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Alexandre Tharaud und das Orchestre Français des Jeunes spielten Ravels Klavierkonzert G-Dur.

© MUTESOUVENIR/Kai Bienert

Zum Abschluss des Festivals Young Euro Classic: Poesie und Passion

Zum großen Finale des diesjährigen Festivals Young Euro Classic gab’s den Komponistenpreis - und einen großartigen Abend mit dem Orchestre Français des Jeunes.

Frankreich zum Abschluss, mit einem Drei-Länder-Programm, Hartmann, Ravel und Tschaikowsky, das steht dem grenzüberschreitenden Festival Young Euro Classic gut zu Gesicht. Am Sonntagabend ging die 24. Ausgabe nach 17 Programmen zu Ende, gut 24.000 Zuschauer:innen kamen ins Konzerthaus am Gendarmenmarkt.

 Die Solo-Trompete des Orchestre Français des Jeunes, ihre coole, lässige Spielfreude, gibt gleich zu Beginn von Karl Amadeus Hartmanns 5. Symphonie den Ton vor. Dirigent Michael Schønwandt tanzt auf dem Pult, die jungen Musiker:innen tanzen mit. Die Klarinette betört zu gestopften Posaunen im zweiten Satz, „Melodie“, ebenso das orientalisierende Fagott auf Pizzicato-Grund, und die Streicher der neben den Bläsern ausschließlich mit Celli und Kontrabässen instrumentierten Kammersymphonie erinnern an ein schnurrendes Uhrwerk.

Elektrisierende Rhythmik im Finale, Soli wie Tutti so elegant wie energisch, ein mitreißender Auftakt. Warum wird Hartmann nicht viel öfter aufgeführt?

Bei Maurice Ravels Klavierkonzert G-Dur sitzt Alexandre Tharaud am Flügel. Der 54-jährige Meister des flirrend rhapsodischen Spiels sorgt gemeinsam mit den jungen Musiker:innen für wahre Klangzaubereien. Aber das Werk gemahnt auch an Gershwins Jazz, wie kaum ein anderes von Ravel. New York, Großstadtlärm mit Martinshörnern, das Flimmern der Leuchtreklamen, man wähnt sich im Straßentrubel von Big Apple. Toll, wie die Harfe das Klavier imitiert, wie Tharaud und das Orchester einander beinahe übermütig die Bälle zuspielen.

Nach dem Adagio, einem Nachtstück voller Träumereien zwischen kräftig aufblühenden Klangfarben, stellt das Orchester im perkussiven Finale einmal mehr seine Street Credibility unter Beweis. Das Konzert wird zur Rhapsody nicht in Blue, sondern in Signalrot, der französische Klangkörper zum pulsierenden, zuckenden Großstadtorganismus.

Und anschließend schickt Tharaud einen Wirbelwindhauch durch den Saal: Mit unerhörter Leichtigkeit und fliegenden Fingern lindert er mit seiner Zugabe, der Scarlatti-Sonate K. 141, für ein paar Minuten die Schwerkraft.

Bei Tschaikowskys Vierter Symphonie nach der Pause frappiert vor allem das Legato des Orchesters, das den Repertoireklassiker mit den Schicksals-Fanfaren breitflächig anlegt und das markante Fatum-Thema in einen atmosphärisch dichten Flow einbietet. Nie zu smooth, nie zu schroff: Wie schon bei Hartmann paaren die Gäste aus Frankreich Eleganz und Energie, anrührend die Oboe im Andante, souverän die Hörner, die Bläser insgesamt.

Das Streicher-Pizzicato im Scherzo verfeinern sie nicht ohne Humor zum insektenflügelig zarten Geschwirre, im Schlusssatz frappiert der volle, mit Wärme grundierte Sound, durchsetzt von Sechzehntelkasaden und einer ungestüm vorpreschenden Passion, die dennoch nie außer Kontrolle gerät.

Jubelstürme nach der frei drehenden Schlusswendung wieder ins Unheilvolle, im ersten Rang applaudiert auch Berlins Kultursenator Joe Chialo im Stehen. Chialo hatte das Publikum gemeinsam mit dem früheren Deutschlandradio-Intendantin und YEC-Mitbegründer Willi Steul begrüßt und die Verdienste des Festivals gewürdigt, mit leider wenig spezifischen Stichworten wie Vielfalt, Dialog, Diversität und Integration.

Berlins Kultursenator Joe Chialo überreicht Evgeni Orkin den Europäischen Komponistenpreis 2023

© MUTESOUVENIR/Kai Bienert

Chialo überreichte auch den Europäischen Kompositionspreis. Unter den acht diesmal präsentierten Ur- und deutschen Erstaufführungen entschied sich die aus musikbegeisterten Laien zusammengesetzte Jury für Evgeni Orkins „Odessa Rhapsody“, die der ukrainische Komponist Oksana Lyniv gewidmet hatte, der Dirigentin des Abends mit dem Youth Symphony Orchestra of Ukraine. Kein politisch ,garstig’ Lied‘, „vielmehr: ein optimistisches Tongemälde, als Hommage an das städtische Leben, in patriotischen Farben“, schrieb unsere von dem Werk begeisterte Rezensentin Eleonore Büning.

Fazit des fast dreistündigen Abends, nach dem Blumenwalzer aus Tschaikowskys „Nussknacker“-Suite und dem Prélude aus Bizets Arlésienne-Suite als Dreingaben: Der Glaube, tief empfundene musikalische Leidenschaft benötige Lebenserfahrung, ist Unsinn. Die Orchester der Festivalausgabe 2023 stellten erneut unter Beweis an, dass junge Menschen keineswegs oberflächlichere Passionen hegen.

Und dass – Stichwort Diversität – die Hälfte der Kontrabässe und der Posaunen des Orchestre Français des Jeunes von Frauen gespielt wird, macht erneut Hoffnung. Noch ein paar mehr Harfenisten, und die Gleichstellung in der Klassik ist fast schon vollbracht.

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