Gesundheitssystem

Nach der Wahl ist vor der Reform

Grafik: zwei Wege auf stilisierter Weltkugel, vier Personen stehen vor einem Schilderbaum der verschiedene Richtungen anzeigt, sie gucken sich suchend um
Die neue Regierung muss das Gesundheitssystem an die Veränderungen in der Gesellschaft anpassen.

Auch in der nächsten Legislaturperiode gibt es genügend gesundheitspolitische Herausforderungen. Dabei ist es weniger die den Wahlkampf dominierende Systemfrage, die drängt. Vielmehr sollte die nächste Regierung bei zwei wichtigen Versorgungsfragen ihre Fähigkeit beweisen.

Nicht, dass sie es nicht hätten wissen können, aber sie wollten es eben besser wissen. Vielleicht war es der Übermut des sensationellen Wahlergebnisses, vielleicht die lange Regierungsabstinenz, jedenfalls wischte Philipp Rösler (FDP) die Mahnung beiseite. Seine Vorgängerin Ulla Schmidt (SPD) hatte ihm auf den Weg gegeben: „Es gibt nicht die Reform im Gesundheitswesen, es gibt keinen Big Bang. Ansonsten wäre diese Reform längst beschlossen.“ Das sah Rösler bei seinem Amtsantritt als Bundesgesundheitsminister noch anders. Damals war die FDP ja auch noch davon überzeugt, dass sie das Gesundheitssystem auf Kopfpauschalen umstellen könnte. Nun, weder hat es eine vollständige Umstellung auf die Kopfpauschalen gegeben, noch haben Rösler oder sein Nachfolger Daniel Bahr (FDP) die Reform, den Big Bang, realisiert.

Die Gesellschaft verändert sich, die Versorgungslandschaft verändert sich, und solange das so ist, muss die Politik das Gesundheitssystem schrittweise an die Veränderungen anpassen, leitet eine Reform die nächste ein, muss nachgesteuert, justiert und verbessert werden. Und wenn nur ein großer Wurf in einer Legislaturperiode gelingt, so ist das im Prinzip schon ein Erfolg. Auch Rösler und Bahr haben einen solchen Erfolg vorzuweisen: Die Einführung der Nutzenbewertung patentgeschützter Arzneimittel mit anschließenden Preisverhandlungen ist ihr großes Verdienst. Und das ist im Rückblick eine große Überraschung, fiel Rösler doch zu seinem Amtsantritt damit auf, dass er den damaligen Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) absägte und volkswirtschaftliche Kriterien bei der Nutzenbewertung anlegen wollte.

Mit Preisverhandlungen, Rabattverträgen und Festgruppen sind die großen Baustellen im Arzneimittelbereich abgeräumt, oder wie es kürzlich ein Pharmalobbyist auf einem der zahlreichen Sommerfeste formulierte: „Wir stellen uns auf einen ruhigen Sommer ein.“ Das dürfte auch deshalb richtig sein, weil sich für die nächste Legislaturperiode mindestens zwei Baustellen so penetrant aufdrängen, dass die Bundesregierung nicht umhin kommen wird, sich damit zu beschäftigen: Die Krankenhäuser, viel mehr aber noch die Pflege.

Als drittes großes Thema steht natürlich auch die Reform des Versicherungssystems im Raum. Es ist, das zeigt eine Analyse der Wahlprogramme, das einzige Thema, bei dem sich die Parteien im Bereich der Gesundheitspolitik noch ideologische Gefechte liefern. Doch genau dieser Umstand könnte letztlich dazu führen, dass sich kaum etwas verändern wird. Denn auch wenn der gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Jens Spahn, im vergangenen Jahr neue Töne gegenüber der privaten Krankenversicherung angeschlagen hat, so bekennt sich die Union doch weiterhin zum dualen Versicherungssystem und weiß dabei eine noch viel entschlossenere FDP an ihrer Seite. Ein einheitliches Versicherungssystem, und damit eine radikale Reform, könnte deshalb nur unter einer rot-grünen Regierung eingeführt werden. Angesichts der Umfrageschwäche von Rot-Grün scheint es derzeit aber wahrscheinlicher, dass das duale Versicherungssystem auch unter der nächsten Bundesregierung fortbestehen wird, und dass die angeschlagene private Krankenversicherung mit weiteren Hilfen gestützt wird. Ebenso ist nicht anzunehmen, dass die FDP eine vollständige Entkoppelung der GKV-Beiträge von den Löhnen wird durchsetzen können.

Statt sich Gefechte um die Systemfrage zu liefern, wird sich die kommende Bundesregierung deshalb vermutlich eher ganz pragmatisch der Versorgungslandschaft zuwenden. Die Pflege, die alternde Gesellschaft, die Krankenhäuser und die Versorgung auf dem Land bestimmen die gesundheitspolitischen Vorschläge von der FDP bis zu den Grünen. Und in all diesen Punkten ist die Problemanalyse weitgehend deckungsgleich. Auch sind sich die Parteien einig, dass im Bereich der Pflege dringender Handlungsbedarf besteht. Seit Jahren schon schieben die Bundesregierungen verschiedenster Couleur die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs vor sich her. Ende Juni übergab der Pflege- Expertenbeirat seinen Bericht an Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr. Diese dringend notwendige Reform steht nun in der nächsten Legislaturperiode an. Die Zeit drängt nicht nur, weil die Pflege schnell verbessert werden muss, sondern auch deshalb, weil derzeit im Gesundheitsfonds noch genug Geld vorhanden ist, um die milliardenteure Neuausrichtung des Pflegesystems zu stemmen. Diese einmalige Gelegenheit droht jedoch verpasst zu werden, wenn nun nicht zügig gehandelt wird. Zudem wird die künftige Regierung nicht umhinkommen, die Anstrengungen zu erhöhen, um für ausreichend Pflegekräfte und die Entlastung pflegender Angehöriger zu sorgen. Die bisherigen Taten reichen nicht aus.

Auch bei der Krankenhausfinanzierung ist inzwischen klar geworden, dass sie nicht so bleiben kann, wie sie derzeit ist. Überkapazitäten, steigende Kosten, Fehlanreize im DRG-System, fehlende Investitionen der Bundesländer, renditehungrige Träger und klamme Kommunen, die defizitäre Kliniken nicht mehr stützen können, treiben die Krankenhäuser zur Flucht in die Menge. Das führt zu medizinisch fragwürdigen Eingriffen und unnötigen Ausgaben für die Krankenkassen. Auch hier sind sich die Parteien im Prinzip einig, dass sich etwas ändern muss. Während die SPD noch unkonkret eine Reform der Krankenhausfinanzierung vorschlägt, hat CDU-Gesundheitspolitiker Spahn angekündigt, dass man in der neuen Legislaturperiode die Überkapazitäten angehen will. Dafür braucht er allerdings die Unterstützung der Bundesländer. Der Widerstand der Landespolitiker dürfte immens werden. Am Ende wird sich im politischen Prozess zeigen müssen, was machbar ist.

So steht zu erwarten, dass es auch in der kommenden Legislaturperiode nicht die Reform geben wird. Aber eine Pflege- oder Krankenhausreform wäre zweifellos ein großes Verdienst.

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