27.12.2023 - 18:58 | Quelle: Transfermarkt | Lesedauer: unter 6 Min.
Ruanda
Torsten Spittler
Weltenbummler im Interview 

Ruanda-Coach Spittler mit ersten Erfolgen: „Habe die Skepsis mir gegenüber gespürt“

Ruanda-Coach Spittler mit ersten Erfolgen: „Habe die Skepsis gespürt“
©Transfermarkt/Privat

Deutsche Trainer als Nationalcoach von Ruanda haben Tradition. Nach Otto Pfister, Rudi GutendorfMichael Nees und Antoine Hey hat vor einigen Wochen mit Torsten Spittler erneut einer das Amt übernommen – und erste Achtungserfolge erzielt. Für den Weltenbummler ist Ruanda das 15. Land, in dem er im Fußball tätig ist. Bei Transfermarkt erzählt der 62-Jährige von seiner Arbeit in Ruanda, und was der FC Bayern damit zu tun.


Mitarbeiter
Torsten Spittler
T. Spittler Alter: 62
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Der Fußball in Ruanda ist in den vergangenen Jahren kaum vorangekommen. Letztmalig konnte sich die Nationalmannschaft 2004 für die Afrikameisterschaft qualifizieren. Vor dem Amtsantritt von Spittler lag das Land auf Platz 140 in der FIFA-Weltrangliste. Dann meldete sich der Verband beim FC Bayern, mit dem das ruandischen Sportministerium in diesem Jahr eine Kooperation abgeschlossen hat. „Ich habe im vergangenen Jahr bei zwei Auslandscamps für die Bayern unterstützend mitgeholfen“, erklärt Spittler. „Über die Jahre war bereits eine gute Beziehung mit den Verantwortlichen entstanden. Der Verband ist vor wenigen Monaten auf den Verein zugekommen, mit der Frage, ob sie einen deutschen Trainer kennen, der für die Stelle als Nationaltrainer in Frage kommen könnte. Nach wenigen Gesprächen war für mich klar, das will ich unbedingt machen.“



Zwar sei Ruanda „ein Fußball-Entwicklungsland“, sagt Spittler. „Jedoch hat der Verband erkannt, dass sich etwas ändern muss und soll. Das Wichtigste ist hierbei aber nicht nur die Nationalmannschaft, sondern auch der Jugendbereich und die Trainerausbildung. Die sportliche Zukunft des Landes steht und fällt über diese beiden Themen. Die Talente können so gut sein, wie sie wollen, ohne ein gutes Training und eine entsprechende Förderung fallen sie durch das Raster.“


Spittler über Fußball in Ruanda und gefälschte Altersangaben


Als eines der größten Probleme im Jugendbereich sieht der Fachmann die Altersmanipulation. „Obwohl ich erst wenige Wochen in Ruanda bin, habe ich schon einiges an Geschichten mitbekommen. Teilweise werden von den Eltern falsche Altersangaben gemacht, um den Kindern die Chance zu ermöglichen, in eine Fußballschule zu kommen, denn der Fußball bietet die Möglichkeit auf ein besseres Leben“, erklärt Spittler.


Ruanda-Coach Spittler mit Bienvenu Mugenzi und Djihad Bizimana


Mit dem Schritt nach Ruanda wollte Spittler seine Grenzen weiter ausloten und seine Komfortzone erneut verschieben. Er sagt: „Mein Antrieb ist die Neugier. Ich war schon immer offen für das Neue. Ich liebe es, neue Sprachen, neue Kulturen, neue Mentalitäten kennenzulernen. In Afrika musst du die Flexibilität leben. Es kann leicht sein, dass ein Regenschauer dafür sorgt, dass der gesamte Verkehr stillgelegt wird und du erstmal Stunden im Stau stehst. Es kann sein, dass du eigentlich Termine hast und dein Terminpartner zu spät oder gar nicht kommt. Ich erlebe derzeit in Ruanda, dass der Strom mehrfach ausfällt. Das sind Situationen, die du als normal akzeptieren musst.“



Vor wenigen Wochen ist Ruanda mit Spittler in die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2026 gestartet und kann dabei auf zwei positive Ergebnisse zurückblicken. Nach dem 0:0 gegen Simbabwe folgte ein Überraschungserfolg gegen Südafrika. Mit 2:0 besiegte Ruanda den haushohen Favoriten. Spittler konnte seine Kritiker damit besänftigen. „Von der ersten Pressekonferenz an habe ich die Kritik und die Skepsis mir gegenüber gespürt. Viele Medienvertreter und Fans hätten gerne einen großen Namen auf der Trainerbank gesehen. Aber ganz wertneutral: Zu Ruanda passt kein großer Name. Hier passt jemand her, der bereit ist, jede einzelne Entwicklungsstufe mitzugehen“, sagt Spittler.


Erste Achtungserfolge für Spittler in Ruanda: Stärke im Teamgeist 


Aufgrund der Erfolge in den ersten beiden WM-Qualifikationsspielen herrscht derzeit auch eine große Euphorie und so träumen schon viele von einer Teilnahme an der WM 2026. Doch die Qualifikationsgruppe hat es in sich: Neben Simbabwe und Südafrika gehören Lesotho, Benin und Nigeria zu den weiteren Gruppengegnern. „Natürlich kann ich niemandem verbieten, von der Teilnahme an der WM zu träumen. Jedoch ist es bis dahin ein langer, ein ganz langer Weg“, betont Spittler. „Und die kommenden Gegner sind gespickt mit starken Individualspielern. Ich nenne da nur als Beispiel Nigeria, deren Kader unfassbar starke Einzelspieler besitzt. Da wir auf dieser Ebene nicht mithalten können, sollte unsere Stärke ganz auf dem Teamgeist und der Mannschaftsleistung liegen. Wir haben in den Partien gegen Simbabwe und Südafrika gezeigt, was mit der richtigen Einstellung alles möglich ist.“


Insbesondere zwei Spielern aus seinem Team traut Spittler einen größeren Sprung zu. „Emmanuel Imanishimwe und Ange Mutsinzi sind zwei interessante Spieler mit Potenzial. Das Problem ist natürlich in manchen Ländern die Ausländerregel, sodass man nicht sofort auf einen ruandischen Nationalspieler setzt. Generell können wir mit guten Ergebnissen dafür sorgen, dass die mediale Aufmerksamkeit für unsere Nationalmannschaft größer wird und so weitere Spieler in den Fokus geraten.“


Marktwert
Emmanuel Imanishimwe
E. Imanishimwe Linker Verteidiger
700 Tsd. €


Für die Zukunft hat Spittler eine klare Idee davon, wie sein Team auftreten und welche Philosophie es verfolgen soll. Er möchte, dass der Spitzname der Nationalmannschaft zum Programm wird: „Amavubi“ heißt übersetzt „Die Wespen“. „In den letzten Jahren war die Devise von Ruanda: Hinten reinstellen und vorne auf das Glück hoffen. Davon will ich weg. Ich will, dass sich die Spieler nicht mehr verstecken. Ich möchte, dass die Jungs bewusst Chancen kreieren, dass die Jungs Tore erzwingen“, so Spittler.


Spittler: „Sieg gegen Südafrika hat unglaubliche Freude ausbrechen lassen“


Der Augsburger weiß zudem, welche Bedeutung der Fußball und vor allem die Nationalmannschaft in der Bevölkerung haben. Obwohl innerhalb des Landes und insbesondere dank der Hauptstadt Kigali in den letzten Jahren ein starkes Wirtschaftswachstum zu verzeichnen ist, leiden über 50 Prozent der Menschen an Armut. „Der Fußball und speziell die Nationalmannschaft genießen einen extrem hohen Stellenwert. Man hat mir erzählt, dass die Fans seit Jahren über die Nationalmannschaft schimpfen und diese sogar als Trauerspiel bezeichnet haben. Der Sieg gegen Südafrika hat eine unglaubliche Freude ausbrechen lassen. Für viele Menschen ist der Alltag mit Kampf und Überleben verbunden. Ich habe mitbekommen, dass die Leute durch das Ergebnis wieder Energie für ihr eigenes Leben schöpfen. Eines der schönsten Erlebnisse war der Moment, als jemand auf mich zukam und sagte: ‚Coach, vielen lieben Dank für dieses verfrühte Weihnachtsgeschenk, das hat unser Land gebraucht.‘“


Während sich viele Trainer ausschließlich auf den Sport konzentrieren, gehört Spittler zu den Menschen, die sich für die Vielfalt des jeweiligen Landes interessieren. Besonders die Hauptstadt hat es ihm angetan. Spittler erklärt: „Kigali hat mich vom ersten Tag an begeistert. Es wird nicht umsonst als afrikanisches Singapur bezeichnet. Was mich besonders beeindruckt: Jeden letzten Samstag im Monat sind alle Geschäfte bis mittags zu und alle sammeln gemeinsam Müll. Ein großer Wunsch von mir ist, demnächst die Naturparks anzuschauen. Ich habe jetzt schon erkennen können, welche Artenvielfalt dieses Land zu bieten hat.“



Aufgrund seiner verschiedenen Auslandserfahrungen gepaart mit der Lebenserfahrung hat Spittler begonnen, sich wichtige Fragen zu stellen. Wie will ich eigentlich leben und arbeiten? Was heißt Arbeit für mich? Was bedeutet Erfolg für mich persönlich? Alle Antworten laufen auf dasselbe hinaus: innere Zufriedenheit. „Wenn ich eine Sache all die Jahre gelernt habe, dann, mit dem zufrieden zu sein, was man hat“, meint Spittler. „Ich durfte in Ländern leben, die bei weitem nicht den Standard haben, den wir in Deutschland immer verlangen, und trotzdem waren die Menschen glücklich. Das Wichtigste im Leben ist, Dankbarkeit für die kleinen Dinge zu entwickeln.“


Interview von Henrik Stadnischenko

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Letzte Beiträge Newsforum

Sciller FSV Friedrichshaller SV Sciller 28.12.2023 - 15:31
Zitat von Homerbundy
Das sind die Artikel die Transfermarkt ausmachen. Hört nie damit auf.


So ist es. Toller Artikel, vielen Dank dafür und weiter so!
default.jpg 28.12.2023 - 01:03
Das sind die Artikel die Transfermarkt ausmachen. Hört nie damit auf.
Berlin_Mag Eintracht Mahlsdorf Berlin_Mag 27.12.2023 - 20:45
Vielen Dank für das gut geführte Interview! Es ist immer wieder interessant etwas über den Fußball und die Begleitumstände in anderen Ländern zu erfahren. Mir gefällt, dass Torsten Spittler so offen über Dinge wie die Altersmanipulation spricht. Das Müllsammeln ein Mal im Monat halte ich für eine großartige Idee, die man auch für deutsche Innenstädte in Erwägung ziehen sollte. Zumindest hier in Berlin könnte man es gebrauchen.
Wer „Torsten Spittler“ und „Blaue Couch“ googelt hat die Möglichkeit etwas über seine Arbeit im Butan zu erfahren. Fand ich persönlich sehr bereichernd.