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Das Glück des Erzählens. Die in Berlin lebende Autorin Felicitas Hoppe.

© dpa

Georg-Büchner-Preis 2012: Ritter auf Reisen

Die Wirklichkeit uneingelöster Versprechen und verlorener Wetten: Die Berliner Schriftstellerin Felicitas Hoppe erhält den Georg-Büchner-Preis 2012.

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung scheint Kritik gegenüber durchaus aufgeschlossen zu sein. Nachdem im letzten Jahr die Verleihung des Georg-Büchner-Preises an den 1943 geborenen F. C. Delius eher mit verhaltener Begeisterung aufgenommen worden war, bei allen Verdiensten von Delius, und die Akademie überhaupt in den Jahren zuvor eine Vorliebe für auch schon ältere, allseits aber respektierte Außenseiter der deutschsprachigen Literatur entwickelt hatte (Reinhard Jirgl 2010, Walter Kappbacher 2009, Josef Winkler 2008), stand sie unter einem gewissen Zugzwang.

Ein Aufbruch war angesagt, eine Würdigung der gleichfalls schon herausragenden schriftstellerischen Arbeit einer jüngeren Generation tat not – und eine Autorin durfte es nach den vielen Männern auch mal wieder sein. Insofern ist die Verleihung des diesjährigen Büchner-Preises an die 1960 in Hameln geborene und in Berlin lebende Felicitas Hoppe keine allzu große Überraschung, erst recht nicht nach ihrer dieses Frühjahr veröffentlichten, fast durchweg gelobten Autobiografiefiktion „Hoppe“. Zum anderen ist diese Auszeichnung sehr zu begrüßen.

Denn hier wird eine Schriftstellerin geehrt, deren literarische Vielstimmigkeit und Eigensinnigkeit ihresgleichen sucht, in deren Büchern man sich jedoch aufs Leichteste und Schönste verlieren kann. Die weder an eine große Auflage ihrer Bücher, an ein Massenpublikum denkt noch daran, den ultimativen Gegenwartsroman vorlegen zu müssen, in dem von der Finanzkrise bis zu den neuen Medien alles drin ist, was unsere Lebenswirklichkeit vermeintlich dominiert.

Felicitas Hoppe versucht der Wirklichkeit lieber in Form eines fantastischen, märchenhaften Fabulierens auf die Spur zu kommen; eines Fabulierens, in dem viel Bewegung ist, dessen wichtigster Topos das Reisen, das ständige Unterwegssein der Figuren darstellt. Ihre Literatur hat etwas Schwebendes, Spielerisches. Hoppe neigt dann auch schon einmal zu der „leichtfertigen Behauptung“, wie sie es in einer Poetikvorlesungsreihe in Augsburg formuliert hat, „das Märchen sei die höchste, weil einfachste Form realistischer Literatur“. In „Hoppe“ beschreibt Felicitas Hoppe das Werk ihrer nicht in Hameln, sondern in Kanada aufgewachsenen Hauptfigur so: „Hoppes Werk, bis heute von der Kritik so hartnäckig wie wohlwollend in den Bereich ,traumologischer Reiseliteratur’ verwiesen, speist sich nicht aus Träumen , sondern aus der Realität uneingelöster Versprechen und verlorener Wetten“.

Viel Märchenhaftes und Groteskes findet sich schon in ihren Debüterzählungen „Picknick der Friseure“ von 1996. Hoppe erzählt darin von den seltsamen Begebenheiten in einer nicht näher benannten Stadt, erlebt von nicht näher benannten Figuren, die alle aber einer Familie anzugehören scheinen. Die Sprache der Geschichten ist bei allen Seltsamkeiten einfach, klar, elastisch, und doch sorgt jede dieser genau vier Seiten langen Miniaturen für genügend Irritationen, stellt man sich oft die Frage: In was für einer Welt befinden wir uns hier? Es folgten, häufig unterbrochen von kunstvollen Veröffentlichungen für die „Berliner Handpresse“, Ende der neunziger Jahre Hoppes Debütroman „Pigafetta“, eine Art Schiffstraumroman, der lose auf einer Weltreise basiert, die die Autorin auf einem Containerschiff unternommen hat. Und 2003 der Roman „Paradiese, Übersee“, dessen Hauptrollen mit einem Ritter, einem Pauschalisten, einem gewissen Doktor Stoliczka, einem Hund namens Munter und erneut Mitgliedern einer namenlosen Familie besetzt sind. Lustvoll betätigt Hoppe sich als Kulissenschieberin und Zeitendurchwirblerin. Sie erzählt vordergründig eine Ritter- und Abenteuergeschichte, aber eben auch eine übers Reisen, Lieben und der Selbsterkenntnis, mündend in der in Versalien gesetzten Offenbarung der Schwester der Ich-Erzählerin: „Der Ritter, das bin übrigens ich“. Nicht zuletzt macht Hoppe darin eine Liebeserklärung an die Tageszeitung, die heutzutage schön laut nachklingt: „Aber mit einer Zeitung in der Hand, fühlte er, wäre er sicher. Nicht nur durch die Nachricht, den Schlüssel zur Welt, das tägliche Wiedererkennen der Zeit, den Kalendervergleich, die Überprüfung des Datums und der Dinge überhaupt, sondern allem voran durch die herrliche Gewissheit, dass jeden Tag aufs Neue immer noch alles da ist. Die Wörter erstens, die Welt zweitens und drittens die Welt in den Wörtern, diese druckschwarze Wirklichkeit (...)“

Wo kann man besser seinen Sehnsüchten und Fantasien folgen und durch Zeit und Raum schweben als in der Literatur? Zumal, so heißt es schon in „Picknick der Friseure“, rein praktisch nicht viel gegen das Schreiben spricht: „Es ist eine warme und geschützte Tätigkeit. Selbst bei schlechter Witterung gelingt hin und wieder ein lesbarer Satz.“ Ob in ihren Seefahrer- und Abenteuergeschichten „Verbrecher und Versager“, in ihrer Jungfrau-von-Orléans-Variation „Johanna“ oder ihrem vertrackt-unterhaltsamen, gleichsam das Für und Wider ihrer Werkrezeption darlegenden Biografie-Spiel „Hoppe“: Es gibt sehr viele lesbare Sätze in Hoppes Büchern – und sie lesen sich umso besser, je weniger sich ihre Geschichten um das gängige realistische Erzählen kümmern, je mehr Hoppe der Fülle ihrer eigenen Geschichten und Assoziationen vertraut. Der mit 50 000 Euro dotierte Büchner-Preis an sie ist da fast logische Konsequenz – und vielleicht auch ein Signal für die kommenden Jahre.

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