Der Bahnhof ist menschenleer, nur eine Frau steigt aus dem Zug und steigt die Treppe hinunter in die Unterführung. Zwei Männer stehen an der Wand und bemerken die Passantin. «Ganz alleine unterwegs?», rufen sie ihr zu und sie bleibt stehen. Schnitt. Das Video zeigt dieselbe Situation noch einmal, nur wird bei dieser Version die Frau von zwei schwarz gekleideten Männern begleitet. Kaum passiert die Gruppe die anderen beiden in der Unterführung, verstummen diese und grüssen die Frau und ihre «Bodyguards» kopfnickend.
Das Video stammt von der Axa-Versicherung und wird derzeit vielen Usern auf Facebook und Instagram als bezahlter Beitrag angezeigt. Es wirbt für ihre kostenlose App «WayGuard», die mithilfe von Standort-Tracking, Chats und Notfallknopf-Funktion «Frauen sicher nach Hause begleiten» soll.
Tatsächlich tauchen aber im echten Leben keine Bodyguards auf, die Begleitung bleibt virtuell. Startet man die Begleitungs-Funktion, wird das GPS-Signal an eine Zentrale freigegeben. Zusätzlich kann man den Standort mit Freunden oder Familienmitgliedern teilen. Fühlt sich der Nutzer unsicher, kann dieser mit einem Mitarbeitenden des «WayGuard»-Teams telefonieren oder chatten, bis sie oder er am Ziel angekommen ist.
Seit der Lancierung Ende November haben sich gemäss Axa 11'800 Leute registriert, was die Erwartungen «deutlich» übertroffen habe. 70 Prozent der User sind Frauen. Insgesamt hätten sich 11'043 Mal Personen durch die App begleiten lassen und 46 bei der Notrufzentrale angerufen. «Das waren aber eher Testanrufe – die Personen wollten ausprobieren, ob die App auch tatsächlich funktioniert», sagt Moska Miakhel vom Innovationsteam der Axa-Versicherung.
Wer den Notruf tätigt, wird mit einer Leitstelle mit geschultem Personal verbunden. Dabei handelt es sich um die grösste private Notrufzentrale Deutschlands, wo die App ihren Sitz hat. «Diese Mitarbeiter sind speziell dafür geschult, Personen in Stresssituationen zu begleiten», sagt Miakhel.
Im Ernstfall alarmiere das «WayGuard»-Team die örtliche Polizei und bleibe so lange mit der Person am Telefon, bis die Einsatzkräfte eingetroffen seien. «In einem Notfall werden Bewegungsgdaten oder Gesprächsaufzeichnungen für 90 Tage gespeichert, um bei Bedarf die Aufklärung des Falls zu unterstützen», sagt Miakhel. Ansonsten würden die Daten nach Beendigung der Begleitung gelöscht.
Die Versicherung spricht in den Communiqués und den Werbespots ausschliesslich Frauen an. Das hat einen Grund: «In einer Umfrage bei 500 Schweizern haben 90 Prozent der weiblichen Befragten angegeben, dass ihnen manchmal mulmig zumute ist, wenn sie spätabends alleine auf dem Heimweg sind», so Miakhel weiter.
Bei der Opferhilfestelle Frauenberatung Zürich zeigt man sich zunächst positiv gegenüber der neuen App. «Wenn diese Frauen hilft, sich weniger einzuschränken und trotzdem abends auszugehen, ist das umso besser. Alles, was das Sicherheitsgefühl der Frauen erhöht, ist gut», sagt die Geschäftsleiterin Corina Elmer.
Doch durch die Begleit-App würden sich Frauen allenfalls in falscher Sicherheit wähnen. «Oftmals ist man im Ernstfall wie gelähmt. Es fragt sich, ob man dann die App noch nutzen kann», sagt Elmer. In akuten Gefahrensituationen sei es besser und schneller, wenn die Betroffene direkt die Polizei kontaktiert. Die Mehrzahl der Fälle von sexueller Gewalt würde zudem im Privaten passieren, deshalb sei der Einsatz hier wenig nützlich. Ausserdem würden auch Männer angegriffen oder erlebten körperliche Gewalt. Dass in der Werbekampagne nur Frauen angesprochen werden, verstärke das Stereotyp vom männlichen Fremdtäter, der nachts eine Frau überfällt, dabei seien es meistens Bekannte.
Eine Ex-Freundin von mir hat in solchen Situationen jeweils den Finger auf dem Speed Dial Knopf der Nummer von einer Freundin oder von mir gehabt.
Jedenfalls stimmt es mich nachdenklich, dass Frauen in der Schweiz ein Bedürfnis nach so einer App haben...