Der Top-ClubDie vier besten Rennräder in TOUR-Tests 2022

Julian Schultz

 · 31.12.2022

Um im TOUR-Test die Bestnote abzuräumen, darf sich ein Rennrad in keiner Disziplin eine Schwäche erlauben
Foto: Skyshot/Greber
Erstmals in der Geschichte von TOUR stehen aktuell gleich vier Wettkampfmodelle gleichzeitig an der Spitze der besten Rennräder der Welt. Canyon Aeroad, Giant Propel, Scott Foil und Specialized Tarmac verdienen sich durch Top-Leistungen in den vier wichtigsten Kriterien die derzeitige Bestnote 1,4.

Eins Komma vier! Viele Hersteller streben nach ihr, doch nur die wenigsten erreichen sie. Die Rede ist von der besten Gesamtnote, die TOUR bislang für ein Rennrad vergeben hat. Im aktuellen Bewertungssystem, das seit fast sieben Jahren gültig ist und die erlebbaren Fahreigenschaften abbildet, gelang dies überhaupt erst acht Rädern. Gemessen an der Gesamtzahl an Testrädern in diesem Zeitraum, entspricht das nicht einmal einem Prozent.


Die 4 besten Rennräder im TOUR-Test 2022


Dieser Bruchteil erklärt sich mit den hohen Anforderungen, die wir an ein aerodynamisches Wettkampfrad stellen. Doch nicht nur wir: Schließlich genießt unser Testverfahren in der Branche hohes Ansehen und setzt nach wie vor in den wichtigen Disziplinen Aerodynamik, Steifigkeit und Komfort Maßstäbe, an denen sich ein modernes Rennrad messen lassen muss. Nur wem es gelingt, diese Parameter bestmöglich in einem Fahrzeug zu vereinen, kann sich am Ende die Bestnote 1,4 sichern.

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Gehört zum Top-Club, Canyon Aeroad CFR Disc MVDPFoto: Skyshot/GreberGehört zum Top-Club, Canyon Aeroad CFR Disc MVDP

Stetige Weiterentwicklung

Aktuell stehen gleich vier Räder an der Spitze. Das Canyon Aeroad und Specialized Tarmac, die als erste Rennmaschinen mit Scheibenbremsen die Spitzenplatzierung abräumten, erhielten in diesem Jahr Konkurrenz durch Giant Propel und Scott Foil. Der elitäre Club zeigt auch, aus welchen Richtungen sich die Entwicklungsabteilungen der Hersteller auf das gemeinsame Ziel des besten Wettkampfrenners zubewegen. Die einen versuchen, ihr betont aerodynamisches Rad leichter zu machen, damit es nicht nur in der Ebene schnell ist, sondern auch am Berg mithalten kann.

Aktuellstes Beispiel ist das Scott Foil RC Ultimate. Obwohl Scott das neue UCI-Reglement ausreizt und einen extrem flächigen Rahmen entwickelte, wiegt das Rad, das für die Testgeschwindigkeit von 45 km/h im Windkanal lediglich 206 Watt benötigt, nur 7,2 Kilogramm. Auch Giants brandneues Propel Advanced SL folgt dieser Idee; das Rad behielt seine gute Aerodynamik von 209 Watt für 45 km/h, das Gewicht konnten die Taiwaner aber auf 6,8 Kilogramm drücken.

Um im TOUR-Test die Bestnote abzuräumen, darf sich ein Rennrad in keiner Disziplin eine Schwäche erlauben | nFoto: Skyshot/GreberUm im TOUR-Test die Bestnote abzuräumen, darf sich ein Rennrad in keiner Disziplin eine Schwäche erlauben | n

Andere Konstrukteure arbeiten daran, ihre leichten Allrounder aerodynamisch besser zu machen. Stilbildendes Beispiel ist das S-Works Tarmac SL 7, immer unter 7 Kilo leicht, und in der aktuellen Entwicklungsstufe bei 210 Watt notwendiger Tretleistung für 45 km/h angelangt. Insgesamt bleibt zu konstatieren, dass die TOUR-Spitzenreiter mit leicht verschobenen Stärken und Schwächen bei Gewicht und Aerodynamik zeigen, was technisch derzeit möglich ist.

Natürlich gibt es leichtere Räder, die das UCI-Gewichtslimit unterbieten, sowie Aero-Spezialisten, die unter der prestigeträchtigen Marke von 200 Watt bleiben, in diesem Testjahr beispielsweise das Giant TCR Advanced SL (6,6 Kilo) oder das Simplon Pride II (199 Watt). Doch die Besten in einzelnen Disziplinen fallen in einer der anderen Kategorien geringfügig ab und verpassen um ein paar Zehntel die aktuelle Bestnote von 1,4.

Gehört zum Top-Club, Giant Propel Advanced SLFoto: Kerstin LeichtGehört zum Top-Club, Giant Propel Advanced SL

Neben diesen Kerntugenden eines Wettkampfrenners erfährt der Komfort zunehmend mehr Aufmerksamkeit; auch austrainierte Rennfahrer profitieren davon, wenn ein federndes und dämpfendes Rad Kräfte und Kondition schont. Zwar sind alle vier Boliden immer noch astreine Wettkampfrenner, Sitzposition oder Sattelüberhöhung fallen teilweise extrem sportlich aus.

Die Zeiten, in denen ein Race-Modell bretthart über den Asphalt donnerte, sind aber vorbei. Vielmehr überrascht das Quartett mit Rahmenkomfort, wie ihn nicht einmal alle ausgewiesenen Marathon-Rennräder bieten. Speziell das Scott ragt heraus, an der exzellenten Federung am Sattel müssen sich ebenbürtige Aero-Renner künftig messen lassen.

Bei den Steifigkeitswerten für Tretlager, Lenkkopf und Gabel, die insgesamt 25 Prozent der Gesamtnote ausmachen, räumt das Quartett ebenfalls Top-Ergebnisse ab. Einzig das Canyon fällt bei der Gabelsteifigkeit etwas ab, wenn auch nur in der Note; in der Fahrpraxis spielt das keine Rolle. Würden die Koblenzer weitere Anstrengung darauf verwenden, das Rad leichter zu machen, käme das Aerorad CFR sehr nahe an die neue Bestnote von 1,3 heran.

Gehört zum Top-Club, Specialized S-Works Tarmac SL7Foto: Skyshot/GreberGehört zum Top-Club, Specialized S-Works Tarmac SL7

Beste Rennräder - Großer Haken!

Der Haken an unseren Testbesten ist: der Preis. Die Hersteller lassen sich die Entwicklungskosten, die ein modernes Aero-Rennrad beansprucht und die allein aufgrund der aufwendigen Messungen im Windkanal um ein Vielfaches höher sind als bei einem Marathonrad oder Gravelbike, entsprechend bezahlen. Krisenbedingte Teuerungen sowie der Einsatz edelster Komponenten treiben die Preise zusätzlich in die Höhe.

Bis auf das Canyon weisen alle Modelle ein Preisschild im fünfstelligen Bereich aus. Nicht übersehen sollte man: Der Wettstreit um die Bestnote im TOUR-Test wird inzwischen über kleinste Nuancen und Zehntelstellen hinterm Komma entschieden. Und Fahrspaß gibt es auch für weniger Geld, denn alle Hersteller bieten von ihren High-End-Rennern auch preiswertere Ableger an.

Gehört zum Top-Club, Scott Foil RC UltimateFoto: Skyshot/GreberGehört zum Top-Club, Scott Foil RC Ultimate

Können Rennräder 1,0 im TOUR-Test erreichen?

Die TOUR-Notenskala orientiert sich am technisch Möglichen und Sinnvollen. So vergeben wir die Note 1,0 fürs Gewicht, wenn das Rad fahrfertig (inklusive Pedale) das UCI-Limit von 6,8 Kilogramm erreicht. Ein noch leichteres Rad bekommt keine bessere Note. Ähnlich bei den Kriterien Steifigkeit und Komfort, hier ist das technisch Sinnvolle der Maßstab; so ist es nicht erstrebenswert, ein Rennrad unendlich steif zu machen; die Note 1,0 ist in dieser Disziplin erreichbar, die Werte sind aber gedeckelt. Die Gesamtnote 1,0 für ein Rad ist theoretisch möglich; da aber einzelne Kriterien - zum Beispiel Gewicht und Aerodynamik - konstruktiv gegenläufige Maßnahmen erfordern, bleibt die Herausforderung hoch.

Mit dem Aufkommen von Elektroschaltungen und Scheibenbremsen haben wir unsere Notenskala angepasst, um den technischen Fortschritt zu berücksichtigen. Das gilt beispielsweise auch für aktuelle Reifen mit besseren technischen Eigenschaften. Die derzeitige Bestnote von 1,4 lässt sich daher mit älteren Rennrädern, die diese Note mit Felgenbremsen und mechanischen Schaltungen erzielt haben, nicht mehr vergleichen.

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