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Stadtplaner Muhle im Abschieds-Interview: „Unstrittig, dass Parkplätze Stadtbild kaputt machen“

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Seit 2005 hat Muhle in Hamm das Stadtplanungsamt geleitet.
Seit 2005 hat Muhle in Hamm das Stadtplanungsamt geleitet. © © Andreas Rother

Alle größeren städtebaulichen Projekte wanderten in den vergangenen Jahrzehnten über seinen Schreibtisch. Jetzt geht Heinz-Martin Muhle in den Ruhestand. Im Interview spricht der langjährige Leiter des Stadtplanungsamtes über Stadt im Wandel, aktuelle Herausforderungen und Lieblingsthemen während seiner Zeit in Hamm.

Hamm – Mit dem Begriff „Vision“ fremdelt Heinz-Martin Muhle ein wenig. Stattdessen sieht sich der 63-Jährige eher als einen Verfechter von Rahmenplanungen. „Es gibt vorab nicht nur die eine richtige Lösung“, sagt Muhle. Nach 17 Jahren in der Leitungsposition und über 35 Jahren in Hamm ist Muhle in den Ruhestand gegangen.

Möglichkeiten und Szenarien aufzeigen, flexibel sein mit durchdachten Alternativen: Das sei das Wesen von Stadtplanung. Viele der Entscheidungen, die am Ende prägend und richtig für Hamm waren, tragen Muhles Handschrift.

Herr Muhle, was für ein Gefühl ist es, den Schreibtisch nach all den Jahren frei zu machen? Gibt es einen glatten Schnitt?

Nein. Stadtentwicklung ist ein Prozess und damit ist es auch die eigene Arbeit. Manches dauert Monate, anderes Jahre oder sogar Jahrzehnte. Ende der 1980er Jahre gab es beispielsweise schon die Idee, Hamm zur Lippe und zum Kanal zu öffnen. Jetzt entwickeln wir die Kanalkante. Manches braucht seine Zeit, und manchmal ist das im Nachhinein für die Gesamtentwicklung auch gut so.

Momentan herrscht der Eindruck vor, Entwicklung vollzieht sich rasend schnell und viele Faktoren wie Handel, Klima, Energie oder Migration greifen ineinander.

Stadtentwicklung ist nie ein Laboratorium vorhersehbarer Ergebnisse. Sie ist beispielsweise immer geprägt durch Wachstums- und Schrumpfungsphasen, wie aktuell im Handel. Dass sich der Prozess in der Innenstadt so rasant vollzieht, wie wir es gerade beobachten, kam aber doch etwas überraschend. Seinerzeit hatten wir mit dem Innenstadtumbau im Bereich Horten und C&A eines der ersten Programme in den alten Bundesländern gestartet. Ein Entwurf dazu lag damals schon in der Schublade. Aber es gelingt nicht immer, so etwas vorauszusehen. Planung muss flexibel sein mit durchdachten Alternativen.

Die Themen Klimaschutz und Verkehrswende spielen eine entscheidende Rolle auch in der Stadtplanung. Werden sich die Menschen künftig zwangsweise aus ihrer Komfortzone bewegen müssen?

Denken und Handeln stehen oft im Widerspruch zueinander. Da nehme ich mich auch nicht immer aus. Jeder sucht zunächst für sich das Optimum. Am Ende müssen die Menschen verstehen, dass mühsame Schritte notwendig sind, wenn man ein Ziel erreichen will. Dabei wird es auch so kommen, dass Entscheidungen gefällt werden müssen, die nicht jedem gefallen. Zum Beispiel für mehr Fahrradstraßen oder weniger Verkehr in der Innenstadt und weniger Parkplätze. Es ist doch eigentlich unstrittig, dass Parkplätze ein harmonisches Stadtbild kaputtmachen. Trotzdem möchten viele bis vor den Laden fahren. Wichtig ist für mich immer, dass diese Diskussionen und Entscheidungen eingebettet sind in einen transparenten Prozess und Bürger beteiligt werden.

Gab es in all den Jahren so etwas wie ein Lieblingsprojekt in Hamm?

Die Entwicklung der Stadt insgesamt in all ihren Facetten hat mir immer am Herzen gelegen. Ein Thema geht noch auf die Anfangszeit in Hamm zurück. Schon im Studium hatte ich mich mit Baukultur beschäftigt. In Hamm ist es uns damals gelungen, den Verkauf und Abriss von Arbeitersiedlungen, allen voran die Vogelsang-Siedlung in Heessen, zu verhindern. Das war wie in einem schlechten Film: Ein Investor im Bärenfellmantel kam ins Büro und wollte die Siedlung plattmachen. Wir waren kämpferisch und haben das verhindert, ein regionales Netzwerk gegründet, um bauliches Erbe zu erhalten, und haben das Programm „Siedlungskultur Ruhrgebiet“ federführend angeschoben. Jetzt ist das Thema ein Schwerpunkt beim RVR. Die Vogelsang-Siedlung ist seit der Modernisierung Baudenkmal.
Darüber hinaus waren mir Innenstadt und Einzelhandel immer wichtig. Wir haben ein kommunales und regionales Einzelhandelskonzept für das östliche Ruhrgebiet erarbeitet und damit den Abstimmungsprozess der Kommunen untereinander hinbekommen.

Die Hammer Bauverwaltung genießt einen sehr guten Ruf. Was zeichnet sie aus Ihrer Sicht genau aus?

Wir blicken auf eine zum großen Teil langjährige Zusammenarbeit zurück und die funktioniert gut. Ich habe keinen Zweifel, dass wir ein gutes Team sind, davon leben wir, und nur so entstehen gute Ergebnisse. Für eine Stadt vergleichbarer Größe sind wir über die Jahre ein großes Planungsamt mit vielen Aufgaben geworden. Aber das hat Sinn, denn diese Aufgaben greifen ineinander. So reichen die Themenfelder von der klassischen Bauleitplanung über Stadtentwicklung, Stadterneuerung, Verkehrsplanung bis zur Projektentwicklung, Wohnraumförderung und Liegenschaften. In der Projektentwicklung beispielsweise verfolgt die Stadt seit den 1990er Jahren eine etwas andere Herangehensweise, indem sie Investoren gewinnt und betreut. Mit der Stadtentwicklungsgesellschaft wurde in diesem Zusammenhang ein besonderes Instrumentarium geschaffen. Andere Kommunen haben sich davon etwas bei uns abgeschaut. Aber das Amt funktioniert auch deshalb gut, weil die Zusammenarbeit mit anderen städtischen Abteilungen gut gelingt. Das ist immens wichtig.

Mehr Zeit fürs gemeinsame Hobby: Heinz-Martin Muhle ist in Ruhestand gegangen und freut sich unter anderem auf Motorrad-Touren mit seiner Frau Martina.
Mehr Zeit fürs gemeinsame Hobby: Heinz-Martin Muhle ist in Ruhestand gegangen und freut sich unter anderem auf Motorrad-Touren mit seiner Frau Martina. © Reiner Mroß/Digitalbild

Heinz-Martin Muhle

Muhle ist gebürtiger Dülmener; Abitur in Münster; Zivildienst; Studium der Raumplanung an der TU Dortmund (1981–1986)

1987: Einstellung bei der Stadt Hamm (Sachbearbeitung Stadterneuerung Innenstadt und Arbeitersiedlungsprogramm).

1991–1993: Städtebaureferendariat in Herne

ab Mai 1993: Sachgebiets-, Abteilungs-, stellvertretender Amtsleiter; ab Februar 2005 Leiter Stadtplanungsamt Hamm

Muhle lebt mit seiner Frau seit 2008 in Hamm. Hobbys: Rad und Motorrad fahren, Musik (Jazz und Krautrock), Kochen

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