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Olaf Scholz stellt sich den Fragen der Bürgerinnen und Bürger.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Brezeln, Bubatz, Brechmittel: In Magdeburg wird der Kanzler mit der Bürger-Realität konfrontiert

Seit Wochen ist Olaf Scholz in der Defensive, in Umfragen sackt er ab. Beim Bürgerdialog in Magdeburg spricht er eine Garantie aus – und erhält kuriose Fragen.

Ihre Botschaft an den Bundeskanzler müssen die Demonstranten erst einstudieren. „Wir üben jetzt nochmal, wie wir Scholz begrüßen“, ruft ein lokaler AfD-Politiker von der Ladefläche eines blauen Kleintransporters. Augenblicklich pfeifen Protestierende in ihre Trillerpfeifen und Tröten, hauen auf Trommeln und schreien „Hau ab, hau ab, hau ab!“

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Schon zwei Stunden vor dem Besuch von Olaf Scholz in Magdeburg stehen die Demonstranten auf einer Wiese an einer vierspurigen Straße, die Sonne knallt, ein paar Dosenbiere werden geöffnet. „Volksverräter stoppen!“ und „Öffnet Nord Stream 2 gegen Energie Notstand“, steht auf Bannern.

Der SPD-Politiker hat sich zur zweiten Station seiner Kanzlergesprächs-Tour durch alle 16 Bundesländer angekündigt, die AfD und andere rechte Gruppen haben vorab mobil gemacht, um ihn zu empfangen. In Sachsen-Anhalt soll es der Beginn eines heißen Herbstes sein, doch trotz der vielen Aufrufe sind nur 200 bis 300 Unterstützer gekommen.

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„Wir sind nicht bereit, unseren Wohlstand für die Ukraine aufzugeben“

„Jetzt ist die Zeit des Widerstands gekommen“, sagt ein sachsen-anhaltischer AfD-Landtagsabgeordneter und beklagt die hohen Gaspreise, die Inflation und die Waffenlieferungen an die Ukraine. „Wir sind nicht bereit, unseren Wohlstand für die Ukraine aufzugeben.“ Das Publikum haut begeistert auf die Trommeln. Doch ihren großen Auftritt verpassen sie. Die Personenschützer leiten die Limousine des Bundeskanzlers unbemerkt über eine Seitenstraße zum Veranstaltungsort.

Das Kanzlergespräch mit 150 ausgelosten Bürgerinnen und Bürgern findet in der Festung Mark statt, einer ehemaligen Defensivkaserne. Ausgerechnet. Seit Wochen ist der Kanzler im Verteidigungsmodus. Der bizarre Auftritt vor dem Cum-Ex-Untersuchungsausschuss in Hamburg, die Holocaust-Verharmlosung von Palästinenser-Präsident Abbas im Kanzleramt, der Ärger wegen des maskenlosen Regierungsflugs nach Kanada.

Es ist ein schwieriger Sommer für Scholz, auch persönlich. Die ständigen Vergleiche mit Robert Habeck nagen an ihm. In einer jüngsten „Spiegel“-Erhebung zur Kanzlerfrage landet er weit abgeschlagen hinter dem grünen Wirtschaftsminister nur auf Platz drei. Noch hinter CDU-Chef Friedrich Merz und gleichauf mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder.

Jetzt also Magdeburg. Im Osten hat Scholz bei der Bundestagswahl überraschend gut abgeschnitten, doch von der Inflation und den hohen Energiekosten sind die Menschen hier besonders betroffen. Ihre Renten und Einkommen sind klein, die Angst vor Russland groß. Viele haben die DDR noch selbst erlebt.

Brechmittel will Scholz gegen Lindner nicht einsetzen

Doch in der Festung Mark in Magdeburg erlebt Scholz einen friedlichen Abend. Unter einem großen Sonnensegel im Innenhof des Backsteingebäudes gibt es Brezeln, Kuchen und kalte Getränke – nach dem Kanzlergespräch wird auch alkoholfreies Bier versprochen. Das Publikum ist dem Kanzler gewogen, applaudiert höflich, als er auf die runde Bühne tritt. Dann beginnt der Fragen-Marathon.

„Wie sieht es um die Zukunft des Neun-Euro-Tickets aus?“, will Danielo aus Magdeburg wissen. „Das Neun-Euro-Ticket ist erst einmal ne tolle Sache“, sagt Scholz. Man könne es aber zu dem Preis nicht für immer durchhalten. Die Ampel habe aber wichtige Erkenntnisse gewonnen: „Wir haben rausgefunden, dass die Tarifverbünde viel zu klein sind“, sagt Scholz zu Danielo, der Auszubildender bei der Bahn ist. Dann verspricht der Bundeskanzler ein Nachfolgemodell. „Wir haben uns vorgenommen, dass wir etwas entwickeln, das jetzt demnächst kommt.“

Es ist ein typischer Scholz-Satz. Ein bisschen ungelenk, ziemlich vage. Das bleibt Scholz auch bei den nächsten Fragen zur Versicherungspflicht für Soloselbstständige („da kommt nochmal was“), zur Zukunft der Sprach-Kitas („das wird noch in ein Programm eingebaut“) oder zu weiteren Entlastungen wegen der Inflation („da kommen noch andere Sachen, die wir machen“).

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In Sachsen-Anhalt, mit rund 48 Jahren Durchschnittsalter seiner Einwohnerinnen und Einwohner das älteste Bundesland der Republik, muss Scholz besonders viele Fragen zur Situation von Rentnern erklären. „Wir haben uns fest vorgenommen, da etwas zu tun“, sagt Scholz. Später verspricht er noch zweimal, er werde sich für die Rentner im dritten Entlastungspaket einsetzen. Beim Publikum kommt das an.

Selbst von ungewöhnlichen Fragen lässt sich der Kanzler nicht aus dem Konzept bringen: „Planen Sie den Einsatz von Brechmittelfolter? Und wenn ja, können Sie mit Christian Lindner anfangen?“, will ein Mann aus Burg bei Magdeburg wissen. Scholz grinst, erklärt dann aber trocken von seiner Zeit als Innensenator von Hamburg als er gegen Dealer, die Drogen zum Verstecken schluckten, Brechmittel einsetzen ließ. „Das haben europäische Gerichte für keinen geeigneten Weg gehalten“, sagt Scholz, deswegen plane niemand den Einsatz. „Im Übrigen finde ich, dass Sie Herrn Lindner völlig Unrecht tun.“

Die Mehrwertsteuer auf Hundefutter ist Thema

Es ist ein bunter Strauß an Fragen, mit dem der Bundeskanzler in Magdeburg konfrontiert wird. Warum Hundefutter mit sieben Prozent, aber Babynahrung mit 19 Prozent Mehrwertsteuer besteuert werde, fragt ein Mann. „Es gibt überhaupt niemanden, der das versteht“, antwortet Scholz. Ein Rentner will wissen, warum der Kanzler nicht häufiger kommuniziere. Eine wöchentliche Sendung bei ARD oder ZDF, in „der Sie als Kanzler die Welt erklären“, schlägt er Scholz vor. Der bedankt sich für die Idee, verweist dann aber doch auf seinen Podcast.

Zum Abschied gibt es Fotos mit dem Bundeskanzler für alle Gäste.

© Ronny Hartmann/AFP

„Wann wird Bubatz legal, Herr Bundeskanzler?“, fragt schließlich Carsten Müller. Der Bundeskanzler ist auf die Frage zur Cannabis-Legalisierung vorbereitet. „In dieser Legislatur“, verspricht er wieder vage. Er selbst habe eine Weile gebraucht, um das richtig zu finden, gesteht der Kanzler. Er kenne viele Leute, „die sich das Hirn weggekifft haben“.

Scholz' vorsichtiger Ukraine-Kurs kommt an

Andere Themen interessieren in Magdeburg nicht. Keine Frage zu Cum-Ex, keine Frage zu Corona, keine Frage zum Klimaschutz. Mehrmals wird Scholz auf den Ukraine-Konflikt angesprochen. „Haben Sie nicht das Gefühl, dass wir wegen der Waffenlieferungen nach und nach in den Krieg hineingezogen werden?“, fragt ihn ein Magdeburger.

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Russland habe gegen sämtliche Prinzipien verstoßen, antwortet Scholz: „Es ist wichtig, dass wir die Ukraine dabei unterstützen, dass sie einen imperialistischen Angriff zurückschlagen.“ Es werde aber keine Alleingänge bei den Waffenlieferungen geben, verspricht Scholz. „Es bleibt immer besonnen und überlegt. Das will ich Ihnen als Garantie geben“, sagt Scholz. Dafür gibt es langen Applaus.

Anders als vor der Festung, kommt Scholz im Innenhof gut an. Schon bei der Bundestagswahl schnitt er in den ostdeutschen Bundesländern auffällig gut ab. Zwar bleibt der Kanzler in Magdeburg oft technisch, erzählt keine privaten Anekdoten und setzt auch keine humorvolle Pointen, doch seine ruhige, sachliche Art wird vom Publikum gewürdigt.

„Solche Bürgerversammlungen sind das, was ich am meisten mag in dem, was ich politisch tue“, erklärt Scholz am Ende. Ein bisschen konkreter hätte er sein dürfen, kritisiert Bahn-Azubi Danielo im Anschluss. Insgesamt ist er aber zufrieden: „Das Format ist eine schöne Idee. Sowas hat seine Vorgängerin ja nicht gemacht.“ Dann stellt er sich in die Schlange. Zum Abschied bekommt jeder Gast noch ein Selfie mit dem Kanzler.

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