteuert, vor zwei Jahren waren es noch 55 Prozent.

Und da viele Unternehmer ihr Vermögen in ihren Unternehmen kapitalisiert haben, müssen sie Dividenden verwenden, um die Rechnung zu bezahlen. Nun ist der Satz auf Dividenden innerhalb von zwei Jahren von 31,7 auf 37,8 Prozent gestiegen, zusätzlich zu einer Abgabe von 22 Prozent auf dem Unternehmensgewinn.
«Diese Kombination von Faktoren hat dazu geführt, dass sich die Steuerkosten für den Besitz eines Unternehmens in den letzten zwei Jahren mehr als verdoppelt haben», erklärt Thor Leegaard.

Zog in die Schweiz: Millionenerbin Viktoria Reitan.

Für den inzwischen berühmten Exilanten Kjell Inge Røkke, den siebtreichsten Mann des Landes, hätte dies nach Berechnungen des «Dagens Næringsliv» bedeutet, dass seine Steuerrechnung innerhalb von zwei Jahren von 15 auf 47 Millionen gestiegen wäre. «Unternehmer werden dann dazu gedrängt, Kredite aufzunehmen oder den Wert ihres Unternehmens durch den Verkauf von Vermögenswerten zu reduzieren, um Steuern zu zahlen», fügt er hinzu. «Dies wird als Sondersteuer gesehen, die ausländische Konkurrenten nicht zahlen müssen, und die Unternehmer halten es mehr oder weniger für unverantwortlich, ihr Kapital weiterhin auf diese Weise zu verteilen», ergänzt Einar Bakko.

Warum die Schweiz?

Die Schweiz ist vor allem deshalb so attraktiv, weil aufgrund eines Abkommens mit Norwegen die Vermögenssteuer ab dem ersten Tag der Ansiedlung das Land wechselt. Ausserdem ist der Steuersatz in Nidwalden oder Schwyz bis zu zehnmal niedriger, und es gibt weitere Vorteile, zum Beispiel bei der Dividendenbesteuerung. Dennoch: «Die Schweiz ist absolut gesehen nicht das beste Steuerziel», sagt ein Partner einer anderen grossen Anwaltskanzlei in Oslo, der nicht namentlich zitiert werden will.

Das gilt vor allem für das Tessin, wo die Bedingungen nicht so günstig sind wie in der Zentralschweiz und das von den Norwegern dennoch geliebt wird. «Denn sie werden auch von einer Lebensweise angezogen, die der norwegischen ähnelt, mit der Nähe zur Natur. Es ist kein Zufall, dass sie sich in der Nähe der Seen niederlassen, in Lugano oder Luzern», analysiert Thor Leegaard. Auch die Tatsache, dass man sich auf ein starkes Schulsystem verlassen kann, spielt laut den Befragten eine Rolle.

Ein Eigentor der Regierung?

Die meisten der Auswanderer kommen offenbar nicht in die Schweiz, um sich hier zur Ruhe zu setzen. Das ist auch der Grund, warum sie auf eine Pauschalbesteuerung verzichten, die zu restriktiv ist. Bedingung für ein Pauschalsteuerabkommen ist nämlich, dass der Besteuerte in der Schweiz keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Die Norweger hingegen wollen auch in der Schweiz aktiv bleiben und investieren in neue Technologien, kaufen Immobilien in der Stadt oder in den Alpen, wie in Andermatt oder im Wallis.

Trotz seines Ausmasses ist der Exodus noch weit davon entfernt, die Staatsfinanzen des ölreichen Norwegen zu gefährden. Trotzdem bereitet er an höherer Stelle Sorgen. Denn ein Teil der Steuerflüchtlinge reduziert mit dem Wegzug auch seine geschäftlichen Aktivitäten in Norwegen. Der Leiter der Kapital- und Vermögensverwaltung der DNB, der grössten Bank des Landes, Håkon E. Hansen, sagte kürzlich, er fürchte den damit einhergehenden Verlust an Innovation. «Es geht nicht nur um den Verlust von Steuereinnahmen. Es sind Leute, die kreativ sind, investieren, und sie tun dies nun ausserhalb Norwegens.»

Auch Jungunternehmen bevorzugen die Schweiz

Angesichts dessen hat die norwegische Mitte-links-Regierung versucht, die Zügel anzuziehen, indem sie den Weiterverkauf von Aktien durch im Ausland ansässige Personen strenger besteuert. Bisher ohne grosse Wirkung. Der Staat droht nun mit einer massiven Steuer auf Vermögenswerte, sobald diese das Land endgültig verlassen. Allerdings hat dies den gegenteiligen Effekt.

Statt die Steuerflüchtlinge zurückzuhalten, seien die Gegenmassnahmen der Regierung nun ein weiterer Grund für einen Umzug, sagen die Gesprächspartner dieser Zeitung. Sie sehen nun sogar noch eine Ausweitung des Trends: Neuerdings würden nicht nur vermögende Unternehmer und ihre Erben wegziehen. Auch Jungunternehmer zögen es vor, ihr Geschäft von Anfang an in der Schweiz aufzubauen – aus der Angst heraus, im Erfolgsfall zu stark besteuert zu werden.

In Norwegen spricht man bereits von der zweiten Sveits-bølge.