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Einchecken unter Lüstern: die Rezeption des Brown’s Hotel.

© Browns Hotel/Janos Grapow

Unsere Hotelkolumne für London: Eine Nacht im altehrwürdigen Brown’s

Rudyard Kipling nannte es sein Lieblingshotel, Paul Smith hat jüngst eine Suite eingerichtet. In Londons ältestem Sternehaus wandelt man auf Spuren prominenter Gäste.

Manche Hotels sind bereits so lange im kollektiven Bewusstsein verankert, dass ihre Anfänge gelegentlich im Nebel von Historien und Legenden verschwinden. Beispielsweise das Brown’s im Londoner Stadtteil Mayfair, das seit knapp 200 Jahren Gäste unter seinem Dach empfängt. Erst vor kurzem hat eine Nachforschung ergeben, dass es 1832 eröffnet hat – und damit einige Jahre früher als bisher angenommen. Den ehrwürdigsten Titel der Metropole hat es damit um Längen verteidigt: Es ist das älteste Luxushotel der Stadt.

Das Haus mit seinen inzwischen 115 Zimmern und 33 Suiten wurde vor einiger Zeit grundrenoviert, man könnte auch sagen ausgelüftet. Ein frischer Wind von Modernität und Exklusivität weht nun durch die Gänge. Noch immer ehrt das Fünfsterne-Refugium jene Gäste, die zur Legendenbildung beitragen. Alexander Graham Bell testete 1876 vom Hotel aus seine neueste Erfindung, das Telefon, und tätigte damit den ersten Anruf auf britischem Boden. Noch heute hängt ein altmodischer Apparat in einem der Konferenzzimmer im Erdgeschoss, der an diesen Moment erinnert.

Der Verfasser des „Dschungelbuch“, Rudyard Kipling, nannte das Brown’s sein Lieblingshotel und wird heute mit einer Suite in Pastellgrün bedacht. Agatha Christie ließ sich angeblich vom Haus für ihren Krimi „Bertrams Hotel“ inspirieren, und Stephen King soll in einer schlaflosen Nacht den Bestseller „Mysery“ an einem altmodischen Pult begonnen haben.      

Grüne Phase: Die Kipling-Suite im Brown’s.

© Browns Hotel

Ist dieses Stadthaus zwischen Dover und Albemarle Street so zum Fürchten, dass sich gruselige Geschichten wie von selbst entspinnen? Ist der Geist des Hauses eigentlich ein Schreckgespenst? Normalgäste müssen höchstens befürchten, dass der warme Begrüßungskakao beim Einchecken schon wieder leer getrunken oder die ziemlich eklektische Suite von Paul Smith bereits ausgebucht ist. 

Der britische Modedesigner ließ es sich vergangenes Jahr nicht nehmen, zwei Zimmer eigenhändig zu gestalten. Wie vielen seiner Entwürfe haftet auch den Übernachtungsräumen etwas Spielerisches an. Die Türklinke hat die Form einer Banane, der Schirmständer könnte auch ein Cowboystiefel sein, vor dem Kamin hocken zwei lustige Hundskulpturen (Sir Paul ist erklärter Hundefan), und auf dem Schreibtisch liegt eine Brille aus Bronze, die viel zu schwer ist, um sie aufzusetzen. Pures Gimmick, moderne Interpretation. Die bunten Streifen auf den Kissen erinnern an das Logo der Marke, die kunterbunte Hängung von Fotografien und Bildern an der Wand an die Unordnung in Sir Pauls eigenem Büro.  

Geordnetes Chaos: Paul Smith hat in einer Suite einfach sein Büro nachgeahmt.

© Browns Hotel

Diese Mischung aus Feinsinnigkeit und Lockerheit beobachten Gäste im gesamten Hotel. Obwohl es zu den gehobenen Häusern in London gehört, fühlen sich Besucher sehr schnell wie im eigenen Heim – zugegeben eines aus sehr optimistischen Träumen, die meist von Lottogewinn oder überraschender Erbschaft handeln. Es handelt sich schließlich um einen Komplex, der über die Jahrhunderte aus neun nebeneinander errichteten Stadthäuser entstand. 

Das wohlige Kuschelgefühl hat sicherlich mit der scheinbaren Übersichtlichkeit des Gebäudes zu tun. Es gibt nur vier Etagen, Gäste können leicht die mit Teppich ausgelegte Treppe hinaufgehen, die Korridore sind nicht elend lang, sondern biegen schon mal nach einigen Metern wieder ab, es gibt kleine Zwischenstufen und wenig Bling-Bling, der die Sinne ablenkt.

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Draußen auf dem Pflaster hat sich Mayfair stärker der Exklusivität zugewandt. Wo früher der Komponist Georg Friedrich Händel wohnte, können sich heute nur Schwervermögende eine Abstellkammer leisten. Der Stadtteil lebt vom Handel mit den teuersten Waren. In der New Bond Street – zwei Schleppminuten zu Fuß, wer beladen mit Einkaufstüten zurückkommt, oder 30 Hupsekunden entfernt, sollte man den eigenen Rolls Royce nehmen – haben alle großen Luxusmarken einen aufwändig gestalteten Shop um die Ecke. Louis Vuitton, Burberry, Dior, Montblanc, Boss, dazwischen hat das Auktionshaus Sotheby‘s seinen Sitz, falls jemand schnell Kleingeld für den Shoppingtrip benötigt und sein Tafelsiber verscherbeln möchte.   

In der Dover Street, wo heute der Hintereingang des Hotels ist, betreiben die wichtigsten Galerien der Welt ihre Dependancen (David Zwirner aus New York oder Sprüth Magers aus Berlin), die Savile Row, an der sich früher Könige und heute Wall-Street-Kings ihre Anzüge nach Maß anfertigen lassen, liegt nur einige Minuten zu Fuß entfernt – und Paul Smith betreibt wenigstens seinen Sales-Shop nur mit reduzierter Ware in der Avery Row.

Mit dem eigenen Auto fahren heute die wenigsten Gäste vor: Es gibt kaum Parkplätze im Viertel.

© Browns Hotel/Janos Grapow

Normalsterbliche flanieren höchstens mit gezücktem Smartphone durch die Straßen. So viel Glanz, so viel Gloria. Und plötzlich bleiben sie vor einer Kirche stehen – in die nun ein Streetfood-Markt eingezogen ist. Der Mercato Mayfair ist die demokratischste Essensoption in ansonsten piekfeiner Umgebung. In der umgenutzten St. Mark’s Church finden nun mehrere Bars und Restaurants ihren Platz.

Ähnlich wie in der Markthalle Neun in Berlin sind die Standbetreiber verpflichtet, nachhaltig produzierte und frische Waren anzubieten. Es gibt malaysisches Streetfood, deutsches Craft-Bier, neapolitanische Pizza, spanische Tapas oder etliche Naturwein-Angebote. Wo früher Sünder auf Kirchbänken beteten, speisen heute Reisende auf Holzstühlen. Selbst wer keinen Hunger hat, sollte einmal in der Kirche vorbeischauen und die belebende Atmosphäre genießen.  

Der Mercato Mayfair ist eine zur Streetfood-Halle umgewidmete Kirche.

© IMAGO/Pond5 Images

Zum Abendessen darf man ruhig wieder zurück sein im Brown’s, das Hausrestaurant Charlie’s lädt auf halbrunden Sofas in Petrolfarben unter massiver Holzvertäfelung und irgendwie tropischen Wandtapeten zum Dinner ein. Die Küche bietet englisch-italienische Gerichte mit Raffinesse – und ja, das funktioniert wirklich. Neben einem Salat, angerichtet mit Krabben aus Dorset, bietet das Menü Ochsenbacken an oder einen britischen Wildauflauf.

Seit Jahrzehnten delektieren Gäste das exzellente Essen. Der spätere US-Präsident Theodore Roosevelt lobte 1886 die vielen Abendessen während seines Aufenthalts, Eleanor und Franklin D. Roosevelt verbrachten 1905 einen Teil ihrer Flitterwochen im Hotel und waren leicht angesäuert, dass man sie vermutlich mit „Onkel Teddy“ verwechselt hätte – ihnen war die Royal Suite zugewiesen worden. Ein akzeptables Debakel, heutzutage undenkbar angesichts der Bildmaschinen im Internet.  

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Wer weiß, vielleicht taucht eines Tages einer der emsigen jungen Kellner oder freundlichen Mitarbeiter genau dort auf: als Aufmachermotiv eines Online-Artikels. Der britische Charakterdarsteller Ralph Fiennes, der später im „Grand Budapest Hotel“ einen Hoteldirektor spielte, arbeitete vor seinem Studium an der Royal Academy of Dramatic Arts einige Monate im Brown’s.

Er schlich mit einem weißen Mantel durch die Gänge, wechselte Glühbirnen aus und polierte Gläser. Jahre später erinnerte er sich, wie der damals bereits bekannte Schauspielstar und Hotelgast Jeremy Irons ihn nach einem Tipp für das richtige Reinigungsmittel fragte. Bei dieser Gelegenheit bat der Noch-nicht-Schauspieler den gestandenen Darsteller um ein Autogramm. Der Concierge war über diese indiskrete Angelegenheit not amused: Das war nicht die feine englische Art.

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