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Bliss, Premer Feuer, BTL, Killersticks und Jazz: Fast alle Rollenspiele kennen eine große Bandbreite berauschender Substanzen und viele Spieler*innencharaktere sind alles andere als strenge Abstinenzler*innen. Doch wie auch im richtigen Leben bleibt der Konsum nicht ohne Folgen. Wie umgehen mit Rauschmitteln und Sucht als Thematik im Pen-and-Paper?

Alkohol am Spieltisch ist wohl eine der kontroversesten Thematiken, die man in der Rollenspiel-Szene aufbringen kann. Der Konsum von Rauschmitteln durch Spieler*innencharaktere ist indes normaler Bestandteil der meisten Pen-and-Paper-Runden: Welcher Zwerg sehnt sich nicht nach einem guten Krug Bier und welche*r Thorwaler*in verschmäht ein Horn goldenen Mets? Vampire setzen ihre Opfer unter Drogen, um sich an dem Konsum ihres Blutes zu berauschen. Im grellen Neonlicht futuristischer Städte ist so manches Mittelchen im Umlauf, dass die Konsument*innen zu übermenschlichen Leistungen befähigt – fast ohne Nebenwirkungen, aber eben nur fast. In der gleichen Stadt entfliehen arme Seelen ihrer tristen Existenz, indem sie vollkommen in virtuelle Realitäten eintauchen. Oft verlassen sie diese nicht mehr und fristen fortan an düsteren Orten ihr halbbewusstes Dasein, das einem traurigen Ende entgegensteuert. Für manche Charaktere bleibt dieser Konsum ohne Folgen, doch andere verfallen ihm dauerhaft und werden mehr und mehr zu Sklav*innen ihrer Sucht. Wie man Rauschmittel und Abhängigkeit (hier eine Definition von Abhängigkeit nach dem ICD-10, an der sich der sich dieser Artikel orientiert), auch rollenspielerisch und jenseits bloßer regeltechnischer Auswirkungen, ins Pen-and-Paper integriert und wie man mit der Suchtthematik und mit süchtigen Charakteren umgehen kann, damit wird sich dieser Artikel auseinandersetzen.

Triggerwarnung: Dieser Artikel setzt sich mit Sucht und deren potenziellen Konsequenzen auseinander. Dies sollte dir bewusst sein, wenn du selbst davon betroffen bist und/oder dich bei diesem Thema nicht wohlfühlst. Zudem handelt es sich um eine Auseinandersetzung mit Sucht als Spielelement. Dies soll die reale Problematik in keinem Fall relativieren.

Eine Taverne an jeder Ecke – Rauschmittel als Teil von Spielwelten

Pen-and-Paper-Systeme gehen auf Regel-Ebene mit Drogen zunächst einmal so um, wie mit allem anderen auch: Sie versuchen, die Auswirkungen konkret in Zahlenwerten fassbar zu machen, die definieren, welche Werte des Charakters sich durch den Konsum verändern. Dazu später noch mehr. In Systemen, die sich stärker auf das Erzählen stützen, übernimmt an dieser Stelle die Spielleitung das Beschreiben der Konsequenzen. Bemerkenswert ist vor allem die Tatsache, dass viele Systeme davon ausgehen, dass Regelungen zu Rauschmitteln und deren Konsum überhaupt notwendig sind. Sie sind selbstverständlicher Teil der Spielwelt und des Lebens der Charaktere. Dazu zählt auch das Bier in der Kneipe, der Met in der Taverne, der Wein im Restaurant oder womit auch immer eine Gruppe ihren Sieg feiert.

Viele Pen-and-Paper-Systeme bieten eine große Auswahl an Rauschmitteln. © SergIllin

Das Bedürfnis, sich zu berauschen, wird in Anlehnung an die Realität als übergreifendes Merkmal im Leben von Menschen und anderer intelligenter Spezies begriffen. Die Fantasie dabei, sich neue, fiktionale Drogen auszudenken, die die Möglichkeiten der Spielwelt ausschöpfen, scheint unbegrenzt. Die Vielzahl fiktiver Rauschmittel in Rollenspielen, von denen im Folgenden noch einige genannt werden, spricht hier Bände. Auch die Orte, an denen Rauschmittel konsumiert werden, sind in Rollenspielen äußerst vielfältig. In nahezu jeder Spielwelt existieren entsprechende Lokalitäten: vom urigen Dorfwirtshaus über die exklusiven Partys der oberen Zehntausend bis hin zu dunklen Orten, an denen Verlorene ihre letzten Atemzüge durch eine Pfeife tun.

Vor allem Alkohol ist Teil der Normalität – zum Beispiel beim Tavernenspiel. © nejron

Wohlgemerkt ist nicht jeder Konsum, beispielsweise im Rahmen eines feuchtfröhlichen Tavernenabends der Charaktere, auch gleich Anzeichen einer Sucht oder Abhängigkeit. Vielmehr handelt es sich um einen Teil der Normalität und der Geselligkeit im Rollenspiel. Oft ist das, wie in der Realität, Alkohol oder Tabak in seinen verschiedenen Formen. Ebenso gibt es verbotene und erlaubte Rauschmittel.

Auch in Rollenspielen besteht indes eine Grenze zwischen Normalität und Exzess, zwischen Genuss und dem unbedingten Verlangen nach einer Droge. Der Grat zwischen gelegentlichem Konsum und Sucht ist dabei oft schmal, insbesondere bei Stoffen, die rasch abhängig machen. Diese Gratwanderung kann ein vielversprechender Ansatz für interessantes Rollenspiel sein. In eher bedrückenden Szenarien mag es auch erst das Erlebte sein, dass einen Charakter dazu treibt, eine Droge immer und immer wieder zu konsumieren.

Es ist zu bedenken, dass Sucht in manchen Welten vielleicht nicht als echte Problematik anerkannt wird: In vom Mittelalter inspirierten Rollenspielen mag es zahlreiche, auch recht junge, Alkoholabhängige geben. Alkoholkonsum ist eine gängige Strategie (nicht nur) des einfachen Volkes, das alltägliche harte Leben zu bewältigen. Da saubereres Wasser rar ist, wird stattdessen Dünnbier getrunken, ein leichter Rausch ist der Normalzustand. Ein*e ernsthaft Abhängige*r ist hier nicht mehr als Trunkenbold, Schwächling oder Sünder*in, der*die keine Hilfe zu erwarten hat.

Ebenso kann es in einer futuristischen Gesellschaft üblich sein, die eigenen Leistungen mit allerlei Mitteln zu optimieren. Vielleicht ist der Spieler*innencharakter Außenseiter*in, da sie*er diesen Trend ablehnt und lieber stets nüchtern bleibt? Ist es gar Strategie der Regierung, die Bevölkerung mit Drogen ruhigzustellen und man macht sich strafbar, wenn man nicht konsumiert? – Ein literarisches Beispiel dazu ist das beruhigende Soma in Aldous Huxleys Roman Brave New World.

Andererseits mag es auch Welten geben, in der jeder Konsum von berauschen Substanzen, wie zum Beispiel Kaffee, geächtet oder gar ein Verbrechen ist. Die Ansätze zur Gestaltung der Spielwelten sind hier äußerst zahlreich. Doch wie kann man sich dieser Thematik nun im Pen-and-Paper annähern?

+1 Reaktion, -2 Intelligenz – Die regeltechnische Tragweite von Rauschmitteln

Zunächst soll diese Thematik – man verzeihe den unfreiwilligen Wortwitz – einmal ganz nüchtern angegangen werden: von regeltechnischer Seite. In eher regelintensiven Systemen führt auch bei der Thematik „Rauschmittel“ und „Sucht“ kein Weg an klaren Richtlinien vorbei. So weist das Grundregelwerk der vierten Edition von Shadowrun detaillierte Regelungen zu Drogen und Abhängigkeit auf und beschreibt die Auswirkungen des Konsums zehn verschiedener Rauschmittel. „Bliss“ macht die Konsument*innen schmerzresistent und versetzt sie in einen glückseligen Zustand, der die Realität ausblendet. „Jazz“ steigert Reaktion und Initiative, verursacht mit nachlassender Wirkung aber Niedergeschlagenheit und Desorientierung. „Better-Than-Live“-Chips beziehungsweise BTLs eröffnen als elektronische Drogen den Weg zu vollkommen neuen Sinneserfahrungen, führen im schlimmsten Fall aber zum vollkommenen Interessenverlust an der als monoton wahrgenommen Realität. Das sind nur einige Beispiele der bunten Mischung an Drogen, die die Cyberpunk-Welt bietet.

Das Schwarze Auge (DSA) definiert, ebenfalls in der vierten Edition, sämtliche Rauschmittel als Gifte und teilt sie in verschiedene Giftstufen ein. Dabei zählen die diversen bekannten Spirituosen wie „Bosparanjer“, „Meskinnes“ und „Premer Feuer“ nach den Regeln ebenso zu den Giften wie auch das „Ilmenblatt“, das dem irdischen Cannabis ähnelt, oder das „Samthauch“. Bei letzterem handelt es sich um den Blütenstaub einer tropischen Orchidee, der einen ekstatischen Rausch hervorruft, aber in Überdosierung auch zum Tod führen kann.

Auch Vampire. Die Maskerade legt in seiner V20-Version die Auswirkungen des Konsums von Alkohol, Kokain, Meth, Speed, Heroin und anderer bekannter realer Substanzen auf die Werte der Untoten fest.

Welche regeltechnischen Auswirkungen das wohl hat? © nilaya

Hier wurden nur sehr populäre Systeme genannt und auch nur in der Version, die mir am vertrautesten ist. Die Liste ließe sich noch beliebig fortführen. Vielleicht mit Ausnahme solcher, die explizit an ein jüngeres Publikum gerichtet sind (wie So nicht, Schurke!), bietet fast jedes System eigene Möglichkeiten, sich zu berauschen, aufzuputschen, zu betäuben oder der Realität zu entfliehen. In jenen Systemen, die besonderen Wert auf Regeln legen, sind die Auswirkungen der jeweiligen Stoffe dabei konkret in Zahlenwerten festgehalten. Die Droge Ilmenblatt beispielsweise ist ein Kraut, das zum Konsum geraucht oder auf einem Stein geröstet wird. Es wirkt für eine auszuwürfelnde Zahl an Stunden extrem beruhigend und leicht euphorisierend, was konkrete numerische Auswirkungen auf die körperlichen und geistigen Attribute des Charakters hat. Selbst Wütige oder amoklaufende Charaktere können mit den Dämpfen beruhigt werden (man vergleiche dazu das Zoo-Botanica Aventurica. Tiere und Pflanzen des Schwarzen Auges, 2007: S. 241).

Beinhaltet das Regelwerk eine Mechanik wie Vorteile und Nachteile, was bei den hier Genannten der Fall ist, ist es meist auch möglich, den Nachteil „Sucht“ oder „Abhängigkeit“ auszuwählen oder diesen im Laufe des Spiels zu ‚erwerben‘. Dabei wird nach Art des Rauschmittels oder Grad der Sucht differenziert. Die Abhängigkeit von harten Drogen oder eine vollkommene Abhängigkeit bringen mehr Punkte als ein kontrolliertes Suchtverhalten oder die Sucht nach einem schwächeren Stoff. Während DSA wie gesagt nach Giftstufen differenziert, unterscheidet Shadowrun zwischen „leicht“, „mittel“ und „schwer“ abhängigen Charakteren und solchen, die vollkommen „ausgebrannt“ sind (Shadowrun. Grundregelwerk 4. Edition, 2009: S.299). Abhängigkeiten, die sich nicht nach bestimmten Stoffen oder im Fall von BTL nach Software richten, also beispielsweise die Spielsucht, werden interessanterweise in der Regel nicht unter dem Schlagwort „Sucht“ gefasst.

Zudem scheint die Abhängigkeit eng mit der Mechanik der Vorteile und Nachteile verknüpft: In Dungeons & Dragons, das zumindest in seiner fünften Edition keine derartige Mechanik aufweist, sind keine konkreten Regelungen zur Sucht vorhanden. Hier werden entsprechende Auswirkungen in den rollenspielerischen Bereich oder in die Entscheidungsgewalt der Spielleitung verlagert. Das Fehlen dieser Regelungen mag aber auch dem geschuldet sein, dass D&D eher auf das klassische Dungeon-Erlebnis und die kämpferische Auseinandersetzung ausgelegt ist als auf die regeltechnische Modellierung eines besonders differenzierten Charakters. Womit nicht geleugnet werden soll, dass in Dungeons & Dragons gutes Charakter- und Rollenspiel möglich ist. Die Grundausrichtung ist lediglich eine andere.

Kiffer-Comedy oder Sucht-Drama – Der rollenspielerische Aspekt der Sucht

Tatsächlich ist es das Rollenspiel, in dem sich die eigentliche Tragweite der Suchtproblematik überhaupt erst ergibt. Eine Sucht, die in Zahlenwerten festgehalten und im Spiel nur über diesen definiert wird, ist recht langweilig. Ganz im Sinne des Kredos „Ein Nachteil muss ausgespielt werden“ sollte auch ein süchtiger Charakter rollenspielerische Konsequenzen seines Konsums erfahren. Der Umgang mit Sucht und Rauschmittelkonsum im Rollenspiel kann dabei sehr verschieden sein und ist vom Spielstil der Runde abhängig.

Ein feuchtfröhlicher Abend kann auch im Pen-and-Paper eine witzige Sache sein… © Gorodenkoff

In einer lockeren Runde mag es sich um ein sehr unterhaltsames Motiv handeln: Ein ilmenblattsüchtiger DSA-Charakter, der stets etwas berauscht und beglückt ist, kann durchaus witzig sein, ebenso wie der*die Krieger*in, der*die nach dem achten Bier etwas zu überzeugt von der eigenen Anziehungskraft auf das Objekt der Begierde ist. Vielleicht ist ein Elf nach einem halben Glas Wein bereits vollkommen betrunken oder den Charakteren wurde eine euphorisierende Substanz eingeflößt, die alle mehr als nur ein wenig aufheitert. Auch wenn dies in den Bereich der Schadenfreude zählt, ist betrunkenes oder allgemein berauschtes Verhalten gelegentlich einfach unterhaltsam. Man denke an zahlreiche Filmszenen oder gar gesamte Filme, in denen Drogen und Drogenrausch Anlass für Gags sind. Beispiele wären hier The Big Lebowski, Hangover, Ey Mann, wo is’ mein Auto? oder sturzbetrunkene römische Legionäre in Asterix bei den Briten.

… kann aber auch unschöne Folgen haben. © ArturVerkhovetskiy

Dahingegen ist die grausame Realität der Abhängigkeit, die Folgen der Sucht, der körperliche, geistige und soziale Verfall, keinesfalls lustig. Das bedeutet aber nicht, dass sie als Thematik nicht interessant sein kann: Abhängigkeit ist Teil der meisten Gesellschaften und kann in realistischen Szenarien nicht geleugnet werden. Orte der Sucht, namentlich Opiumhöhlen, billige Kaschemmen, exzessive Feierlichkeiten oder verkommene Stadtviertel, können ein düsteres und beklemmendes Element in Horrorszenarien sein. Das gleiche gilt für der Sucht verfallene oder in die Abhängigkeit abgleitende Charaktere. Der Verfall eines Menschen und einer Gesellschaft ist ein klassisches Element fatalistischer wie realistischer Gesellschaftsmodelle. Viele entsprechende Charaktere, wie der*die jähzornige Säufer*in, der*die apathische Abhängige oder der aufgedrehte Junkie haben es zu oft verwendeten Stereotypen geschafft.

Hier zeigt sich der Stellenwert des jeweiligen Abenteuers oder der Spielwelt: Der Konsum und die Abhängigkeit von Rauschmitteln ist wie vieles andere auch ein Element zur Weltgestaltung – meistens ein unabdingbares, handelt es sich doch um eine Konstante der meisten Gesellschaften. Ob, wie und in welchem Maße es eingesetzt wird, obliegt der Spielleitung beziehungsweise der gesamten Spielgruppe und deren Vision.

Junkies, Irre und arme Seelen – Vorschläge für abhängige NSC

Selbstverständlich müssen es nicht unbedingt die SC sein, die der Sucht verfallen. Auch NSC können abhängig sein und damit Ansätze für das Rollenspiel bieten.

Vielleicht kennt ein abhängiger NSC besondere Orte oder andere NSC der kriminellen Unterwelt, die die Charaktere suchen. Am Ende benötigen sie eine bestimmte Droge, an die sie nicht ohne weiteres herankommen. Vielleicht ist der NSC ein Voodoo-Priester oder Schamane, der durch den Konsum empfänglich für Eingebungen der Geister ist. Möglicherweise bauen die SC Sympathien für einen abhängigen NSC auf oder ein Freund der Gruppe gleitet freiwillig oder unfreiwillig in die Sucht ab. Ziel der SC könnte es sein, diesen Freund wieder ‚zurückzuholen‘. Vielleicht gibt es für die Abhängigkeit des scheinbar stets gut gelaunten Säufers einen tieferen, tragischen Grund, den die SC herausfinden und ihm dann helfen können.

Abhängige können auch als Antagonist*innen der SC fungieren. Verfügt der*die mächtige Gegner*in nur aufgrund eines bestimmten Mittelchens über übermenschliche Fähigkeiten? Ist ein Unterweltboss aufgrund einer Abhängigkeit vollkommen unberechenbar? Kontrolliert eine üble Kreatur andere Lebewesen, indem sie ihnen eine Droge verabreicht? Die Möglichkeiten sind mannigfaltig.

Ein übler Trip – Ideen für Szenarien

Jenseits des bekannten ‚Wir heben einen Drogenring aus‘-Szenarios können Rauschmittel auch kreative Ansätze für andere Abenteuer bieten. Hier zwei von vielen möglichen Vorschlägen, knapp skizziert:

Ohne es zu merken, werden die Charaktere einer Droge ausgesetzt. Was folgt, kann ein intensiver, aber unbewusster Trip sein, der das Abenteuer darstellt. Sie werden vermeintlich verfolgt, gehen scheinbaren Hinweisen nach und machen seltsame Begegnungen, die sich erst im Nachhinein als Halluzination herausstellen. Es kann sich dabei ebenso um einen Horror-Trip, wie um ein skurril-witziges Abenteuer handeln.

Unter Umständen müssen sich die Charaktere auch einer unfreiwilligen Abhängigkeit stellen – dies ist jedoch ein möglicherweise sehr sensibles Szenario.

Vorschlag Nr.2: Ein ganzer Ort richtet sich nach den Prophezeiungen eines Mediums aus, das immer wieder wirre Aussagen von sich gibt und die Ortschaft somit sukzessive ruiniert. Die Charaktere finden heraus, dass das Medium einer Droge (zum Beispiel einem Gas) ausgesetzt ist und lediglich halluziniert – man denke hier an das Orakel von Delphi. Sie müssen die abergläubische Bevölkerung davon überzeugen, sich von der unglücklichen Tradition zu lösen. Vielleicht gibt ihnen das Medium zuletzt gar eine zutreffende Prophezeiung mit auf den Weg.

Wenn der Stoff interessanter wird als die Quest – einen abhängigen Charakter spielen

Das Spielen eines abhängigen Charakters birgt die Gefahr, früher oder später in die Unspielbarkeit abzugleiten. Ein*e Shadowrunner*in, der*die sich nur noch für BTLs und nicht mehr für die Realität interessiert, ist auf lange Sicht ebenso wenig bereichernd für das Spiel wie ein*e komplett apathische Trinker*in. Das heißt nicht, dass es nicht interessant sein kann, entsprechende Charaktere zu spielen. Der Abstieg in die Sucht und/oder der Weg hinaus können äußerst packende Spielelemente sein.

Abhängige Charaktere fallen oft tief. © evgenyataman

Zu jeder Zeit sollten sich Spieler*innen und Spielleitung jedoch über die Ausgestaltung dieser Thematik einig sein. Wie schnell tritt eine Abhängigkeit auf? Was sind deren Konsequenzen? Gibt es einen Weg hinaus? Das sind Fragen, die sich zumindest die Spielleitung stellen muss. In ihrer Hand liegt es auch, Spieler*innen klarzumachen: „Du begibst dich hier in Gefahr. Willst du das wirklich konsumieren?“, so wie es immer Indizien für bestehende Risiken geben sollte. Ist das Szenario entsprechend ernsthaft angelegt und Rausch nicht nur ein komisches Element, muss beim Spiel eines abhängigen Charakters stets klar sein, dass ein stark süchtiger oder, wie es in Shadowrun heißt, „ausgebrannter“ Charakter kaum noch spielbar ist.

Abschließende Worte

Rauschmittel und Sucht sind ein unabdingbares Moment vieler Pen-and-Paper-Rollenspiele. Die Ansätze, sei es rollenspielerisch oder regeltechnisch, sind dabei absolut abhängig von Weltentwurf und System. Auch das Spiel eines abhängigen Charakters kann schwierig sein. In jedem Fall handelt es sich um eine äußerst lohnende Thematik, die die Möglichkeit bietet, gesellschaftliche und soziale Abgründe auszuloten – gesetzt den Fall, die Spielgruppe ist interessiert an diesen Abgründen.

Genau hier setzt auch die abschließende Bemerkung an: Wie bei allen anderen potenziell sensiblen Themenfeldern, die die Lebensrealität mancher Menschen direkt treffen, ist es unabdingbar, dass die Gruppe übereinkommt, inwiefern es für sie in Ordnung ist, sie zu thematisieren. Damit soll nicht gesagt werden, dass jedes Themengebiet einzeln abgegrast und vorab besprochen werden muss – das wäre kaum möglich und aus Spaß würde Bürokratie und Kontrollwahn. Es heißt, dass der Umgang mit solchen Problemfeldern die Aufgeschlossenheit aller Gruppenmitglieder gegenüber und den Respekt vor den Grenzen der anderen voraussetzt. Stets muss es klar sein, dass jede*r jederzeit Einspruch erheben kann, wenn etwas deutlich unangenehm oder zu persönlich belastend wird. Zu diesem Zweck kann die Spielleitung beispielsweise vor Beginn der Runde fragen, ob es Inhalte gibt, die vermieden werden sollten.

Pen-and-Paper ist ein Hobby, das nicht nur den Weg in fantastische Welten eröffnen, sondern auch auf dem Spiel mit realen Elementen und zwischenmenschlichen wie gesellschaftlichen Problemen basieren kann. Dabei kann es sein, dass man sich Themenfeldern annähert, die sensibel oder problematisch sind, wie zum Beispiel auch psychische Erkrankungen im Rollenspiel. Diese Annäherung sollte behutsam und im Einklang mit den Bedürfnissen aller Spieler*innen erfolgen. Diese Themenblöcke allerdings vollkommen auszusparen, hieße das Pen-and-Paper einer wichtigen Dimension zu berauben.

Artikelbilder: © kithara, © SergIllin, © nejron, © nilaya, © Gorodenkoff, © ArturVerkhovetskiy, © evgenyataman | depositphotos.com
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Alexa Kasparek

1 Kommentar

  1. Ich halte wenig von Sucht als Spielelement – selbst einen süchtigen Charakter zu spielen mag Spaß machen, als Mitspieler finde ich es aber einfach nur anstrengend und nervig, mit dem süchtigen Charakter zu interagieren. Als NSC, klar – der ist ja nicht ständig präsent. Drogen ohne dauerhafte Sucht kann ich mir auch vorstellen, das Halluzinations-Abenteuer finde ich eine super Idee … aber bitte keine süchtigen Charaktere.

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