Reaktion und Aushärtung von Schlauchlinerharzen

02.06.2020

Abbildung 1: Das elektromagnetische Spektrum [1] [Quelle: SBKS GmbH & Co. KG]

1. Grundlagen Polymerisation
Ich bin von der Wissenschaft tief beeindruckt.
Ohne sie gäbe es nicht all diese wunderbaren Dinge,

mit denen wir uns heute herumschlagen dürfen.

(Sidney Harris, amerik. Wissenschafts-Karikaturist)

1.1. Polymerisationstypen

Kunststoffe stellen chemisch gesehen langkettige Molekülverbindungen dar (Polymere). Diese entstehen durch die Aneinanderreihung (Polymerisation) einzelner Molekülbausteine (Monomere). Dabei wird zwischen einer Stufenwachstumsreaktion (Polyaddition, Polykondensation) und einer Kettenwachstumsreaktion (radikalische, kationische und anionische Polymerisation) unterschieden.

Bei der Polyaddition verknüpfen sich reaktive Moleküle unterschiedlicher Funktionalitäten miteinander, dadurch kommt es zu einem fortschreitenden Stufenwachstum. Als klassische Beispiele sind die Reaktionen zwischen Isocyanaten und Alkoholen (Polyurethan) oder Epoxiden und Aminen (Epoxidharz) zu nennen.

A+B ABn

Gl. 1

Gl.1

 

Auch bei der Polykondensation wächst die Polymerkette stufenweise durch Verknüpfung reaktiver Monomere unterschiedlicher Funktionalitäten – jedoch unter Freisetzung eines kurzkettigen Spaltproduktes (z. B. Wasser, Ammoniak oder Kohlenstoffdioxid). Als Beispiele dienen die Reaktionen zwischen Carbonsäuren und Alkoholen (Polyester) oder Carbonsäuren und Aminen (Polyamide).

A+B ABn + n-1 H2O
Gl.2

 

In beiden Fällen endet das Stufenwachstum erst durch den vollständigen Abbau der beiden Monomertypen.

Bei der (Ketten-)Polymerisation hingegen existiert als Monomer nur eine reaktive Molekültype, meist ungesättigte Monomere. Die Reaktion wird durch den Zerfall eines Initiators (Gl. 3) und der Reaktion mit einem Monomer in Gang gesetzt (Gl. 4). Das Kettenwachstum erfolgt radikalisch, anionisch oder kationisch durch die wiederholte Anlagerung von Monomeren an die reaktive Spezies (Gl. 5). Typische Vertreter sind aus Alkenen entstandene Polyolefine (z. B. Polyethylen). Das Kettenwachstum endet irreversibel durch die Rekombination (Gl. 6) oder Disproportionierung (Gl. 7) zweier, reaktiver Spezies (Kettenabbruch).

Start
R-R +hνT  2 R·
Gl.3
Wachstum
R· + H2C=CH2  H2RC-C·H2
Gl.4
 
H2RC-C·H2+H2C=CH2 H2RC-CH2-CH2-C·H2
Gl.5
Rekombination
2 H2RC-C·H2H2RC-CH2-CH2-CRH2
Gl.6
Disproportionierung  
2 H2RC-C·H2H2RC=CH2 + H2RC-CH3
Gl.7
 
1.2. Quervernetzung ungesättigter Polyester mit Styrol

Ungesättigte Polyester entstehen aus der Polykondensation zwischen ungesättigten Carbonsäuren oder Carbonsäureanhydriden mit Alkoholen unter Freisetzung von Wasser. Die linearen Polymere werden in Reaktivverdünnern (z. B. Styrol) gelöst und so im flüssigen Zustand verarbeitet (Imprägnierung). Die Zugabe von Inhibitoren dient der Lagerstabilität, die Zugabe von Initiatoren und/oder Beschleunigern setzt unter Energiezufuhr (Wärme und/oder UV-Licht) die radikalische Quervernetzung (Polymerisation) von ungesättigtem Polyester und Styrol zum festen, duroplastischen Kunststoff in Gang.

1.3. Initiatoren

Als Initiatoren dienen für gewöhnlich photo- oder wärmeinstabile Moleküle wie Peroxide, Azo- oder Azinverbindungen. Typische peroxidische Initiatoren sind Dibenzoylperoxid (DBPO), Methylethylketonperxoid (MEKP) oder Di-tert-butylperoxid (DTBP). Diese zerfallen bei definierter Wellenlänge oder durch Wärmeeinfluss in Radikale (Gl. 8) und initiieren so die radikalische Polymerisation.

Ph-COO-OOC-Ph + hνT  2 Ph-COO· 2 Ph· +2 CO2

Ph = Phenyl

Gl.8
 
2. Elektromagnetische Strahlung
Nie bekümmert es die Sonne, dass einige ihrer Strahlen
weit und vergeblich in undankbaren Raum fallen

und nur ein kleiner Teil auf den reflektierenden Planeten.

(Ralph Waldo Emerson, amerik. Philosoph)

2.1. Grundlagen

Elektromagnetische Strahlung wird durch eine Frequenz ν [Hz] oder Wellenlänge λ [m] beschrieben, welche durch die Lichtgeschwindigkeit c (2,99·108 m/s) gemäß Gl. 9 proportional zueinander verknüpft sind.

ν=cλ
Gl.9

Das elektromagnetische Spektrum erstreckt sich über Wellenlängenbereiche von wenigen Femtometern (10-15 m, z. B. Höhenstrahlung) bis über Kilometer (103 m, z. B. Mittelwelle) hinaus. Die für photosensitive Harze wichtigen Wellenlängen (UV, VIS, IR) bewegen sich im Nanometerbereich (10-9 m).

Elektromagnetische Wellen (Licht) stellen nicht nur Photonen (= Wellen) dar, sondern ebenso Partikel (= Teilchen). Dies hat zur Folge, dass Licht dem Welle-Teilchen-Dualismus folgt. Die Energie E des Lichtes errechnet sich in linearer Abhängigkeit aus dem Planck’schen Wirkungsquantum h (6,63·10-34 J·s), sowie der Frequenz ν (Gl. 10). Dies führt zu einer reziproken Verknüpfung der Energie E mit der Wellenlänge λ (Gl. 11).

E=h · ν
Gl.10
E=h · cλ
Gl.11

 

Daraus ergibt sich, dass die Energie E des Lichtes mit zunehmender Frequenz ν bzw. abnehmender Wellenlänge λ ansteigt. Die Energie E dient der Spaltung des Photoinitiators.

2.2. Eindringtiefe

Die fortschreitende Bewegung von Licht ist jedoch nur im luftfreien Raum (Vakuum) uneingeschränkt möglich. Trifft ein elektromagnetischer Strahl auf ein Medium, kommt es zur Absorption des Lichtes durch den Übertrag der Energie auf die Materie. Das Lambert-Beer’sche Gesetz beschreibt die Extinktion Eλ (Absorbanz) bei spezifischer Wellenlänge in Abhängigkeit des materialspezifischen Extinktionskoeffizient ελ (Absorptionskoeffizient), der Konzentration c sowie der Schichtdicke d (Gl. 12). Daraus lässt sich für definierte Materialien die Eindringtiefe d (Schichtdicke) in das Material errechnen (Gl. 13).

Eλ= log10I0I1 = ελ · c · d
Gl.12
d = log10I0I1ελ · c
Gl.13

 

Dies lässt den Schluss zu, dass die Absorbanz entlang des Weges proportional zunimmt, die Transmission dementsprechend abnimmt. Die UV-Transmissions-Messung einer PE/PA-Folie bei, für die UV-Aushärtung, spezifischen Wellenlängen (340 und 370 nm) zeigt den linearen Zusammenhang. Eine 200 µm dicke Folie absorbiert bereits 40-45 % des Lichtes.

Abbildung 2: Transmission der Wellenlängen 340 und 370 nm in Abhängigkeit der PE/PA-Foliendicke [Quelle: SBKS GmbH & Co. KG]

Ebenso ergibt sich eine Abhängigkeit der Eindringtiefe von der Wellenlänge (bzw. Frequenz) des Lichtes. Kurzwellige Strahlung, wie UV-Licht, besitzt nur eine äußerst geringe Eindringtiefe, verglichen mit langwelligeren, sichtbaren oder infraroten Licht.

Abbildung 3: Eindringtiefe in Abhängigkeit der Wellenlänge [2] [Quelle: SBKS GmbH & Co. KG]

Dies hat zur Folge, dass im UP-Harz enthaltenen Initiatoren nur in den ersten „Schichten“ durch UV-Licht aktiviert werden. Über die restliche Schichtdicke erfolgt die Molekülspaltung mittels reaktionsbedingter, entstehender Wärme (Exothermie) bzw. durch langwelligere Infrarotwärmestrahlung mit höherer Eindringtiefe.

2.3. LED vs. Quecksilber-Dampflampe

Lichtquellen werden durch spezifische Emissionsspektren charakterisiert, welche die Intensität in Abhängigkeit der Wellenlänge beschreiben. Quecksilber-Dampflampen (engl. mercury lamp) besitzen ein Emissionsspektrum, welches neben UV- auch VIS- sowie IR-Anteile enthält und somit zu >50 % Wärmeemission führen. LEDs hingegen emittieren vorzugsweise spezifische Wellenlängen im UV-Bereich (z. B. 365 oder 395 nm) ohne IR-Anteile und strahlen dementsprechend keine Wärme aus, was ferner zu einem niedrigeren Energieverbrauch führt. [3, S. 11ff], [4]

Abbildung 4: Wellenlängen-Intensitäts-Spektrum von Quecksilber-Dampflampe und UV-LED [5] [Quelle: SBKS GmbH & Co. KG]

Diese Eigenschaft führt dazu, dass LEDs lediglich in den ersten Harzschichten zu einer Spaltung der UV-Initiatoren führen, jedoch keinerlei Auswirkung auf die vollständige Schichtdicke besitzen. Quecksilber-Dampflampen hingegen bringen den Vorteil eines breiter gefächerten Emissionsspektrums mit sich, was zu einer vorteilhaften Erwärmung des Materials durch IR-Strahlung führt.

2.4. Dielektrische Analyse (DEA)

Es gibt einige Methoden den Aushärtegrad eines duroplastischen Materials zu bestimmen, wie die DSC, die DMA, optische Methoden oder die dielektrische Analyse (DEA). Obwohl DSC und DMA weit verbreitete Methoden sind werden sie nicht für die in-situ Aushärtekontrolle verwendet. Optische Methoden werden, aufgrund der geringen Änderung der optischen Eigenschaften, während der Aushärtung selten verwendet. Deshalb werden dielektrische Messungen häufig für die qualitative Bestimmung des Aushärtegrades von duroplastischen Kompositen eingesetzt. [5]

Die dielektrische Analyse (DEA) ermöglicht die Untersuchung des Aushärteverhaltens reaktiver, duroplastischer Harzsysteme, Verbundwerkstoffe, Klebstoffe oder auch Lacke. Dazu wird das Verhalten der Polymere, die ein Dielektrikum darstellen, in einem elektrischen Wechselfeld beobachtet (Abbildung 5).

Abbildung 5: Verhalten von Dipolen und Ionen im elektrischen Feld [4] [Quelle: SBKS GmbH & Co. KG]

Durch das Anlegen einer Wechselspannung kommt es zur Molekularbewegung, da polare Teilchen innerhalb des Werkstoffs ihre Bewegung dieser Spannung anpassen. Durch die hervorgerufene Molekularbewegung sowie Schwingung kommt es zu einer Dämpfung und Phasenverschiebung der angelegten Wechselspannung (Abbildung 6).

Abbildung 6: Erreger- und Antwortsignal einer DEA-Messung [4] [Quelle: SBKS GmbH & Co. KG]

Die Größenordnung der durch die Spannung verursachten Bewegung und Schwingung, und somit auch der Phasenverschiebung und Dämpfung, ist dabei fast ausschließlich auf den Aushärtegrad des Polymers zurückzuführen.

Abbildung 7: 3D-Mikroskopische Aufnahme DEA Sensors [Quelle: SBKS GmbH & Co. KG]

Dabei wird praktisch ein DEA Sensor (IDEX Sensor der Fa. Netzsch Gerätebau, Selb) in das Harz eingebracht. Dieser Sensor verbleibt während der Aushärtung (und natürlich auch danach!) in dem zu messenden Harzsystem. Bei fortschreitender Polymerisation wird nun die Ionenbeweglichkeit sukzessiv abnehmen, was eine Aussage über den Fortschritt der Aushärtung zulässt. So ist es leicht ersichtlich, dass bei einer Polymerisation, die thermisch oder durch Strahlung (UV) initiiert wird, zunächst ein Ionenviskositätsabfall zu erkennen ist (Abbildung 9). Dieser wird durch die exotherme Reaktion des Systems hervorgerufen und verhält sich prinzipiell analog zum Viskositätsverhalten von Fluiden. Durch die fortschreitende Polymerisation härtet das Material zunehmend aus und behindert somit die Ionen bzw. Dipole in ihrer Bewegungsfreiheit. Dieser Effekt führt dazu, dass die Ionenviskosität zunimmt und sich einem Endwert approximiert. Nachdem ein nahezu konstanter Wert erkennbar ist, kann man von einer weitestgehend vollständigen Aushärtung des Materials und somit dem Ende der Polymerisation ausgehen. [6]

Abbildung 8: Mikroskopische Aufnahme eines DEA (IDEX) Sensors [Quelle: SBKS GmbH & Co. KG]

Der Effekt der nachgelagerten thermischen Aushärtung lässt sich durch geeignete analytische Methodik belegen, wobei die dielektrische Analyse (DEA) hierbei das Mittel der Wahl darstellt. Ein im Praxisversuch an der Außenseite eines UV-Liners platzierter Sensor ermittelt durch ein induziertes, elektrisches Feld den Ionenfluss vor, während und nach der Bestrahlung durch eine UV-Lampe (grüner Balken).

Abbildung 9: Ermittlung der Ionenviskosität an der Liner-Außenseite durch dielektrische Analyse (DEA) [Quelle: SBKS GmbH & Co. KG]

Die kurzzeitige Bestrahlung („Vorbeifahren der UV-Lampe“) lässt sich anhand der entstehenden Peaks bei ca. 100 Minuten erkennen. Ein rapider Temperaturanstieg, bedingt durch freiwerdende Reaktionsenergie sowie infrarote Strahlung, bewirkt erst eine kurzzeitige Senkung der Ionenviskosität. Im Anschluss, nachdem die punktuelle Bestrahlung beendet ist, führt die entstandene Energie nachgelagert zur Quervernetzung und damit messtechnisch zu einem Anstieg der Ionenviskosität.

3. Sauerstoffquenchen
Nicht das Beginnen wird belohnt,

sondern einzig und allein das Durchhalten.

(Katharina von Siena, italienische Mystikerin, geweihte Jungfrau und Kirchenlehrerin)

Abbildung 10: Absterben des Photoinitiators durch Sauerstoffquenchen [7] [Quelle: SBKS GmbH & Co. KG]

Neben der gezielten Wahl der Strahlenquelle zur vollständigen Aushärtung ergibt sich durch in das Harz diffundierenden Sauerstoff aus der Luft ein weiterer Faktor, welcher die Reaktion inhibieren kann. Im durch UV-Licht angeregten, sogenannten Triplettzustand kann der aktivierte Photoinitiator (PI*T1) nicht nur mit dem Monomer, sondern ebenfalls mit molekularem Sauerstoff (O2) reagieren. Durch eine „Käfigreaktion“ ist der Initiator folglich nicht fähig die Polymerisationsreaktion voranzutreiben.

Das Sauerstoffquenchen bewirkt daher eine inhibierte und unvollständige Aushärtung des Harzes. Durch Kettenabbrüche (Disproportionierung, Rekombination) wird der Photoinitiator vollständig „verbraucht“ und das Harz gänzlich unbrauchbar. Mittels sogenannter Scavenger lässt sich in einer Peroxidation Sauerstoff binden und das Quenching teilweise unterbinden.

Literaturverzeichnis

[1] „Wikipedia: Elektromagnetisches Spektrum“. [Online]. Verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Elektromagnetisches_Spektrum. [Zugegriffen: 20-Feb-2020].

[2] E. Ruggiero, S. Alonso-de Castro, A. Habtemariam, und L. Salassa, „Upconverting nanoparticles for the near infrared photoactivation of transition metal complexes: new opportunities and challenges in medicinal inorganic photochemistry“, Dalton Trans., Bd. 45, Nr. 33, S. 13012–13020, 2016, doi: 10.1039/C6DT01428C.

[3] J. P. Fouassier und J. Lalevée, Photoinitiators for Polymer Synthesis: Scope, Reactivity, and Efficiency. Somerset: Wiley, 2013.

[4] S. Knappe, „Vernetzung verfolgen: Optimierte Lackhärtung durch dielektrische und kinetische Analyse“, Farbe und Lacke, S. 18–22.

[5] „UV LED curing - ready for primetime?“ [Online]. Verfügbar unter: https://imieurope.com/inkjet-blog/2016/11/10/uv-led-curing-ready-for-primetime. [Zugegriffen: 20-Feb-2020].

[6] C. Schließl, „Thermische Analyse - Möglichkeiten zur Untersuchung von dentalen Kunststoffen“, Dissertation, Universität Regensburg, 2009.

[7] C. Decker, „Kinetic Study and New Applications of UV Radiation Curing“, Macromol. Rapid Commun., Bd. 23, Nr. 18, S. 1067–1093, Dez. 2002, doi: 10.1002/marc.200290014.

Dr. rer. nat. Jörg Sebastian
Dipl.-Chem.
Geschäftsführer und Inhaber
SBKS GmbH & Co. KG
Herr Dr. Sebastian arbeitet seit 23 Jahren an der Untersuchung und Charakterisierung von duroplastischen Verbundwerkstoffen.  

Dr.-Ing. Mark Kopietz
Dipl.-Chem.
Laborleiter
SBKS GmbH & Co. KG
Herr Dr.-Ing. Kopietz promovierte 2019 zur Entwicklung duroplastischer Matrices für glas- und basaltfaserverstärkte Kunststoffe. Im Januar 2020 übernahm er die Laborleitung der Bereiche „Instrumentelle Analytik“ und „Thermische Analyse“ der SBKS GmbH & Co. KG.

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